piwik no script img

Kolumne Fremd und befremdlichKlebt, Kinder, klebt!

Ein guter Lehrer beeinflusst seine Schüler unweigerlich durch sein Vorbild. Also ist ein guter Lehrer auch ein Antifaschist – sonst wäre er als Vorbild nicht geeignet.

Auch außerhalb der Schule macht Sticker-Kleben Spaß Foto: dpa

Jugendliche verkleben politische Sticker in der Schule. Das ist nichts Besonderes. Ich glaube, das tun sie schon immer und überall. Natürlich sind sie überzeugt von dem, was sie tun, aber auch die nicht so Überzeugten kleben gerne, zum Spaß und wegen der Aufregung. Das Kleben ist so einfach und so schön, es gibt ja kaum was Besseres, als so einen frischen Aufkleber vom Papier zu ziehen und irgendwo anzukleben, wo es nicht erlaubt ist.

Als ich in dem Alter war, in dem sich die Oberstufenschüler der Hamburger Ida-Ehre-Schule jetzt befinden, da sollten wir uns im Unterricht mit polnischer Kultur auseinandersetzen. Polen war ein sozialistisches Bruderland und unsere Schule hieß nach einem polnischen General. Ich suchte mir mit einer Freundin polnische Karikaturisten aus, deren gesellschaftskritische Zeichnungen uns sehr gefielen. Wir fertigten eine Wandzeitung an, die wir, wie tatsächlich unser Auftrag war, in der Nähe des Lehrerzimmers aufhängten. Unser Beitrag hing nicht einen Tag. Er wurde abgehängt und vernichtet.

Ich wünschte, wir hätten Aufkleber gehabt, von jeder einzelnen Zeichnung, und wir hätten sie hundertfach an die Wände kleben können, dann hätten sie sich wenigstens die Mühe machen müssen, sie von den Wänden abzupulen. Die Schule heißt lange nicht mehr nach dem General und die Lehrer sind nicht mehr im Dienst.

Mittlerweile ist Gesellschaftskritik auch in der Schule zugelassen. Aber auch wir hatten damals vereinzelt andere, gute Lehrer, mit denen man ernsthaft und offen diskutieren konnte, Lehrer, die uns beeinflussten und formten, denn das ist es, was ein Lehrer unweigerlich tut, wenn er ein guter Lehrer ist, er beeinflusst die Schüler, durch seine Haltung und seinen Charakter, durch sein Vorbild.

Ich hoffe, dass jeder Lehrer in unseren Schulen in unserem Land ein Antifaschist ist
Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Und wenn er ein Antifaschist ist und ich hoffe, dass er das ist, ich hoffe, dass jeder Lehrer in unseren Schulen in unserem Land ein Antifaschist ist, denn wenn er dies nicht wäre, dann wäre er als Vorbild, als Lehrer, ungeeignet – dann wird er diese Haltung in sein Leben, in sein Unterrichten, mit hineintragen. Es ist in einem Land mit einer solchen Geschichte unbedingt notwendig, dass der Unterricht antifaschistisch gefärbt ist. Es ist mir ein Rätsel, wie dies außer Frage stehen kann.

Was die AfD angeht, mit ihren Extremismus-Vorwürfen, denen sollte man einfach nicht zuhören. Die AfD interessiert sich doch einen Dreck um demokratische Werte, die AfD wird doch selbst vom Verfassungsschutz kritisch beäugt, deren Jugendorganisationen als extremistisch eingestuft.

Dass sie sich über Schüler empört, die sich gegen Faschismus engagieren, ist erwartbar, das hat, und das ist der erfreuliche Teil der ganzen Geschichte, diesen Aufklebern und insbesondere der Antifa Altona-Ost eine richtige Popularität eingebracht.

Werbung für die Antifa Altona-Ost

Zuerst waren die Aufkleber nur an einer Schulwand, jetzt sind sie im Fernsehen und in allen Tageszeitungen, jetzt sind diese Jugendlichen so eine Art Widerstandskämpfer geworden, und nun hat die Schulbehörde, mit einem ängstlichen Ties Rabe, auch noch die Elternschaft und die Schulen gegen sich aufgebracht. Die AfD sollte sich fragen, wie viele neue Anhänger die Antifa Altona-Ost jetzt durch diese Aktion hinzugewonnen hat. Denn wie eine Welle ging der Protest dagegen durch die Schulen.

Und wie hat sich das wohl angefühlt, für die, die eine Wandtafel abhängten, im Auftrag der Demokratie und der Neutralität? Für die ganz Dummen unter den Kommentierenden: Ein Hakenkreuz ist nicht so etwas Ähnliches wie ein Antifa-Zeichen. So wenig wie Adolf Hitler so etwas Ähnliches ist wie Rosa Luxemburg.

Dass die Schulbehörde dann einen „Experten“ wie Alexander Wolf, Fraktionsvorsitzenden der AfD-Bürgerschaftsfraktion, einer Schule vermittelt, um im Rahmen eines „EU-Projekttages“ über „Extremismus und dessen Prävention“ sowie „Menschenrechts- und Demokratiefeindlichkeit“ zu sprechen, klärt mich endgültig über das Hamburger schulbehördliche Verständnis von Neutralität an Schulen auf. Halleluja! Klebt, Kinder, klebt!

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Die Ida-Ehre-Schule wird für ihr Engagement ausgezeichnet und der Rabe geht - Was sonst?