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Straßenbaupläne in BrandenburgDie bedrohte Stille von Zempow

Der Bund will eine Straße durch eine der naturnahsten Ecken Brandenburgs bauen. Dagegen formiert sich Widerstand in den betroffenen Dörfern.

Am Horizont der Wald des Dorfes Zempow: Da soll die neue Bundesstraße entlangführen Foto: Claudius Prößer

Zempow, das sind braune Kühe auf sanft geschwungenen, frischgrünen Weiden, im Hintergrund Wald, in der Mitte eine Dorfstraße mit Backsteinkirche. Vielen BesucherInnen fällt als Erstes auf, was sie hören – nichts nämlich. Zumindest nach großstädtischen Maßstäben. Denn natürlich ist die Welt nicht geräuschlos hier, ganz oben im Brandenburger Nordwesten: Wind fängt sich in Bäumen, irgendwo blökt ein Schaf, Vögel zwitschern, ab und an rollt auch mal ein Auto durch den 140-Einwohner-Ort. Die Ruhe ist neben der Landschaft das größte Kapital der EinwohnerInnen, von denen viele vom Tourismus leben.

„Früher war hier manchmal richtig was los, Zempow hatte das einzige Autokino der DDR“, sagt Ulrich Schnauder und lacht. Der Ortsvorsteher mit dunkelblauem Strickpulli und Nickelbrille führt den Gast aus Berlin in den „einLaden“, eine Mischung aus Café, Bioladen, Galerie und Treffpunkt, den seine Frau und er neben der Kirche betreiben. Zwischen Glasbehältern mit „Dinkelspitzbuben“ und Nougat-Talern, Saftflaschen und Schmuck mit künstlerischer Note sitzt man am Tisch. Schnauder hat extra einen Flipchart aufgebaut, um zu zeigen, was den Anwesenden auf den Nägeln brennt.

Es ist eine Skizze der weiteren Umgebung: Links an der A14 liegt Wittstock, rechts oben Mirow, schon in Mecklenburg-Vorpommern. Zempow und einige andere Dörfer verteilen sich rund um eine grün schraffierte Fläche, die ins Bild hineinragt – der nordwestliche Ausläufer des Ruppiner Wald- und Seengebiets. Zwei rote Linien, die sich an den Enden berühren, zerschneiden das Bild: „Das sind die beiden Hauptvarianten für die B189n, die hier in den kommenden Jahren gebaut werden soll“, erläutert Schnauder, „für einen Ort wie Zempow wäre sie das Todesurteil.“

Die kleine Runde ist ein Teil der Bürgerinitiative „B189nein“ – das offizielle „n“ steht für „neu“ –, die sich Ende November im Nachbarort Berlinchen gegründet hat. 50 Menschen kamen in die „Schmökerstuw“, ein Bistro mit Antiquariat, das Ortsvorsteher Dieter Welchering betreibt; auch er ist heute in den „einLaden“ gekommen. Die Leute aus den kleinen Ortschaften, aus Dranse, Sewekow, Schweinrich, Berlinchen und Zempow, wollen unbedingt verhindern, dass die Bundesstraße 189, die bis heute nur westlich der Autobahn Berlin-Hamburg verläuft, von Wittstock nach Mirow verlängert wird. Sie befürchten, dass die rund 40 Kilometer lange Strecke Verkehr, Lärm und Gestank in ihre stille Landschaft spülen würde.

„Vordringlichem Bedarf“

Sie werden sich sehr anstrengen müssen, um das noch zu verhindern: Die B189n ist Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans 2030 (BVWP 2030), der sie als Projekt mit „vordringlichem Bedarf“ einstuft: Sie bringe „eine Verbesserung der Verbindung des Oberzentrums Neubrandenburg und des Mittelzentrums Neustrelitz sowie der Ferienregion Mecklenburgische Seenplatte mit dem Mittelzentrum Wittstock“.

Grafik: Infotext Berlin

Seit Ende 2016, als der Bundestag das Sechste Gesetz zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes verabschiedete, besteht Planungsrecht. Noch ist freilich kein Baum gefällt, hat kein Bagger seine Zähne in den Boden geschlagen. Aber es werden schon Varianten geprüft – wie die, die am Waldrand von Zempow entlangführen würde, in Sicht- und Hörweite der „Bioranch“, wo viele HauptstädterInnen im Sommer ein Ferienhäuschen beziehen und ihre Kinder auf Ponys reiten lassen.

Aber die Menschen in der Gegend haben Erfahrung mit dem Protestieren: Nach Süden hin erstreckt sich das riesige Areal des einstigen „Bombodroms“, des Truppenübungsplatzes der Roten Armee, den in den 1990ern die Bundeswehr übernahm, unter anderem um hier laute Tiefflugübungen durchzuführen. Lange Jahre versammelten sich viele Aktive zu Ostermärschen für eine „Freie Heide“, stellten Schilder in ihren Gärten auf, machten Druck in Potsdam und in Berlin. Und hatten 2009 endlich Erfolg. „Zehn Jahre ist das schon wieder her“, sagt Sabine Radert, die Sprecherin von „B189nein“, am Tisch in Zempow, „das müssten wir eigentlich feiern.“ Aber jetzt steht erst einmal der neue Kampf im Vordergrund.

„Die Planung der Bundesstraße stammt noch aus dem letzten Jahrhundert“, sagt Radert – was wörtlich zu verstehen ist: Seit den 1990ern will die Politik vor allem im benachbarten Bundesland die schnelle Verbindung nach Westen und zur A24 nach Hamburg. Für Radert ein Unding: „Man kann doch heute nicht mehr nur vom Auto her denken!“ Der Klimaschutz etwa schlage sich in den Planungen überhaupt nicht nieder. Und dann das Zerschneiden einer so großen zusammenhängenden Naturlandschaft: Der südliche Teil des ehemaligen Bombodroms werde mittlerweile von der Heinz-Sielmann-Stiftung ökologisch saniert und für den nachhaltigen Tourismus entwickelt. „Das sollte auch hier oben so gemacht werden.“

Katastrophe für die Gegend

Nicht alle waren gleich Gegner der B189n: „Als Ulrich im Ortsbeirat das Thema aufgebracht hat, war ich zuerst als Einziger für die Bundesstraße“, sagt Niels Detloff aus Zempow, der Sabine Radert gegenübersitzt. „Ich dachte: Prima, biste zehn Minuten schneller in Wittstock.“ Dann sei ihm aber schnell klar geworden, dass ein solcher Verkehrsweg eine Katastrophe für die Gegend sei.

Die anderen pflichten ihm bei: Wenige Minuten Zeitgewinn für Autofahrer in Richtung Mecklenburg könnten nicht den Ausschlag geben. Aber wenn Straßen erst einmal gebaut sind, zögen sie Verkehr an. Sie zitieren Prognosen im Zusammenhang mit dem BVWP 2030, die von 1.000 Lkws am Tag auf der neuen Bundesstraße ausgehen. Im Grunde erlebt die Gegend schon jetzt einen Vorgeschmack davon, denn seit Bundesstraßen Mitte 2018 mautpflichtig wurden seien, weichen viele Lastwagenfahrer auf die kleineren Kreisstraßen aus und donnern über die Dörfer.

Ortsvorsteher unter sich: Dieter Welchering aus Berlinchen und Ulrich Schnauder aus Zempow (r.) Foto: Claudius Prößer

Deshalb gehört auch eine Durchfahrtbeschränkung für Lkw ab 7,5 Tonnen zu den Forderungen der Bürgerinitiative, die jetzt im Vorfeld der Kommunalwahlen am 26. Mai richtig aufdrehen will. Es werden Postkarten und Flyer gedruckt, auch TouristInnen sollen ermuntert werden, Druck auf die Infrastruktur-Ministerien in Potsdam und Schwerin zu machen. Dass am 18. April die Brandenburger Landesgartenschau in Wittstock startete, kommt der Initiative dabei gelegen. Im Kreistag hat sie schon einige Verbündete, wie das Grünen-Urgestein Wolfgang Freese und Linken-Fraktionschef Freke Over, den in Berlin noch viele aus seiner Hausbesetzerzeit kennen.

Ebenfalls aus Berlin kommt ein weiterer Aktivist: Matthias Dittmer, Vorsitzender der grünen Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität und ein Enfant terrible der Ökopartei, hat ein Standbein in der Region, er verbringt privat viel Zeit in Zempow. Der umtriebige Politiker, früher als TV-Darsteller bekannt, hat einen ganz neuen Zug in die Debatte gebracht – was durchaus als Wortspiel gemeint ist: Er fordert, dass die stillgelegte, aber noch nicht entwidmete Bahntrasse zwischen Wittstock und Mirow reaktiviert wird. Auch den Rest der Initiative hat er davon überzeugt, dass das ein Teil der Lösung sein kann.

Ökologischere Schienenlösung

Denn große Teile des Schwerlastverkehrs zwischen den beiden Städten hängen mit dem großen Holzverarbeitungswerk in Heiligengrabe bei Wittstock zusammen. Das Schweizer Unternehmen Swiss Krono, das hier OSB-Platten und Bauelemente herstellt, bekommt viel Nachschub aus dem Osten. „Ab einer Entfernung von 150 Kilometern rechnet sich der Transport über die Schiene“, sagt Dittmer und weist darauf hin, dass Heiligengrabe, das über einen eigenen Schienenanschluss verfügt, dann quasi direkt mit dem polnischen Seehafen Stettin verbunden sei.

Mit seinem grünen Parteifreund Freese hat er einen Besuch bei Swiss Krono absolviert – um erfreut festzustellen, dass der Standortleiter, gebürtiger Neuruppiner, sich offen für die ökologischere Schienenlösung zeigte: „Er hat uns versichert, dass das Unternehmen die Bahn als Transportmittel gegenüber Lkws bevorzugen würde.“

Matthias Dittmer hat es sogar schon geschafft, den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) davon zu überzeugen, die Bahnstrecke in die „Liste reaktivierungswürdiger Strecken“ aufzunehmen, die der Verband zurzeit im Auftrag der Bundesregierung erstellt. Als Gründe für die Neueinstufung listet der Verband den Güterverkehr zur Swiss Krono und den eher geringen baulichen Aufwand zur Wiederherstellung der Trasse auf, aber auch den potenziell verbesserten Anschluss der Region an die Bundeshauptstadt. Denn die Regionalexpress-Verbindungen von Wittstock nach Berlin sind heute viel besser als vor 20 Jahren, als die Trasse nach Mirow stillgelegt wurde.

Ökotouristischer Coup

Dittmer selbst schwebt sogar ein ökotouristischer Coup vor: Auf der wiederbelebten Strecke könnten Züge weiter über Neustrelitz zu dem in der Mecklenburgischen Seenplatte gelegenen Ort Feldberg fahren: „Das wäre eine der schönsten Bahnstrecken Deutschlands!“

In den Ministerien in Potsdam und Schwerin weiß man nach eigener Aussage nichts von einer eventuellen Wiederbelebung der Bahnstrecke. Beide Häuser äußern gegenüber der taz, sie nähmen die Sorgen der BürgerInnen in Bezug auf die B189n „sehr ernst“. Das SPD-geführte Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung in Mecklenburg-Vorpommern teilte mit, man werde „versuchen, zu gegebener Zeit vor Ort den aktuellen Stand der Planungen darzustellen und dazu bei Bedarf auch öffentliche Informationsveranstaltungen durchzuführen“. Mit „offener Kommunikation“ könnten erfahrungsgemäß „ein gemeinsames Verständnis in der Bevölkerung für das Projekt“ gefördert und „zum Teil gegensätzliche Positionen angenähert“ werden, so Sprecherin Ulrike Sennewald.

Für offene Kommunikation sind die Menschen in Zempow und Umgebung zu haben. Ob sie sich so leicht von den Vorteilen einer Straße überzeugen lassen, die sie ihrer kostbaren Stille beraubt, wird sich zeigen.

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