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Promi-Bäcker über sein wildes Leben„Saufen bringt nur kurzzeitig was“

Jochen Gaues war als „Promi-Bäcker“ auf Partys und in den Medien, dann kamen Hygieneprobleme und zwei Insolvenzen.

In der Regenbogen-Presse nannten sie ihn „Champagner-Jochen“: Bäcker Jochen Gaues Foto: Miguel Ferraz
Jan Paersch
Interview von Jan Paersch

taz: Herr Gaues, Sie sind einer der bekanntesten Bäcker Deutschlands, haben in Norddeutschland mittlerweile 18 Filialen. War Ihre Karriere durch Ihre Eltern vorgezeichnet?

Jochen Gaues: Meine Eltern sind beide Akademiker, ich dagegen habe nur einen Hauptschulabschluss. Mit acht Jahren sind sie mit mir zum Psychologen gegangen, weil ich immer Bäckereien gemalt habe. Andere haben Autos gemalt, ich Bäcker. Meine Eltern hielten mich für hochintelligent. Aber der Psychologe meinte: „Der will wirklich nur Bäcker werden.“ Allerdings war mein Onkel Bäcker, das hat mich wohl geprägt. Ich habe dann mit 16 eine Lehre gemacht. Sieben Jahre später habe ich mich selbständig gemacht. Das ist jetzt genau 30 Jahre her.

Kennen Sie Ängste?

Früher hatte ich Existenzängste. Mittlerweile war ich zwei Mal insolvent, jetzt weiß ich, wie es läuft. Es ist so, wie es ist.

Eine dramatische Scheidung haben Sie auch erlebt, sie verloren teure Autos und ihr Eigenheim. Das muss Ihnen doch schlaflose Nächte bereitet haben.

Richtig schlecht ging’s mir vor drei Jahren. Mir war immer schwindelig, ich hatte einen irre hohen Blutdruck. Ich hatte richtig Angst. Da haste zwei Pleiten überlebt, bist daraus gestärkt hervorgegangen und stirbst ganz jämmerlich. Also habe ich 20 Kilogramm in drei Monaten abgenommen.

Sie haben dem Alkohol immer viel zugesprochen …

Ich hab’s richtig krachen lassen. Ich bin immer einen saufen gegangen, habe aber auch Leute kennengelernt, die Ahnung hatten. Sonst hätte ich längst eine Leberzirrhose. Ich hatte einen Weinkeller mit 400 Kisten Bordeaux, Grand Cru Classé. Ich konnte jede Marke Champagner am Geschmack erkennen. Mein Schweizer Onkel sagte: Du musst deine Freunde in der Branche haben und dich mit Essen und Trinken auskennen. Er hat mir kistenweise Wein subskribiert. Irgendwann kam eine Rechnung. Ich bin aus allen Wolken gefallen: Ich sollte 30.000 Franken für 30 Kisten zahlen. Heute wären die vielleicht eine Million wert.

Bereuen Sie die Trinkgelage?

Saufen bringt nur kurzzeitig was. Früher war es einfacher, danach wieder zur Arbeit zu gehen. Aber: Wenn ich irgendwo versacke, bin ich trotzdem am nächsten Tag in der Backstube. Vielleicht etwas später. Ich beobachte schon eine gewisse Unruhe in mir, wenn ich fünf Tage nicht getrunken habe. Wenn ich das schon so sage, dann muss da eine gewisse Abhängigkeit sein.

Bruce Willis hat Brote gekauft, und durfte sie nicht mit ins Flugzeug nehmen, weil die für Bomben gehalten wurden

Wie kam es zur ersten Insolvenz im Jahr 2002?

Die erste Insolvenz kam, weil ich viel zu überheblich war. Wir haben viel zu viel Geld ausgegeben. Wir hatten einen Kassenbestand von 200.000 Euro, aber die waren nicht da. Ich habe alles, was nicht schuldenbelastet war, an meine damalige Frau übertragen. Dann hat sie die Scheidung eingereicht und dann sollte ich 10.000 Euro Unterhalt im Monat zahlen.

Sie mussten wieder von vorne anfangen.

Wir haben so eine kleine Pimmelbäckerei aufgemacht, für die wir 500 Euro Miete gezahlt haben. Da war ein Ofen von 1968 drin. Wir bekamen immer mehr Zulauf, alle fanden das Brot geil. Bruce Willis hat dann Brote gekauft, und durfte sie nicht mit ins Flugzeug nehmen, weil die für Bomben gehalten wurden. Das war natürlich super PR. Aber um die Buchhaltung haben wir uns nicht gekümmert. Wir haben so viel Geld verdient, das glaubste gar nicht. Meine zweite Frau Betti hat mir einen Ferrari zum Geburtstag geschenkt.

Ist Ihre Frau auch in der Backstube aktiv?

Sie war meine Backstubenleiterin, daher kennen wir uns. Wir teilen uns die Arbeit, sie kommt auch mit auf Messen. Betti schaut genau wie ich nach dem Teig. Beim Ciabatta machen wir immer 100 Kilo. Da kommen 45 Kilo Sauerteig ran, 60 Liter Wasser und eine Schaufel Salz, keine Hefe, außer wenn es wirklich kalt ist. Dann geht es um die Knetzeiten. Wie viel Wasser kommt zu Anfang rein? Wie warm ist es in der Bäckerei? Wann schiebst du die Brote in den Ofen? Es ist die Summe der Kleinigkeiten.

Sie haben zu Ihren besten Zeiten mehr als 60 Köche mit mindestens einem Michelin-Stern beliefert, in ganz Deutschland.

Cornelia Poletto und Tim Mälzer in Hamburg, Sven Elverfeld in Wolfsburg, die halten noch immer die Fahne für mich hoch. Ich habe sie alle beliefert, das Drei-Sterne-Restaurant Aqua in Osnabrück, Ali Güngörmüș in München, sogar nach Paris gingen die Pakete. Ich dachte, daher kommen die Baguettes?! Die kriegen Ware per UPS, für schlappe 400 Euro im Monat. Aber es lohnt sich, die sind wie Außendienstmitarbeiter, die keine Kohle kriegen.

Sie waren ständig auf Partys, hatten in der Presse bald Ihre Spitznamen weg: „Champagner-Jochen“, oder „Dieter Bohlen der Backstube“.

Ich hatte positive Presse, ganz, ganz positive Presse und ganz schlechte Presse. Ich war weder in Kundus noch in Haiti und war angeblich dennoch im Gespräch fürs Bundesverdienstkreuz. Ich habe den Bundespräsidenten mit meinem Brot beliefert! Und nur ein halbes Jahr später wurde überlegt, ob meine Frau, die als Geschäftsführerin fungierte, Berufsverbot bekommen soll. Als wir zuvor geprüft worden waren, wurde nur eine einzige Sache beanstandet: Am Carport sei etwas dreckig. Das war alles. Dabei sah es in der Bäckerei aus wie Sau, da war eine Strohdecke drin. Wir waren betriebsblind, haben das gar nicht wahrgenommen.

Im Interview: Jochen Gaues

geboren 1966 als Sohn eines Chemikers, wuchs im Landkreis Friesland und in Hannover auf. Nach Bäcker- und Konditorenlehre machte er sich 1989 selbständig und eröffnete stetig neue Filialen in Norddeutschland. Als „Promi-Bäcker“ war Gaues dauerpräsent in den Medien, belieferte Starköche in ganz Deutschland und die deutsche Fußballnationalmannschaft. Nach zwei Insolvenzen ist Gaues nur noch Teilhaber der Bäcker Gaues GmbH.

Das waren unappetitliche Geschichten, da war die Rede von Mäusekot in der Backstube.

Heute achte ich da mehr drauf, früher standen die Brotkörbe halt auf dem Boden, da habe ich nie drüber nachgedacht. Die Hygienebestimmungen sind aber zum Teil auch seltsam. Es muss gar nicht wirklich sauber sein, es muss nur protokolliert werden. Wenn du einen Bartschutz trägt, musst du dich tierisch jucken, und dann gehen die Haare erst ab. Mäuse gibt es überall. Aber dann musst du den Müll eben zwei Mal die Woche abholen lassen. Das kostet. Wir zahlen heute 4.500 Euro im Monat nur für die Müllabfuhr, sind deshalb zum Wachsen verdonnert. Damals war das scheißegal, wir haben alles in einen Presscontainer geworfen.

Aber es dauerte Jahre, bis das Gesundheitsamt dann 2011 Ihre Backstube beanstandete.

Erst, als ich durch die Sache mit dem Bundespräsidenten richtig bekannt geworden war, hatten wir auf einmal 160 Beanstandungen. Da gab es den Hygieneskandal. Die hatten es auf uns abgesehen, der Typ vom Amt meinte: „Ihnen nehmen wir den Ferrari noch ab!“ Da meinte ich: „Ich hab doch zwei, du Pfeife.“ Das war ein Fehler.

Und ihre Promikunden haben Ihnen die Hygieneprobleme nicht übel genommen?

Cornelia Poletto hat gesagt, bei dem Gaues müsse man sich das eben gefallen lassen, sonst bekäme man keine Ware mehr. Fand ich gut. Der Mälzer hat auch zu mir gehalten. Du musst allerdings aus deinen Fehlern lernen. Wenn du das nicht tust, hast du keine Berechtigung mehr, am Markt zu sein. Wenn das noch ein drittes Mal passiert, stehe ich nicht noch mal auf.

2013 sind Sie ein zweites Mal insolvent gegangen.

Die Banken geben dir nur einen Schirm, wenn die Sonne scheint. Wir hatten damals 2,5 Millionen Euro Umsatz. Es war ein Fehler von mir, zu denken, dass ich das Geschäft allein führen kann. Ja, wir haben Steuern hinterzogen, blöde Idee. Aber es sollten 1,8 Millionen Nachzahlung und 300.000 Euro Strafe sein – absurd. Ich habe ja keine Koffer voller Geld verschwinden lassen.

Ihre Frau Betti war offiziell Geschäftsführerin, ihr drohte eine Gefängnisstrafe.

Fünf Jahre sollte meine Frau einfahren! Da war der Deal besser, Insolvenz anzumelden. Jetzt bin ich pleite auf Lebenszeit. 880.000 Euro muss ich abbezahlen, die Sparkasse hat mein Haus verkauft. Freunde meinten zu mir: „Ach, Jochen, du hast doch schon das Doppelte von dem versoffen, was die von dir haben wollen.“

Sie sehen das also ganz locker?

Man zahlt schon einen Preis. In der Zeit wurde meine Frau schwer krank, hatte einen Schlaganfall. Und dann bekam sie solche Rückenschmerzen, dass sie kaum noch laufen konnte. Ein toller Professor hat sie dann gerettet, den kannte ich vom Saufen.

Was bedeutet Ihnen Familie?

Als ich geschäftlich in New York war, kam ich mir vor wie ein kleiner Junge. Ich konnte das gar nicht genießen, ich fahre auch nicht gerne in den Urlaub. Sechs Tage hatte ich Betreuung rund um die Uhr, und acht Tage war ich alleine. Das war eine Katastrophe. Mit den Amis komme ich gut klar, auch wenn das Brot furchtbar ist. Ich hab ja lieber oberflächlich Nette als echte Arschlöcher. Dennoch bin ich am liebsten da, wo die Familie ist. Meine Frau sagte sogar schon: Jochen, du klammerst so. Mit Stiefkindern habe ich insgesamt acht Kinder.

Wie läuft das Geschäft aktuell?

Sehr gut. Es gibt nun eine andere Geschäftsführerin, ich bin nur noch Teilhaber, über meinen Sohn. Unsere Backstube hat aktuell nur 200 Quadratmeter, das ist viel zu wenig, wir müssen expandieren. Wir haben aktuell auch nur 24 Bäcker, die haben viel zu tun, weil es wirklich Handarbeit ist. Wir werden sicher nicht automatisieren, ich werde niemals etwas an den Abläufen ändern. Der Ofen läuft rund um die Uhr, in drei Schichten wird gearbeitet.

Wie sind Ihre Margen beim Backen?

Ein Ciabatta kostet bei uns vom Wareneinsatz 10 bis 15 Cent, im Laden kostet es 5 Euro. Und die dummen Bäcker jammern, dass sich die Getreidepreise verdoppelt haben! Jetzt müssen die Armen statt einen Cent zwei für die Getreidemenge eines Brötchens ausgeben.

Was halten Sie von Bio-Siegeln?

Das ist Verarsche. Außer Demeter, das ist top. Das schmeckste. Ich sage voraus: Der nächste Skandal wird Bio-Getreide betreffen. Wir verwenden kein Bio-Getreide, aber Backtriebmittel oder Phosphat gibt es bei Gaues nicht. Es kommt uns zugute, dass die anderen Bäcker so scheiße sind. Hört sich arrogant an, aber es ist so.

Wie sind Sie wieder aus den Schulden rausgekommen?

Friedrich Knapp, der Besitzer der Kette New Yorker, hat mich gerettet. Der hat mir das Geld ohne Vertrag gegeben. Das war wie beim Monopoly, nur mit echtem Geld. Der ist durchgeknallt wie ich, aber anders. Der trinkt auch keinen Alkohol. Er hat mir eingebläut: Fehler nur einmal machen. Und: keine anderen dafür verantwortlich machen. Er hatte recht. Ich bin ja nicht wie Trump, nein, ich war immer selber schuld.

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5 Kommentare

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  • Zitat: „Ich bin ja nicht wie Trump, nein, ich war immer selber schuld.“

    Immerhin. Wer so denkt, kann noch was lernen. Wenn auch vielleicht nur aus den Fehlern, die er sich selber immer wieder erlaubt. Wenn allerdings jemand gezwungen wird, ein und den selben Fehler ständig zu wiederholen (etwa, weil die Eltern aus ihrem angeblich hochbegabten Jungen unbedingt einen – vollkommen untalentierten – Chirurgen oder Architekten machen wollen statt eines Super-Bäckers), wird das ganz schwierig mit dem Fehlereingeständnis. Man ist ja dann nicht eigentlich Schuld. Man kriegt die Schuld nur aufgeladen von denen, die angeblich alles richtig gemacht haben. Und dann wird man irgendwie lernresistent. Sagt jedenfalls meine - gewiss unmaßgebliche - private Erfahrung.

  • Ein Schaumschläger unter Schaumschlägern. Ein gutes Beispiel dafür, wie viel Luft nach oben bei der Steuerhöhe noch ist.

  • Endlich mal ein differenzierter Blick auf das Thema Saufen.

    Ich kannte Herrn Gaues ehrlich gesagt vorher nicht. Aber die Art, wie alles völlig ungefiltert aus ihm herausbricht ist irgendwie sehr sympathisch.



    "nein, ich war immer selber schuld" wenn wir alle bloß so einsichtig sein könnten!

  • So viel Kohle einsacken, 5€ für ein Ciabatta verlangen und dann Steuern hinterziehen...Äußerst sympathisch...

    • 9G
      90118 (Profil gelöscht)
      @Kreuzbergerin:

      das system ist das problem.



      gib wenig - nimm viel.



      das versteht schon jedes kind.



      wenn dabei - wie in diesem fall - noch gutes handwerk eine rolle spielt und angestellte bezahlt werden ist eigentlich alles wie es sein muss, im kapitalismus.



      die gute qualität ist dabei sicher eine ausnahme, oft genügt untere mittelklasse, weil die käufer den unterschied nur ausnahmsweise bemerken.