piwik no script img

Sarah Kuttner über Brandenburg„Ich mag das Unberlinerische hier“

Ihr neuer Roman erzählt von einem Paar, das aus Berlin nach Oranienburg zieht – Sarah Kuttner kennt die Gegend gut, besitzt hier Bungalow und Garten.

Sarah Kuttner hat zum Interview Kaffee mitgebracht; es ging den Grabowsee bei Oranienburg entlang Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz
Interview von Thomas Winkler

Berliner Kennzeichen, das muss sie sein. Die Lichtung, die sich Parkplatz nennt, ist nahezu leer, Sarah Kuttners Kleinwagen ist das dritte Auto. Sie hat Kaffee mitgebracht, Kaffeesahne und Zucker. Und einen ihrer beiden Hunde. Wir gehen den Grabowsee entlang, dort drüben, in der ehemaligen Lungenheilanstalt hat George Clooney vor ein paar Jahren einen Film gedreht. Darauf ist man in Oranienburg und Umgebung sehr stolz.

Wir setzen uns ans Ufer des Kanals und gucken auf die andere Seite, die, glaubt man Lena, der Heldin in Kuttners neuem Roman, uncoole Seite des Kanals, die mit dem betonierten Weg und dem „ganzen Sonntagsspaziergangsluxus“. Weil heute nicht Sonntag ist, nicht einmal Wochenende, ist auf der uncoolen Seite auch nicht viel mehr los als bei uns hier auf der coolen, wo es „Moos und Sonne und einen schmalen Weg, der von Wurzeln durchzogen ist“, gibt. Tatsächlich steht die Sonne tief und scheint uns, wenn die diesigen Wolken sie einen Moment lang freigeben, direkt ins Gesicht. Wir trinken Kaffee, ehrlichen Kaffeemaschinenkaffee.

taz: Frau Kuttner, Ihr neues Buch „Kurt“ spielt in Oranienburg. Warum hier?

Sarah Kuttner: Ich bin ehrlich gesagt nicht so gut darin, mir Dinge auszudenken. Also hab ich mir gesagt: Wenn es dieses Oranienburg schon gibt, dann kann ich das doch beschreiben.

Im Interview: Sarah Kuttner

Die Frau: Jahrgang 1979, in der Hauptstadt der DDR geboren. Ihr Vater Jürgen Kuttner wird später die Ost-taz leiten und noch etwas später Radiomoderator. Vorher sorgt sie auf dem Gymnasium dafür, dass sich Mitschüler zu einer Band zusammentun, und schenkt der Popgeschichte so: Mia.

Die Journalistin: Nach einem halbjährigen Praktikum im Londoner Büro des Spiegel und einem weiteren beim Radiosender Fritz wird Kuttner Moderatorin bei der deutschen Ausgabe des Musiksenders Viva. Später moderiert sie vorwiegend Talk-Formate für verschiedene Sender. Wenn sie nicht TV macht, spricht sie mit Stefan Niggemeier im Podcast „Das kleine Fernsehballett“ für den Streaming-Dienst Deezer seit 2017 übers Fernsehen.

Die Autorin: 2007 erscheint Kuttners erstes Buch, „Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens“, zusammengestellt aus Kolumnen, die sie für Süddeutsche Zeitung und Musikexpress geschrieben hatte. Ihr erster Roman, „Mängelexemplar“, die Geschichte einer mit Depressionen kämpfenden Frau im gleichen Alter wie Kuttner, wird 2009 ein Bestseller. Es folgen „Wachstumsschmerz“ (2011) und „180° Meer“ (2015). Ihr neuer, vierter Roman, „Kurt“ (S. Fischer), erzählt von einem Paar, das aus Berlin nach Oranienburg zieht, von Patchwork-Familien, von der Liebe zu Kindern, der Liebe zu Brandenburg und vom Tod und was er mit der Liebe macht. (to)

Warum kennen Sie sich hier so gut aus?

Ich habe hier in der Nähe seit fünf Jahren ein Grundstück. Und hier am Kanal gehe ich manchmal spazieren. Im Sommer bin ich die halbe Zeit hier draußen, aber im Winter bin ich nie hier, da wird auch das Wasser abgestellt. Auf dem Grundstück steht ein klassisches Wochenendhaus. Aber es ist aus Stein, nennt man das Bungalow?

Bungalow ist es, glaube ich, wenn er ein Flachdach hat.

Ja, dann ist es einer. Der gehörte einem alten Pärchen, das ihn selbst gebaut hatte. Die haben mir auch einen dicken Ordner mit Bauplänen vermacht.

Ihre Protagonistin Lena beschreibt die Stimmung hier als „schöne Piefigkeit“.

Ja, ich kann mir auch vorstellen, dass einige Leute das piefig finden, wie und wo ich da bin. Aber ich mag das gerne. Ich liebe mein Grundstück, weil da keine asphaltierten Straßen hinführen, ich finde vor allem den Garten toll. Ich habe das Gefühl, wenn Menschen dauerhaft irgendwo leben, ist ihnen das Haus wichtiger als der Garten. Das macht ja auch Sinn, aber dann stehen die Häuser meist mitten im Grundstück und außen herum ist nur noch ein bisschen Grünfläche. Bei mir ist das anders, da steht das Haus schön in der Ecke von knapp 1000 Quadratmetern – und der Rest ist nur Garten. Das hat mir gut gefallen. Letztes Wochenende war im zum ersten Mal in diesem Jahr draußen und habe die alten Stauden gebrochen, die Wege frei geharkt.

Die Liebe zum Gärtnern ist also schuld, dass sie hier gelandet sind?

Nein, eher anders herum. Meine Oma hat ein Wochenendgrundstück in der Schorfheide, mein Vater ein Haus in der Uckermark. An den Wochenenden und in den Ferien sind wir also immer von Berlin aus Richtung Norden über die Dörfer in die Schorfheide gefahren. Basdorf, Liebenwalde, ich bin viel in Brandenburg gewesen in meiner Kindheit. Ich weiß, das ist alles nicht so richtig schön, aber ich mag es genau so. Ich finde es rührend, wenn Sachen nicht so perfekt sind, wenn es schon auch hübscher ginge. Ich brauche keine Hardcore-Beauty. Ich mag es, wenn Sachen rumpelig sind, wenn sie nicht so gut funktionieren, wenn sie nicht so perfekt zusammen passen. Ich mag diese zehn Jahre alten Schilder in Neonorange, auf denen „Spargel“ steht, aber man es kaum noch lesen kann. Ich mag sogar die hässlich sanierten Häuser. Das sind alles Kindheitserinnerungen für mich. Das weckt in mir offensichtlich ein ankonditioniertes, gutes Gefühl, das Urlaubsgefühl meiner Kindheit. Und weil ich das vermisst habe, habe ich mir gedacht, da kann ich mir ja auch mal selber so ein Haus im Grünen kaufen, anstatt immerzu anderen Leuten mit Haus auf die Nüsse zu gehen. Aber dann hat man den Garten und jemand muss sich dann ja auch um den kümmern. So ist meine Leidenschaft für die Gartenarbeit also quasi zwangsweise entstanden. Inzwischen gehe ich aber richtig auf in meinem Garten.

Dann hätten sie ja auch was in der Uckermark kaufen können – wie alle anderen Berliner.

Ja, stimmt, die Uckermark ist ja wahnsinnig schön. Unfassbar schön. Aber die ist mir zu weit weg. Das ist mir zu viel Autogefahre für so ein bisschen Ich-hab-Lust-auf-draußen. Außerdem wohnen da mittlerweile so viele Berliner, dass sich das anfühlt wie Prenzlauer Berg ohne Späti. Hier gibt es weder Späti noch Prenzlauer Berg. Ich mag das Unberlinerische hier, das Unprätentiöse – zugegeben, vielleicht auch, weil ich Berlin weiterhin haben kann. Deshalb würde ich auch – im Gegensatz zu Lena – nicht dauerhaft hierher ziehen wollen. Dazu wäre es selbst mir vielleicht zu piefig. Dafür bin ich wohl doch zu sehr Großstadtkind.

Das Berlin Ihrer Kindheit und Jugend gibt es allerdings nicht mehr …

Ich will die Gentrifizierungskeule nicht schwingen, die Nachfrage bestimmt das Angebot. Sachen verändern sich nun mal. Mir persönlich fehlt der Punkrock der Neunzigerjahre nicht, denn ich war ein Durchschnittsteenager, ich war kein rebellierender Punkrock-Teenager. Aber klar, das Viertel im Prenzlauer Berg, in dem ich schon immer gewohnt habe und immer noch wohne, hat sich natürlich verändert, da gibt es auch nur noch Kinder und Cafés. Aber für mich ist das nicht besonders anstrengend, weil ich gerne meine Ruhe habe. Und unter Kindern hat man verwirrenderweise seine Ruhe.

Ich bin ja Berlinerin. Uns liegt unfreundlich und harsch im Blut. Das ist unser Lebenselixier

Das sehen manche aber ganz anders.

Ich meine ja auch nicht den Lärmpegel auf dem Spielplatz gegenüber meiner Wohnung, aber da gehe ich ja auch nicht hin. Aber ich finde, man kann sich im Lärm gut verstecken. Ich bleibe in meiner Wohnung, aber ich weiß, da draußen findet Leben statt. Mütter und Kinder wollen nichts von mir, aber sie sorgen dafür, dass es im Viertel sicher und das Konsumangebot gut ist. Da bin ich pragmatisch. Allerdings, was mir aktuell auffällt: Dass die Kinder vom Prenzlauer Berg jetzt langsam groß werden. Es hat anscheinend niemand bedacht, dass die Nachkommen der Macchiato-Mütter sich mal zu Teenagern auswachsen könnten. Jetzt gibt es plötzlich wieder Lärm und Rebellion im Prenzlauer Berg. Die ziehen nachts um drei grölend durch den Kiez, werfen meinen Roller um und schmeißen irre laut die Metalltüren des Spielplatzes auf und zu.

Da braucht man gar keine Touristenhorden mehr.

Nee, das Randalieren übernehmen wir im Prenzlauer Berg lieber selber. Manchmal geh ich durch die Straßen, höre krass laute Musik, die aus einer Wohnung kommt, und denke mir: Geil, die Eltern sind in der Uckermark, und Sophie und Tom machen jetzt ihre erste Kifferparty.

Idylle am Grabowsee; in der Nähe hat Kuttner ein Grundstück mit Bungalow und Garten Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Kinder sind bei Ihnen eh nicht sonderlich beliebt. Sie haben vor fünf Jahren einen Shitstorm ausgelöst, als sie sagten, dass „ich Kinder doof finde und mit ihnen nichts anfangen kann“.

Ach, man kann doch heute gar nichts mehr sagen, ohne einen Shitstorm auszulösen. Und, seien wir ehrlich: Wer kann den schon mit Kindern was anfangen, außer man hat selber welche? Okay, die sind ganz niedlich, finde ich ja auch. Ich bin ja auch keine Kinderhasserin und auch Kinder mögen mich, jedenfalls die paar, die mich kennen. Und ich kann mir auch vorstellen, dass man eigene Kinder ganz toll findet, mir geht es ja mit meinen Hunden schon so. Ich war nie eine Hundeperson, aber dann kam der hier in mein Leben und jetzt bin ich die ältere Dame, die mit allen anderen Hundebesitzern quatscht und alle Hunde im Kiez beim Namen kennt. Aber Kinder sind eben keine fertigen Erwachsenen. Ich kann mit denen nicht richtig reden, ich kann mit denen nicht ins Kino gehen, jedenfalls nicht in Filme, die ich gerne sehen würde. Deswegen denke ich eben nicht: Wow, heute mal wieder schön mit Kindern abhängen. Vermutlich ist das anders, wenn man eigene Kinder hat, aber selbst dann muss es auch irre anstrengend sein, zumindest sagen das meine Freundinnen mit Kindern. Und ich habe mich eben entschlossen, dass ich das erst einmal nicht möchte. Aber ich möchte auch nicht ständig Fragen beantworten, warum ich keine Kinder habe.

Das habe ich auch nicht gefragt.

Ja, aber alle anderen. Dabei finde ich das eigentlich eine Unverschämtheit, so etwas Intimes zu fragen. Als würde mich jemand fragen, ob ich meine Tage habe. Bloß weil man keine Kinder hat, wird man ja mittlerweile behandelt, als hätte man eine Krankheit. Man muss sich ständig erklären, dabei geht es andere exakt einen feuchten Kehricht an. Es muss doch okay sein, nicht an Kindern interessiert zu sein. Deshalb wundert mich immer noch die Größe dieses Shitstorms – und dass jeder Journalist, der mich interviewt, damit um die Ecke kommt.

Das wundert Sie? Ich finde es logisch, Sie darauf anzusprechen. Sie haben schließlich gerade ein Buch geschrieben, das auch von der Liebe zu einem Kind handelt.

Was ist denn daran logisch? Wenn ich mal was Unattraktives über Bäume gesagt habe, kann ich mich doch später trotzdem mal neben einen Baum stellen.

Klar, aber Sie würden, während sie neben dem Baum stehen, womöglich hin und wieder gefragt, ob Sie immer noch etwas gegen Bäume haben.

Warum? Das eine bin ich, die übrigens nur von Journalisten unterstellt bekommt keine Kinder zu mögen, ich sagte lediglich, dass ich mit ihnen nicht viel anfangen kann – und das andere ist ein Buch, in dem ich Bäume, oder eben Kinder, mitspielen lasse. Das ist ja keine Autobiografie.

Ja, aber Sie schreiben sehr liebevoll davon, wie es ist, ein Kind zu haben, wie sich Liebe entwickelt zu einem Kind, das nicht das eigene ist. Da interessiert mich schon, was sich in Ihrem Verhältnis zu Kindern verändert hat.

Gar nichts. Aber ich persönlich als Sarah Kuttner kann doch mit Kindern nichts anfangen können, aber trotzdem ein Buch darüber schreiben. So merkwürdig einfach ist das für mich. Ich bin sogar im Gegenteil sehr froh, dass ich mir da keine Gedanken vorher gemacht habe, sonst wäre ich die Geschichte vielleicht ganz anders und nicht unbelastet angegangen. Mir ist erst aufgegangen, dass das ein Thema ist, als ich die ersten Interviews gegeben habe. Einmal hat sogar jemand gesagt: Sie können ja keine Kinder leiden – und jetzt lassen sie sogar eins sterben. Als wollte ich mich an Kindern rächen. So ein Quatsch. Übrigens finde ich meistens eher doofe Eltern doof als deren Kinder. Aber als ich das Buch schrieb, hat mich ursprünglich auch eher die Patchwork-Familie interessiert, weil das ein wichtiges, modernes Thema ist. Heutzutage wird nicht mehr für die Ewigkeit geheiratet und auch, wenn man ein Kind zusammen hat, sucht man sich vielleicht eine neue Familie.

Hier gibt es weder Späti noch Prenzlauer Berg. Ich mag das Unberlinerische hier, das Unprätentiöse – zugegeben, vielleicht auch, weil ich Berlin weiterhin haben kann. Deshalb würde ich auch nicht dauerhaft hierher ziehen wollen. Dazu wäre es selbst mir vielleicht zu piefig

Für jemanden, der mit Kindern nicht viel anfangen kann, kennen Sie sich aber gut mit ihnen aus.

Naja, Kinder sind ja nun auch keine Raketenwissenschaft und die Erfahrungen mit dem kleinen Kurt im Buch auch nicht. Ob Sie es glauben oder nicht, ich kenne ein paar Kinder. Ich habe sogar ein Patenkind und mehrere Anwärter auf diesen Posten. Grundsätzlich ist es auch einfach nicht so schwer, über Kinder zu schreiben, es sind ja nur Gedankenspiele: Wie wäre es, wenn ich ein Kind hätte? Das habe ich mir vorgestellt. Tut mir leid, dass ich schon wieder mit den Hunden komme: Als ich meinen zweiten Hund aus dem Tierheim abgeholt habe, war das auch sehr verwirrend. Ich hatte sie zuhause, ich wusste, die gehört jetzt zu mir, ich fand sie auch süß, aber geliebt habe ich sie erstmal nicht, weil ich sie ja noch gar nicht kannte. Ich weiß, Kinder sind komplexer als Hunde und die Liebe zu ihnen auch – aber in vielen Dingen hinkt dieser Vergleich gar nicht so sehr.

Diese Erfahrungen sind ins Buch eingeflossen?

Nein, da war das Buch schon geschrieben. Aber es hat mich in gewisser Weise bestätigt.

Neben der Liebe zu Kindern geht es in Ihrem Roman auch um die Liebe zu Brandenburg. Das, schreiben Sie, „tut nicht so, als wäre es etwas, was es nicht ist. Brandenburg ist einfach nur da und schenkt Liebe.“ Ist Brandenburg wirklich liebevoll?

Warum sollte es nicht liebevoll sein? Jeder Ort kann doch liebevoll sein. Ich habe jedenfalls zauberhafte Nachbarn.

Brandenburg hat das Image, unfreundlich und harsch zu sein.

Ja, aber ich bin ja Berlinerin. Uns liegt unfreundlich und harsch im Blut. Das ist unser Lebenselexier. In Berlin sind die Zugezogenen doch schon von den Bäckerinnen überfordert. Wenn der Berliner einen beschissenen Tag hatte, dann neigt er dazu, das auch zu sagen. Ich bin auch so. Die Brandenburger mögen noch eine Nummer härter sein, aber wenn man sie kennt, dann weiß man ja, dass sie es nicht so meinen. Und ich weiß auch, wie man die knacken kann. Man darf sich halt, wenn der Handwerker kommt, nicht einschüchtern lassen von diesem Muffeltum. Man trinkt ein Käffchen zusammen, raucht ein Kippchen, unterhält sich ein bisschen und nach zwei Minuten hat man die. Aber die tun eben nicht so als wenn, da gibt es nicht Küsschen links, Küsschen rechts, sondern eine Ansage: So, dit is nu Ihr Schornstein, oder wat?

Noch ein Vorurteil: Brandenburg ist provinziell.

Klar, aber ich finde das nicht negativ erwähnenswert. Natürlich kann es passieren, dass man – wie ich letztens – ausgerechnet in einem Restaurant, das ziemlich fancy tut, Ameisen auf dem Salat findet. Und beim Durchschnittsitaliener in Oranienburg schneiden sie das Rinderfilet mit dem Schmetterlingscut in der Mitte durch, damit es flacher und schneller durch ist. Aber das ist dann doch wieder okay, schmeckt ja trotzdem. Natürlich ist das nicht wie im Sage Restaurant in Berlin, und ein Teil von mir weint auch, dass die das mit dem Filet machen. Aber ein anderer Teil von mir liebt diesen Pragmatismus. Und man verändert sich auch: Mit 20 hätte ich einen Carport affig gefunden. Jetzt habe ich das dritte Jahr in Folge Fichtenkotze auf meinem Auto – und denke jetzt doch tatsächlich drüber nach, so einen Carport anzuschaffen. Unterm Strich werde ich wahrscheinlich drauf verzichten, weil ich zu faul und zu geizig bin und mein Auto mir nicht wichtig genug ist, aber ein Teil von mir fängt an in diesen Dimensionen zu denken. Also bin ich offensichtlich gar nicht so weit weg von provinziell.

Ist das Buch auch eine Ehrenrettung für Brandenburg?

Ach das klingt alles zu groß. Ich kriege einfach ein gutes Gefühl im Bauch, wenn ich hier bin. Ich liebe das platte Land, mich kannst Du mit Bergen jagen. Ich bin ein Feldmädchen, weit gucken können finde ich super. Ich bin vielleicht die einzige, die nicht glaubt, Brandenburg müsse verteidigt werden. Aber ich würde Brandenburg natürlich jederzeit verteidigen, wenn ich müsste. Die Gegend hier tut nicht so als wäre sie cool. Die ist einfach, was sie ist.

Was ist, auch das beschreiben Sie schön im Buch: „Das sind meine liebsten Brandenburggeräusche: das nölige Aufheulen der Rasenkantentrimmer, das entfernte Böllern lebensmüder Motorradfahrer und eben das Kreischen der Tischkreissägen.“

Jaaa, das ist der Klassiker, dass die Leute ausgerechnet am Wochenende ihren Carport bauen und Lärm machen müssen. Aber auch logisch, weil die arbeiten unter der Woche. Ich habe es natürlich auch lieber ruhig, aber ich höre das tatsächlich gern, das gehört dazu zur Geräuschkulisse, das ist wie ein lauter Vogel.

Ein sehr lauter Vogel.

Ja, zum Glück wird so ein Carport ja nur sehr selten direkt neben einem gebaut. Aber wenn die Tischkreissäge aus der Ferne kreischt, dann ist das etwas, was mich kriegt.

Kann man sagen, dass Sie in dem Buch durchgespielt haben, wie es wäre, hier fest zu wohnen?

Nein, eigentlich hab ich das nicht als Gedankenexperiment begriffen. Ich schreibe über zwei Menschen, die nach Oranienburg ziehen, nicht über mich. Ich werde auf keinen Fall komplett rausziehen. Ich will immer beides haben. Ich bin in Berlin geboren, ich bin quasi unterm Fernsehturm groß geworden, ich liebe die Stadt. Aber ich liebe es auch hier draußen. Ich kann beides gut, aber ich habe noch nie das Bedürfnis gehabt aufs Land zu ziehen. Das bisschen, was ich jetzt habe, das reicht mir auch.

Nerven diese beiden vollen Kühlschränke nicht?

Zwei volle Kühlschränke sind doch perfekt. Das ist meine Idee von Glück: zwei gut gefüllte Kühlschränke zu besitzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!