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Edutainment als Körper-TheaterWilde Party im Verdauungstrakt

„Es war einmal … das Leben“: In Hannover wird aus dem 80er-Jahre Zeichentrick drogengesättigtes Thriller-Theater.

Raus aus der Komfortzone, rein in die Debatten: gesellschaftliche Transformation, nicht in der Politik angesiedelt, sondern im Labor Foto: Karl-Bernd Karwasz

Verständnis kommt von Wiederholung, heißt es am Anfang – gleich mehrfach. Dieser monoton vom Blatt gelesene Vortrag dümpelt vorsätzlich irgendwo zwischen Stückeinführung und Lecture-Performance herum und macht einem das Hirn weich für das, was da kommen soll: ein Trip längs durch den Körper und quer durch Debatten, die sich verschoben haben, seit all das hier mal neu war. „Es war einmal … das Leben“ steht im Schauspielhaus Hannover auf dem Programm. Aber nach dem 1980er-Jahre-Zeichentrickspaß mit pädagogischem Mehrwert sieht hier nun wirklich so gar nichts aus.

Science-Fiction war das damals, mit rundlichen Fluggefährten und ultramodernen Schulterpolstern auf den Uniformen der Gesundheitspolizei. Albert Barillé selbst wiederum hat seine Zeichentrick- und Sachbuchreihe als Western verstanden, in dem aufrechte weiße Blutkörperchen grässliche Mikroben bekämpfen, um hilflose rote Blutkörperchen zu beschützen.

In Hannover inszeniert Łukasz Twarkowski statt Science-Fiction und/oder Western einen drogenübersättigten Agententhriller, der seine Widersprüchlichkeit bis zum Ende entschlossen verteidigt. Seit sie sich medizintechnisch leichter führen lassen, sind die körperinneren Scharmützel gegen kleine Wehwehchen nämlich eigentlich keine Geschichten mehr wert. Hier heißt es: Alle gegen alle. Der Krebs will wachsen, die anderen Zellen wollen ihre Ruhe haben – und die Botenstoffe machen irgendwann sowieso, was sie wollen.

Das Körperinnere als Club

Die Termine

Weitere Termine: 22.3., 19.30 Uhr, 9. + 27.4., 19 Uhr, Hannover, Schauspielhaus

Auf der von Fabien Lédé gestalteten Bühne erscheint das Körperinnere als dunkler Club mit wabernden (und von Bogumił Misala lautgedrehten) Beats. Was vom Geschehen überhaupt ersichtlich ist, wird oft nur wackelig und live auf einen Riesenbildschirm projiziert, der mittig über der Bühne schwebt. Die Akteur*innen selbst sind öfter mal weg – zum Beispiel auf dem abgesenkten Bühnenboden in die Tiefe gefahren, um dort eine Party zu feiern. Vermutlich. Vom Parkett bleibt nur der Blick auf ein Loch, in dem es irgendwie wild flackert und in das von oben eine Nebelmaschine ihre Schwaden herunterkübelt.

Es gibt jedenfalls ordentlich was zu gucken. Und wer sich auf das installative Arrangement aus hektischem Video, dröhnendem Sound und etwas Schauspiel einlässt, der bekommt hier tatsächlich eine intensive Körpererfahrung geboten, die es knacken lässt im Hirn – und die Zeit zum Drüber-Nachdenken gleich mitliefert. Wer da nicht reinkommt, hat allerdings einen harten Abend vor sich: Über vier Stunden geht der Spaß, wobei sich die Dramaturgie ihr eingangs verkündetes Credo von der Wiederholung als Wurzel des Verstehens ganz offensichtlich sehr zu Herzen genommen hat.

Attacke! Albert Barillé zeichnete die weißen Blutkörperchen als Gesundheitspolizei Foto: Studio Hamburg Enterprises

Schnell erzählter Plot – und viel Meta

Dabei ist der Plot im Grunde sehr schnell erzählt: Vater liegt mit Tumor im Koma, sein Sohn ist der Boss einer gentechnischen Hexenküche, hat höchst experimentelle (und nicht ganz legale) Therapien im Ärmel und denkt nun über deren Einsatz nach. Alles andere ist meta.

Erinnerungen an früher flimmern über die Leinwand, eine Filmproduktionsfirma arbeitet an dem Stoff, den wir auf der Bühne bereits sehen, im Körperinneren beginnt der besagte Gaga-Thriller …. Vorerst vergessen können Sie die Zeichentrick-Vorlage. Ausdrücklich vor kommt die nur ganz kurz einmal, weil eine der Figuren die Titelmelodie als Handyklingelton eingerichtet hat: „Spürst du es in dir? / Das schöne Leben mit seiner Kraft / Fühl’ wie es pulsiert“, und so weiter.

Ob man will oder nicht: Was damals noch als maßvoll aufgepeppte Bio-Nachhilfe durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen geisterte, sieht heute aus wie eine Werbekampagne der Pharmaindustrie. Vielleicht liegt es am zwischenzeitlich entschlüsselten Genom, vielleicht am Steildrehen des technischen Fortschritts, vielleicht haben uns die Impfgegner mit ihrem Irrationalismus angesteckt – es ist egal. Über den gesunden Normkörper als heiliges Dings lassen sich keine guten Geschichten mehr erzählen. Und es leuchtet ein, heute das Unbehagen am medizinischen Komplex in den Mittelpunkt zu rücken, auch wenn die Alternativen von Homöopathie bis zum Untätig-verrecken-Lassen auch nichts besser sind.

Die 80er sind vorbei

Twarkowskis bio-ethische Frage bleibt ohne Antwort, aber zumindest die Eckpfeiler sind eingeschlagen: Über das Labor, das auf der Bühne als fahrbarer Guckkasten kreist und Assoziationen an eine Raumstation weckt, heißt es aus dem Off: „Das ist ein toller Ort, in dem Gesellschaft transformiert wird“. Nicht Politik mache das, sondern Wissenschaft. Die finden etwas heraus und danach verhalten die Menschen sich anders: Seit Pasteur wäscht man sich die Hände, später fing man an, sich impfen zu lassen – und bald schneidet man eben die Gendefekte aus der DNA.

Zu sich findet diese Debatte in einer kleinen Talkrunde, die in verschiedenen Szenen etwa im Autoradio als Soundtrack läuft und dann auch tatsächlich auf der Bühne stattfindet. Da ist der Ethiker als Angstmann ohne Biss, die Gentechnikerin mit der aggressiven Rechthaberei instrumenteller Vernunft und ein Biohacker, der zwar ein Idiot ist, aber immerhin einen guten Kronzeugen dafür abgibt, was passiert, wenn die Technologie in die falschen Hände gerät. Es ist wirklich lustig, Mathias Max Herrmann dabei zuzusehen, wie er als Talkmaster die Plattitüden seiner Gäste moderiert – und es ist traurig, dass die öffentliche Debatte tatsächlich kein Stück weiter ist.

Die Zutaten für diesen Theaterabend sind jedenfalls toll. Und wenn jemand den Mut hätte, ihn um mindestens eine Stunde zu kürzen, dann würde das auch alles ganz wunderbar. Am Premierenabend allerdings ging es nicht auf, die kurzen Textphasen in rauschhaften Clubszenen einsickern zu lassen, um sie da wachsen zu lassen. Das überdominante Hintergrundrauschen verzettelt sich in unklar platzierten Rückblenden, überlangen Monologe und pseudo-technokritischen Irritationen da, wo alles nach Klärungsbedarf schreit.

Und wie gesagt: Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung. Nach der Pause blieben am Premierenabend zahlreiche Plätze leer. Aber so ist es ja immer, wenn man Berauschten zuschaut: Es ist eine Offenbarung für Mittrippende, für alle anderen sind sie vor allem laut und unangenehm.

Unbedingt zu verteidigen ist Łukasz Twarkowski hingegen da, wo er sich der elaborierten Diskussion verweigert und lautstark einfordert, die Komfortzone nun endlich zu verlassen. Weltfremde Ethik bringt uns nicht weiter, die denkfaule Rechthaberei der Technokrat*innen noch weniger. Es gibt da schon eine Botschaft, die aus allen Facetten dieser Chaosnummer schreit, und die ist wichtig: Die 80er sind vorbei – und es wird wirklich Zeit, langsam mal weiterzumachen.

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