: Radikalangepasst
Früher Straßenschlachten mit der Polizei, heute Latschdemosfürs Klima. Wie rebellisch ist die Jugend?
Klaus Farin, Autor
Die Forderungen sind radikal, der Protest aber erscheint friedlich. Zwischen „Kohleausstieg – jetzt!“- Transparenten und Forderungen nach einem kompletten Lebenswandel drängeln sich Grundschüler in Zweierreihen, Jugendliche mit Bierflaschen und Väter mit Babytragetüchern dicht an dicht auf der Fridays-for-Future-Demo in Berlin. Ist das Rebellion?
„Nein“, sagt der 18-jährige Justus, „es ist ein Aufschrei“. Eine Rebellion sei radikaler: etwas bewusst anders machen als die Eltern etwa. Er verweist auf die Baggerbesetzungen von „Ende Gelände“ – das sei Rebellion. Für die 14-jährige Manon sind Rebellionen aggressiv. Mit dieser Haltung ist sie nicht allein, viele der Demo-Teilnehmer*innen bezeichnen die Proteste nicht als Rebellion, möglicherweise als den Anfang einer solchen. Oder, wie der 21-jährige Savinien sagt, als „sanfte, gewaltfreie Rebellion“.
Die Definition von Rebellion ist umstritten – auch unter Expert*innen. Holger Ziegler, Erziehungswissenschaftler an der Uni Bielefeld, versteht darunter eine „widerständige Aktion gegen erfahrene Ungerechtigkeit“, die sich meist gegen Mächtige richte. Für Autor Klaus Farin, Mitbegründer des Archivs der Jugendkulturen e. V., ist Rebellion ein „öffentlicher Widerspruch in meist organisierter Form“, der sich nicht zwangsläufig gegen etwas Konkretes richte.
Die Ziele der Fridays-for-Future-Demo sind vielfältig und konkret. Eher Protest als Rebellion also?
„Wir hatten seit einem halben Jahrhundert nicht mehr eine so angepasste, leistungsorientierte und friedliche Jugend wie heute“, sagt der 61-jährige Farin und zieht Parallelen zu den Jugendlichen der 50er Jahre. Der Unterschied: Heute komme der Druck, sich gesellschaftskonform zu verhalten, nicht mehr von außen, sondern sei verinnerlicht. An dieser neoliberalen Grundstimmung werde nicht gerüttelt, darin sind sich Farin und Ziegler einig. Stattdessen würden lediglich einzelne Facetten des Systems kritisiert.
Protestiert werde trotzdem, sogar mehr als früher und nicht weniger radikal. „Ich wohne in St. Pauli“, sagt Ziegler lachend und bezieht sich auf die G20-Proteste vor zwei Jahren, die den Berliner Straßenschlachten zwischen Hausbesetzer*innen und Polizist*innen in den 80er und 90er Jahren in wenig nachstehen.
Doch Protest besteht nicht nur aus brennenden Barrikaden. Auch das Theater kann ein Ort des Protests sein. Die 25-jährige Josephine Witt ist Regiestudentin in Berlin und bezeichnet sich als rebellische Person. In radikalen Aktionen aber auch und vor allem im Theater. Rebellion ist für sie etwas Kraftvolles, Elektrisierendes, „ein Synonym für Lebendigsein, weil Menschen dabei an Grenzen geraten, diese aufheben, erweitern oder sprengen“. Im Theater könne man Ablehnung und Kritik wirkungsvoll inszenieren.
Die jungen Klimaaktivist*innen bei Fridays for Future sehen sich selbst nicht als Rebellen. „Das ändert aber nichts daran, was sie machen: auf die Straße gehen, gegen die Politik rebellieren“, sagt Josephine Witt.
Sprache verändert sich. Wenn die jungen Menschen ihre Bewegung nicht als radikale Rebellion bezeichnen möchten, dann eben als sanfte. Nicht das Wort zählt, sondern die Handlung.
Alexander Rothe, Paula Wallmeyer
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