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Therapeutin gibt Tipps für Entspannung„Im Stress geht die Intuition verloren“

Wer an emotionalem Stress leidet, kann ihn beruhigen, wenn er die innere Einstellung ändert, sagt Michaele Kundermann. Dumm nur, dass wir oft am Drama hängen.

Viele eilen hektisch durch den Alltag – doch der Stress ist meist selbstgemacht Foto: dpa
Interview von Franziska Seyboldt

taz: Frau Kundermann, dass Stress krank und unglücklich macht, ist bekannt. Warum eilen die meisten von uns trotzdem hektisch durch den Alltag?

Michaele Kundermann: Der Stressmodus ist ein wichtiges Überlebenswerkzeug mit sehr erfolgreichen Strategien: fliehen, kämpfen oder erstarren. Das funktioniert auch wunderbar bei physischen Bedrohungen. Wenn ich Sie jetzt aber frage, wie oft Sie im letzten Monat in Lebensgefahr waren …

In Lebensgefahr? Gar nicht.

Dann dürften Sie theoretisch nicht ein Mal im Stress gewesen sein. Aber heutzutage entsteht Stress in den befriedeten und wohlhabenden Ländern zu 99 Prozent nicht durch physische, sondern durch emotionale Bedrohungen. Vielleicht waren die in der Evolution gar nicht vorgesehen, jedenfalls reagiert das Gehirn auf den nervigen Chef genauso wie auf den Angriff eines Säbelzahntigers. Und das ist, als würde man mit einem Hammer eine Uhr reparieren wollen.

Was ist denn das richtige Werkzeug bei emotionalen Bedrohungen?

Zunächst müssen wir uns bewusst machen, dass wir uns diese Bedrohungen selbst schaffen – durch meist unbewusste Gedanken. Der Thalamus, unser Wahrnehmungsfilter, entscheidet, welche Informationen so wichtig sind, dass sie an das Bewusste weitergeleitet werden. Und woher weiß er, was mir gerade wichtig ist? Er schaut sich an, was ich denke. Wenn ich mir morgens sage: Oh Gott, das wird ein schlimmer Tag, dann denkt der Thalamus: Aha, sie will also erfahren, dass heute ein schlimmer Tag ist. Und dann lässt er alle Erfahrungen in mein Bewusstsein, die das bestätigen.

Im Interview: Michaele Kundermann

Michaele Kundermann ist Expertin für die Psychologie der Emotionen und arbeitet als Therapeutin, Coach, Rednerin und Trainerin. Ihr Buch „Emotionale Stresskompetenz – Die Kunst der Selbstberuhigung“ ist 2018 im Goldegg Verlag erschienen. Mehr unter: www.emotionale-stresskompetenz.com

Das klingt, als wäre Stress in 99 Prozent der Fälle selbst gemacht. Aber was ist, wenn ich einfach wahnsinnig viel zu tun habe?

Wir glauben zwar gern, dass uns bestimmte Situationen in Stress bringen, aber es ist nicht die Situation. Es ist unsere Antwort auf die Situation. Sobald wir etwas ablehnen, wertet unser Gehirn das als Bedrohung, und Bedrohung ist das Signal, das so sicher wie die Schwerkraft Stress aktiviert. Wenn Sie sich morgens zur Arbeit schleppen und sagen: Pfff, schon wieder Montag, dann wird auf einmal Ihr ganzer Arbeitsplatz zu einer Bedrohung.

Und wie kommt man da wieder raus?

Indem man seine Gedanken umdefiniert – den Widerstand in das Annehmen. Sich sagt: Ich habe diese Arbeit gewählt, damit habe ich auch allen Widrigkeiten zugestimmt, die mit dieser Tätigkeit verbunden sind. Wenn ich das nicht mehr will, dann muss ich das eben ändern. Man sollte immer in der Verantwortung bleiben. Wenn man sich in einen passiven Widerstand begibt, setzt man sein Nervensystem einer permanenten Hintergrundbedrohung aus.

In Ihrem Buch zitieren Sie den US-Schriftsteller Napoleon Hill, der empfahl, beim Auftauchen eines Fehlers unverzüglich zu behaupten: „Das ist gut!“ Das wirkt einigermaßen absurd, wenn man gerade Mist gebaut hat.

Zunächst vielleicht schon, aber wenn wir unsere Gedanken ändern, dann verändern sich auch die Neurotransmitter im Blut. Wir haben in unserem Nervensystem zwei neuronale Bereiche, ich nenne sie Panikum- und Heurekum-Autobahn. Panikum symbolisiert den Stress und alles, was damit verbunden ist, Heurekum den sogenannten Flow, die Zuversicht, das kreative Wohlbefinden. Wenn wir auf der neuronalen Panikum-Autobahn unterwegs sind, werden frühere Erfahrungen getriggert, die Stress in uns ausgelöst haben. Auf der Herurekum-Autobahn hingegen wird unser Selbstvertrauen bestätigt, wir sehen plötzlich Möglichkeiten und Chancen, die wir vorher gar nicht gesehen haben. Je nachdem, auf welcher Autobahn wir unterwegs sind, verändern sich die Hirnströme. Die fließen tatsächlich in eine andere Richtung.

Man muss also nur die innere Einstellung ändern? Das klingt einfach.

Ist es auch! Wir müssen eigentlich nur erkennen, wo wir den Fehler machen. Wenn ich von Frankfurt nach Hamburg will, aber Richtung München fahre, wird es sehr schwer sein, in Hamburg anzukommen. Wenn ich mich aber um 180 Grad drehe, klappt es. Wir können nicht auf beiden Autobahnen gleichzeitig unterwegs sein – wenn wir die Heurekum-Autobahn aktivieren, hemmt sie unsere Panikum-Autobahn. Und andersherum. Dass das Umdenken oft eine Herausforderung ist, liegt daran, dass wir am Zweifel festhalten. An Schuldgefühlen, am Drama. Aber auch an alten, ungelösten emotionalen Konflikten, die wir noch mit uns herumschleppen.

Die 10 größten Stressauslöser in Deutschland

1. Die Arbeit (46 Prozent)

2. Hohe Ansprüche an sich selbst (43 Prozent)

3. Zu viele Verpflichtungen in der Freizeit (33 Prozent)

4. Teilnahme am Straßenverkehr (30 Prozent)

5. Ständige Erreichbarkeit (28 Prozent)

6. Schwere Krankheit eines Nahestehenden (25 Prozent)

7. Konflikte mit Nahestehenden (24 Prozent)

8. Arbeitsbelastung im Haushalt (23 Prozent)

9. Kindererziehung, Enkelkinder (19 Prozent)

10. Finanzielle Sorgen (19 Prozent)

(Quelle: TK-Stressstudie 2016)

Was sind das für emotionale Altlasten?

Das wird schon in der frühen Kindheit geprägt. Etwa wenn wir hinfallen und die Eltern schimpfen: „Du hast deine Hose schon wieder dreckig gemacht!“, anstatt uns in den Arm zu nehmen und zu trösten. Das Kind in seinem emotionalen Schreck scheint nicht so wichtig wie die Hose zu sein. Oder wenn die Eltern emotionale Botschaften vermitteln, die sich widersprechen, also uns im einen Moment zeigen, dass sie uns lieben, im anderen, dass sie uns ablehnen. Das kann ein Kind überhaupt nicht verstehen. Es entstehen massive Unsicherheiten über den eigenen Wert, die als Information im Nervensystem stecken bleiben. Wenn diese ungelösten Konflikte im Alltag getriggert werden, aktiviert unser gereiztes Nervensystem sehr schnell den Stressmodus.

Wer von den Eltern bedingungslos geliebt wird, hat also später gute Chancen, in stressigen Situationen entspannt zu bleiben?

Ja. Diese Menschen erhalten eine ganz andere Grundlage in ihrem Nervensystem, sie gehen gelassener und resilienter durchs Leben, weil sie wissen, dass jemand hinter ihnen steht. Und zwar eindeutig. Das bedeutet nicht, dass Eltern ihren Kindern keine Grenzen setzen dürfen – im Gegenteil, das ist enorm wichtig für deren Entwicklung. Aber entscheidend ist, dass die Liebe dabei gewahrt wird und das Kind sich bedingungslos angenommen fühlt, auch wenn es etwas angestellt hat.

Eine Umfrage unter meinen Kolleginnen und Kollegen ergab, dass ein großer Stressfaktor die schlechte Laune der Mitmenschen ist. Wie kann man sich davor schützen?

Schlechte Laune anderer hat die Tendenz, uns über Spiegelneuronen mit in den Schlamassel hineinzuziehen. Hier geht es um die Entscheidung: Bin ich dafür zuständig oder nicht? Grenze ich mich ab oder lasse ich das in mich rein? Bereits als Kinder versuchen wir unbewusst, unsere Eltern aufzumuntern, wenn es ihnen schlecht geht, dabei ist ein Kind nicht dafür zuständig, für das Wohlbefinden der Eltern zu sorgen. Haben wir das als Kind gelernt, glauben wir aber, dass wir alle Menschen aufheitern müssen. Damit bürden wir uns eine Verantwortung auf, die viel zu hoch ist. Es ist nicht meine Verantwortung, dafür zu sorgen, wie es jemand anderem geht. Es ist einzig meine Verantwortung, dafür zu sorgen, wie es mir geht.

Das klingt fast ein bisschen egoistisch.

Wenn sich jemand neben mir in einer gefährlichen Notlage befindet, muss ich natürlich für ihn sorgen. Aber viele benutzen ihre schlechte Laune auch als manipulatives Instrument, um ihre Energielücken aufzufüllen und verlagern ihre Verantwortung nach außen. Wenn das der Fall ist, sollte man sich lieber schleunigst entfernen.

Und wenn das nicht geht?

Dann kann man sich immer noch abgrenzen und sagen: „Du, ich möchte jetzt gar nicht über XY herziehen. Das tut mir nicht gut.“ Wenn die andere Person unbedingt schlecht drauf sein will, dann muss ich ihr das zugestehen. Dann braucht sie diese Erfahrung eben für irgendwas.

Ein weiterer Stressfaktor: Multitasking. Wenn ich unter großem Zeitdruck stehe und drei Menschen gleichzeitig was von mir wollen, bekomme ich manchmal sogar ein Blackout.

Ja, das ist dann die höchste Form des Stresses. Und das Blackout bekommen Sie, weil das Blut aus dem Stirnhirn, wo Sie steuern, bewusste Entscheidungen treffen und Lebensfreude und Selbstwirksamkeit aktivieren, nach hinten in den Hirnstamm schießt. Dort soll es die Reflexe bedienen – fliehen, kämpfen, erstarren – und dann können Sie nicht mehr klar denken. So können die intelligentesten Leute bei einer Prüfung vollkommen durchsausen, obwohl sie alles wissen, weil sie blutarm in der Stirn sind.

Das heißt, Stress macht dumm.

Könnte man sagen. Oder besser: Er entzieht der Intelligenz die Energie. Denn er macht ja nicht dauerhaft dumm, sondern nur in diesem Moment. Da gibt es einen kleinen Trick: Man kann die Hand auf die Stirn legen, dadurch zieht man das Blut wieder nach vorne. Das ist übrigens auch ein unbewusster Reflex, den viele von uns haben, wenn sie was vergessen haben. Tatsache ist außerdem, dass im Stressmodus die Intuition verloren geht, dabei brauchen wir die dringend.

Wofür?

Wir kommen permanent in neue Situationen, treffen auf neue Menschen, für die wir keine Erfahrungen abgespeichert haben. Um die adäquat wahrzunehmen und passend darauf zu reagieren, braucht es Intuition. Im Stressmodus handelt unser Gehirn aber aus alten Mustern heraus, es setzt quasi eine Schablone auf die äußere Situation. Man könnte sagen: Die Stressschleife ist ein Gefängnis unseres Gehirns. Wir können neue Dinge weniger wahrnehmen, sondern wiederholen permanent die Vergangenheit.

Ich habe einen Backenzahn, der immer dann anfängt zu schmerzen, wenn ich in Stress gerate. Wie kann das denn sein?

Die Entzündung ist ja ein Kampf im Körper. Eigentlich soll ein Kampf nach außen gerichtet stattfinden, wenn ich im Stressmodus bin. Aber wenn ich zum Beispiel nicht Nein sagen kann, obwohl ich es fühle, dann muss das irgendwo anders hin, und dann wendet es sich nach innen und kann sich in chronischen Entzündungen äußern.

Kann man dem entgegenwirken, indem man den Kampf nach außen verlagert? Zum Beispiel durch Sport?

Wenn man bereits in den Stress reingeraten ist, ja. Manchmal brauchen wir zwei, drei Tage, bis die Stresshormone wieder abgebaut sind. Die eine Möglichkeit ist Schlaf und Ruhen, die andere ist Sport. Aber auf jeden Fall: Die Gedanken ändern und nicht dauernd noch weiteren Stress aufbauen. Denn unsere Gedanken erzeugen die Emotionen, und die Emotionen bewegen den Körper. Für diese Gedanken brauchen wir Disziplin. Das ist die Verantwortung jedes Einzelnen, das kann niemand für uns tun, nur wir selbst.

Klingt nach Arbeit.

Stellen Sie sich das Leben als Schiff vor. Es gibt ein Steuerrad und zwei Matrosen. Der eine Matrose ist unser Verstand, der andere unser Gefühl. Wer gehört jetzt ans Steuer? Bei den meisten Menschen ist der Verstand am Steuer und die Emotionen liegen besoffen in der Ecke. Aber ans Steuer gehöre doch ich! Die beiden Matrosen sind meine Ressourcen, denen muss ich vernünftige Aufträge geben. Das ist mein Job. Wenn ich am Steuer stehe, bedeutet das eben, Verantwortung zu übernehmen. Es scheint unheimlich einfach, Situationen oder Menschen die Verantwortung für meine Gefühle zu geben, aber damit übergebe ich ihnen auch die Macht.

Warum steht gerade der Verstand bei den meisten von uns am Steuer?

Weil wir viele emotional unangenehme Erfahrungen abgespeichert haben, die meistens in der Kindheit entstanden sind. Irgendwann sagt der Verstand: „Hör mal, das mit deinen Gefühlen ist viel zu schmerzhaft, wir schneiden die einfach ab. Und wenn du deine Emotionen vermisst, dann simuliere ich sie dir.“ Wenn ich in meinen Beratungen frage, was jemand fühlt, bekomme ich oft die Antwort: „Ich denke, ich fühle …“ Aber man kann nicht denken, wie man sich fühlt. Man kann es nur im Körper fühlen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es gerade in Deutschland sehr hoch angesehen ist, die Gefühle unter Kontrolle zu haben – auch wegen der Kriegsvergangenheit. Aber das führt uns eigentlich gar nicht weiter, oder?

Genau, das führt noch mehr ins Drama. Emotionen sind ja nur Botschaften, und zwar antwortende Botschaften auf die Qualität meiner Gedanken. Wenn ich ständig denke: Ich schaffe das nicht, dann antworten meine Emotionen mit Energieverlust und vielleicht Bauchschmerzen. Mein Verstand denkt, die Emotionen seien das Problem, und er versucht, diese zu kontrollieren. Dann werden die aber nur noch wilder, denn sie müssen mir ja eine Botschaft überbringen. Der Verstand kapiert dabei nicht, dass er die emotionale Antwort selbst ausgelöst hat.

Wie geht man denn dann am besten mit unliebsamen Emotionen um?

Wenn sie schon da sind, ist es gut, sie einfach als Botschaft anzunehmen, auch wenn man sie nicht immer sofort versteht. Aha, diese Wut will mir etwas sagen, vielen Dank dafür. Wenn ich Ihnen eine Botschaft bringen möchte, aber Sie hören mich nicht, dann werde ich ein bisschen lauter reden. Wenn Sie mich immer noch nicht hören, werde ich schreien. Und wenn Sie mich immer noch nicht hören, dann werde ich Sie rütteln und schütteln. Aber in dem Moment, in dem Sie die Botschaft angenommen haben, werde ich ruhig – so auch die Emotionen. Denn der Botschafter hält seinen Mund, wenn er die Botschaft überbracht hat.

Das heißt, man kann es schaffen, sich nicht von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen, wenn man sie denn rechtzeitig bemerkt.

Ich nenne diese Gefühle „emotionale Welle“. Die geht durch den Körper und möchte mich zu einer Handlung bewegen – vielleicht wegzurennen oder alles kurz und klein zu hauen. Ich kann diese emotionale Welle aber auch einfach beobachten, annehmen und hören, was sie zu sagen hat. Wenn ich etwa wütend bin, ist dem vorher meistens ein Ohnmachtsgefühl vorausgegangen. Dann kann ich Mitgefühl mit mir entwickeln, dass das so in mir entstanden ist. In dem Moment habe ich einen Teil der Botschaft verstanden: Ich habe sie empfangen, angenommen und sie kann abebben, wie eine Welle.

Also auch da wieder: Verantwortung übernehmen.

Ja, nur Sie können Ihr Leben in die Hand nehmen. Wir haben einen Körper mit unglaublich vielen Möglichkeiten. Wir haben den Stressmodus, um unser Überleben zu sichern, wir haben Emotionen, wir haben Verstand, wir haben Herz – aber das sind alles Instrumente, und wir müssen lernen, sie zu bedienen, anstatt uns unbewusst von ihnen bedienen zu lassen. Selbstberuhigung ist ein wichtiger Schritt in die Bereitschaft, diese Verantwortung zu übernehmen.

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16 Kommentare

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  • „in der Allgemeinheit, in der es hier passiert, löst es vermutlich entweder Schuldgefühle aus oder Abwehr, aber wenig Konstruktives.“

    Das trifft möglicherweise auf Sie zu, aber nicht auf mich. Und jetzt fragen Sie sich bitte, warum das bei Ihnen so ist und arbeiten Sie daran. ;-)

  • Wie andere Kommentierende auch schon finde ich das Interview wenigstens teilweise problematisch. Bzw. wenn ich mir genau überlege, was mich an der Ansage stört, dass man bei Stress die eigene Einstellung ändern muss, dann eigentlich nicht so sehr diese Ansage selbst. Sondern eher alles, was dabei konventionell ausgeblendet wird - politische und ökonomische Machtverhältnisse offensichtlich, aber auch kulturelle Voreinstellungen.

    Machtverhältnisse: ich hätte es gut gefunden, wenn die taz außerhalb des Interviews in einem anderen Text mal überlegt hätte, ob nicht Arbeitgeber auch mal Einstellungen ändern müssen und ob Beschäftigten, die unter schlechten Bedingungen arbeiten, wirklich damit gedient ist, die eigene Einstellung für entsprechende Probleme verantwortlich zu machen. Oder ob man dann die Einstellung nicht eher in Richtung von mehr gut organisiertem Protest ändern sollte & nicht in Richtung Akzeptanz.

    Kulturelle Gegebenheiten: Die Liste könnte auch mehr Kontext brauchen. Die Situationen, die darauf auftauchen sind nämlich vor allem extrem unterschiedlich. Einige können wirklich bedrohlich werden, wenn man Pech hat (Straßenverkehr, Geldsorgen), andere würde ich mit ganz anderen Gefühlsbeschreibungen belegen als Stress (bei schweren Krankheiten Nahestehender hätte ich von Angst oder Traurigkeit gesprochen, aber nicht von Stress). Es könnte sich mal wer Gedanken drüber machen, was der kulturelle Kontext ist, in dem Stress eine akzeptable Beschreibung für das alles zusammen ist.

    Heißt: das Interview und die Liste selber wären interessant, wenn sie auf etwas interessante Art kontextualisiert würden.

    Abgesehen davon ist es in einem therapeutischen Kontext zwar bestimmt wichtig, Leuten Alternativen zu eigenen Denkmustern aufzuzeigen, aber in der Allgemeinheit, in der es hier passiert, löst es vermutlich entweder Schuldgefühle aus oder Abwehr, aber wenig Konstruktives.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @stimmeausdemoff:

      Es gibt Menschen, die im Credo der Selbstoptimierung die größte und gefährlichste RELIGION der Gegenwart sehen. Ich verstehe diese Kritik.

      Die Entwicklung innerhalb des Psychotherapie-Sektors von Ende der 1970er bis heute ist für kritische Geister ein Trauerspiel. Vom einstmals emanzipativen Charakter der Psychoanalyse jener Zeit (Stichwort: soubjektiver Faktor im Kapitalismus) ist heute - außer in wenigen, kleinen Nischen - nichts übrig geblieben. Die große Krake hat alles verschlungen und vereinnahmt.

      Ökonomisierung und Fragen der Verwertbarkeit führen das Diktat. Nur zum ****en.

      Leider halte ich dieses Forum nicht als besonders geeignet für solche Themen und würde mich nicht wundern, wenn sich Frau Seyboldt hier wie in der Diaspora fühlen würde.

      Wofür Psychologie u. Psychotherapie da sind, müsste wieder viel stärker in den Fokus rücken. Die Ökonomie ist zu ernst, um sie alleine Ökonomen zu überlassen.

  • Wenn man genau hinsieht, gibt es eine Menge Beispiele für diese Autobahnen.

    - alle Motivationstrainer leben davon



    - niemand wundert sich , wenn jemand nach einem Unfall oder sonst einem traumatischen Erlebnis das Leben "neu sieht".



    - Ich vermute, das auch die positive Bestätigung gegenüber abwertendem Tadel damit zusammenhängt.



    - Autogenes Training arbeitet letztlich genau mit diesem Prinzip.

    Alle Beispiele haben gemeinsam, das der Bewertungsspiegel für eine unveränderbare Situation variabel ist und das es nicht egal ist, welchen wir verwenden.

  • Vorsicht mit vorschnellen Verrissen.

    Ich fühle (nicht denke :-) ), dass nicht jede Person diesen Artikel und darin insbesondere den Abschnitt über die emotionale Welle an sich selbst nachvollziehen kann.

    Ich persönlich kenne diese Wut-Welle, aber ich bin der einzige, in der Familie, der das hin und wieder zeigt.



    Die anderen haben das (glücklicherweise) nicht. Ohne mich würden die das evenutell auch für Blödsinn halten

    Ist übrigens ziemlich blöd so eine emotionale Welle, weil sie einem kurzfristig die Kontrolle entzieht.

    Und ja, man kann so eine aufsteigende Wut beherrschen, in dem man sich als solche erkennt und sich bewusst daneben stellt und sie "beobachtet". Damit verliert die Welle/Wut die Kontrolle. Klappt hin und wieder.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Sonntagssegler:

      Btw: wir könnten auch darüber streiten, was wichtiger ist: die Kontrolle oder die Emotionen.

      Aber nicht auf Talk-show Niveau schwarz- weiß, sondern Wo in welchen Situationen das Eine konstruktiv sein kann, während es in anderen Situationen destruktiv ist.

      Alle Klarheiten beseitigt?

  • Fass mal zusammen - wg gleich mal maln klasse Jazzer in die 80 schaffen!;))

    Wir sind nicht Herr im eigenen Haus -



    Der olle Siegmund F. - Eric Kandel hück



    “Es ist immer noch alles scheiße - aber ich fühl mich viel besser damit“ - by



    Lisa Fitz (?)



    &



    “&! - Die Schokolade hat doch Scheiße geschmeckt!“ - Schrei über See - nach Therapiesitzung allein im Böötchen auf demselben! Klar - du mich auch^!* wa.



    &



    ”Schau wie die Fischstäbchen springen“



    &



    “Gute Reise - altes Salzfass!“ Soweit mal

    Ende des Vorstehenden …servíce.



    &



    Gern&Dannichfür

    kurz - “Ohne Musik (&Humor) wäre das Leben ein Irrtum!“• Friedrich Nietzsche

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Wenn nichts stimmt: mit Ihrem Schlusssatz haben Sie recht, so etwas von recht.

  • Wenn also Leute unter dem Druck vom Chef oder unter allgemein prekären Lebensverhältnissen leiden hat das nichts im Geringsten mit strukturellen, gesellschaftlichen Problem zu tun, sondern ist allein ihrer persönlchen Einstellung Einstellung anzulasten. Sie könnten sich ja einfach entschließen sich nicht stressen zu lassen oder sich einen anderen Job und ein besseres Leben suchen. Und wer nicht weiß ob es noch für die nächste Miete reicht möge das doch bitte als Herausforderung und großartige Chance zur persönlchen Entwicklung begreifen.



    Unterm Strick bleibt das fragwürdige, lateinisch/griechisch verbrämte neo-liberale Ideologie die per Doppeldenk und Joga-Kurs vermittelte Selbstoptimierung anstelle notwendiger, struktureller Veränderungen will.

    • @Ingo Bernable:

      Sie werfen Frau Kundermann vor, dass ihre Ratschläge nicht alles Leid der Welt lindern und die gesamte Menschheit in eine paradiesische Zukunft führen werden. Könnten Sie mir bitte die Stelle im Interview zeigen, wo sie diesen Anspruch erhebt? Überschrieben ist es übrigens mit „Therapeutin gibt Tipps für Entspannung“.

      Anders als Sie habe ich dementsprechend „nur“ einige mehr oder weniger sinnvolle Tipps gelesen, wie man im Alltag unnötigen Stress vermeiden und sich einen anderen Blick auf das eine oder andere Problem antrainieren kann.

      Wenn Sie ein Rezept für die Weltrevolution suchen, sind Sie bei der taz m.E. sowieso an der falschen Adresse.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Das trieft ja nur so vor esoterischer Metaphysik.

    "Wenn ich Sie jetzt aber frage, wie oft Sie im letzten Monat in Lebensgefahr waren …

    In Lebensgefahr? Gar nicht.

    Dann dürften Sie theoretisch nicht ein Mal im Stress gewesen sein. Aber heutzutage entsteht Stress in den befriedeten und wohlhabenden Ländern zu 99 Prozent nicht durch physische, sondern durch emotionale Bedrohungen. Vielleicht waren die in der Evolution gar nicht vorgesehen, jedenfalls reagiert das Gehirn auf den nervigen Chef genauso wie auf den Angriff eines Säbelzahntigers."

    Ja na klar. Und Männer sind vom Mars und Frauen von der Venus.



    Wer ist denn diese Evolution, dass sie irgendetwas "vorsieht". Wer von der Vorsehung redet, betreibt, Religion!

    "Wir haben einen Körper mit unglaublich vielen Möglichkeiten. Wir haben den Stressmodus, um unser Überleben zu sichern, wir haben Emotionen, wir haben Verstand, wir haben Herz – aber das sind alles Instrumente, und wir müssen lernen, sie zu bedienen, anstatt uns unbewusst von ihnen bedienen zu lassen."

    Die instrumentelle Vernunft kann nicht bei allem helfen. "Mein" Körper ist kein Instrument, für niemanden. Ich bin mein Körper.



    Na klar können z.B. Atemtechniken dabei helfen sich zu beruhigen. Aber "die Evolution" hat es ganz bestimmt nicht "vorgesehen", dass wir verantwortlich handeln. Der "Stressmodus" existiert auch nicht, u m uns das Überleben zu sichern, sondern w e i l er in der Vergangenheit das Überleben gesichert hat oder dafür zumindest nicht hinderlich war.



    In diesem Sinne könnte der "Stressmodus" auch verschwinden, wenn er sich in einer menschlichen Population nur lange genug als hinderlich für die Fortpflanzung erweist. Das kommt aber auf die Kultur an und die unterliegt noch immer unserer Entscheidung. Ob und wie weit wir die Körper, die uns ausmachen, instrumentell nach kulturellen Vorgaben her- oder zurichten, ist eine kulturelle Frage. Insofern "müssen" wir da gar nichts lernen, aber wir können.



    Was ich gar nicht so schlecht fände.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Da kommt natürlich dann einer und muß da seinen negativen Scheiß reinkotzen.

      Sorry, da ich nicht dafür verantwortlich bin, daß Sie sich gut fühlen, sage ich's einfach mal ungefiltert.

      Das dürfen Sie jetzt auch...

  • 9G
    94066 (Profil gelöscht)

    Ja, noch so ein Buch. Die vereinfachte Darstellung des doch sehr komplexen stressverarbeitendem Systems mag der Leserin eine gewisse Idee vermitteln, an welcher Stelle sie individuell ansetzen kann. Aber dieser unreflektierte Reduktionismus und die Botschaft: übernimm nur Verantwortung, aha das soll die Lösung aller Problme sein ? Als langjährig in unterschiedlichen Kontexten arbeitende Kassenpsychotherapeutin finde ich solche Vereinfachungen oft komplexer ineinander verschränkter psychischer, sozialer und gesellschaftlicher Problematiken etwas leichtfertig. Es mag ein bestimmtes Milieu ansprechen, oft junge Frauen (z.B. der Hype um Laura Seiler). oder auch in sog. Managerseminaren unterhaltsam und auch an manchen Stellen hilfreich sein. Aber letztlich hält doch ein gewisser unreflektierter neoliberaler Geist mit Einzug. Vielleicht mal Eva Illouz lesen, auch wenn die sich nicht so einfach lesen läßt.

  • Vielen Dank für das Interview. Wenn ich das so lese, denke ich, wir sollten vielleicht alle gelegentlich zum Therapeuten, um sozusagen wieder richtig eingestellt zu werden...

    Beachtlich, was wir heute alles wissen und verstehen können. Schade, daß unsere Eltern und Großeltern (die es dringend nötig gehabt hätten) diese Möglichkeiten noch nicht hatten. Nach dem Krieg hätte im Grunde ganz Deutschland eine Therapie gebraucht.

    Wenn ich an meinen Großvater denke, dem als Junge die NAPOLA angetan wurde, und die zu Fuß aus Ostpreußen fliehende Großmutter, was hätte denen später eine Psychotherapie ersparen können. Aber der Opa hat noch auf dem Sterbebett den Psychologen achtkantig rausgeschmissen. Das galt bei denen noch als Schande.

  • Das ist doch Käse. Das typische Therapeuten-Geschwafel nach dem Motto: du musst nur anders denken und schon bist du wieder eine produktive Arbeitskraft.



    Anstatt unsere repressive Welt und Gesellschaft zu verändern sollen wir uns lieber anpassen, die Schnauze halten und fleißig Produktivkräfte freisetzen. Sonst wird das nix mit den ca. 2% Wirtschaftswachstum. Das ist echt für die Tonne.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Ein Schelm:

      Eine etwas verkürzte Sicht der Dinge, die Sie da präsentieren, Sie Schelm!

      (Auch) unter Psychotherapeuten gibt es - wie unter allen Berufsgruppen - mainstream und alternative Methoden. Seitdem die Verhaltenstherapie (VT) ihren - für mich: unheilvollen - Siegeszug angetreten ist, ist eine Zurückdrängung emanzipativer Ansätze, die anders als die VT funktionieren (wie etwa Psychoanalyse, Körpertherapien, Hypnoseverfahren ...) zu beobachten.

      Ein wesentlicher Grund: die VT ist wegen ihrer Kurzfristigkeit erst einmal für die Krankenkassen kostengünstiger als andere Methoden.



      Und dass dies mit Produktivität und Effektivität zu tun hat, liegt auf der Hand. Es gilt aber auch, dass dies zulasten der Gründlichkeit geht.

      Ich weiß nicht, ob es entsprechende Untersuchungen gibt, aber ich bin sicher, dass die Folgekosten einer an Symptomen herumkurierenden Therapie wesentlich höher sind als eine sofort richtige.

      Dass hier das gleiche System wirksam ist, dass auch die Politik durchzieht, kann nicht verwundern. Politiker denken auch nur in kurzen Zeit-Abschnitten (Legislaturperioden). Danach gilt das Motto: "nach mir die Sintflut". Allüberall zu besichtigen.

      Ihre abwertende und umfassende Konnotation von Therapie und Therapeuten wird dem leider nicht gerecht. Das Dilemma alles Apodiktischen.