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Kommentar Macrons Europa-AppellGut gebrüllt, zu kurz gesprungen

Eva Oer
Kommentar von Eva Oer

Der französische Präsident plädiert in einem Brief für eine bessere EU. Das ist schön. Schöner wäre es, wenn er tatsächlich Alternativen parat hätte.

Wenn es gut läuft, ist Macrons Brief ein Denkanstoß Foto: dpa

E infach nur: Emmanuel Macron. So unterschreibt der Präsident Frankreichs seinen Brief – ohne Titel, als Bürger, der an alle BürgerInnen Europas schreibt. Dabei ist das der Mann, der sonst auch schon mal einen Teenager vor laufender Kamera zusammenfaltet, weil der flapsig „Wie läuft’s, Manu?“ ruft und nicht „Monsieur le Président“. Es ist erfrischend, dass Bürger Macron nun in 28 Ländern in den Landessprachen Ideen und Vorschläge veröffentlicht. Endlich kommt da mal einer, der Menschen in Europa über die Grenzen hinaus anspricht, der den Wahlkampf nicht nur im Klein-Klein des Nationalstaats führt.

Das ist neu – und es ist erfreulich, wenn die Diskussion über eine bessere EU mal nicht nur von NationalistInnen vorangetrieben wird, deren vordringlichstes Ziel die Abwehr von Flüchtlingen ist. Schöner wäre es nur, wenn Macron auch wirklich eine Alternative in petto hätte. Denn in seinem Brief heißt es zwar, er wolle eine „Maßnahme gegen Abschottung und Spaltung“ anbieten. Doch anstelle blockender Nationalstaaten bietet er nur den Block Europa an.

Die Abschottung wird dabei in Sachen Migration etwa schlicht und einfach an die EU-­Außengrenzen verschoben. Was soll daran neu sein? Schließlich haben sich die Staats- und ­Regierungschefs der EU längst darauf verständigt, dass die EU-Grenzschutztruppe Frontex mehr Befugnisse haben und ausgebaut werden soll, und zwar auf 10.000 Einsatzkräfte bis 2027.

Es reicht doch nicht, wie Macron ein „weltoffenes Europa“ zu beschreiben und von den Werten der Gemeinschaft zu schwafeln – dass in der EU eine Leerstelle namens „Menschenrechte“ klafft, lässt sich in Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln und auf dem Mittelmeer sehr gut beobachten. Die vermag der französische Präsident ganz offensichtlich ebenso wenig auszufüllen wie die anderen Staats- und Regierungschef, die ja immerhin schon seit Jahren über die Migrationspolitik streiten.

Aus dem Winterschlaf erwachen

So leidenschaftlich der Appell Macrons auch ist: Nur weil er ein Pro-Europäer ist und sich EU-BefürworterInnen danach sehnen, dass sich endlich etwas tut in diesem scheinbar starren Staatengebilde, darf sein Vorstoß noch längst nicht als das Beste gehandelt werden, was der EU passieren kann.

Vielmehr müssen die Pro-EuropäerInnen endlich mal aus ihrem Winterschlaf aufwachen. Wenn es gut läuft, ist Macrons Brief ein Denkanstoß und regt mehr Menschen dazu an, inhaltlich über Europa zu diskutieren – sowie die Parteien hierzulande dazu, einen leidenschaftlicheren europäischen Wahlkampf zu führen.

Denn letztlich müssen die ihre WählerInnen überzeugen. Bürger Macron mag seinen Brief formal an seine europäischen MitbürgerInnen gerichtet haben. Aber sind diese überhaupt die eigentlichen AdressatInnen? Wenn eine Deutsche Macrons Ideen zustimmt, kann sie noch längst nicht für seine Partei stimmen. Denn von grenzüberschreitenden Wahllisten für grenzüberschreitende Politik sind wir noch weit entfernt.

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Eva Oer
Redakteurin
*1985, seit November 2017 Redakteurin für europäische und globale Politik im taz-Auslandsressort. Hat seit 2014 immer mal wieder für die taz gearbeitet, meistens für das Ressort Wirtschaft und Umwelt, und schreibt gern über die EU und über Entwicklungspolitik.
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5 Kommentare

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  • Deutschland teilt es mehr als die meisten. - Statistiken für 2015



    en.wikipedia.org/w...aid_country_donors



    Nur von den USA und China übertroffen, aber die Menge pro Kopf berücksichtigen.

    Statistiken für 2016



    de.statista.com/st...entwicklungshilfe/

    Frankreich hat noch einiges zu tun.

  • www.faz.net/aktuel...eren-15611872.html, Forderungen in Milliardenhöhe : Frankreichs Banken haben in Italien am meisten zu verlieren,-Aktualisiert am 28.05.2018-19:06 Frankreichs Banken haben mit Abstand die meisten Kredite in Italien ausstehen. Kein Wunder also, dass Präsident Macron in Sachen EU-Einlagensicherung auf die Tube drückt. Die französische Großbank hat in ihrem Geschäftsbericht 2017 das Italien-Risiko auf 154,3 Milliarden Euro beziffert, davon rund 17 Milliarden Euro gegenüber der öffentlichen Hand.



    Warum Frankreich zur Gefahr für Europa wird! Veröffentlicht am 02.06.2016, | www.welt.de/wirtsc...r-Europa-wird.html, Bis zur Finanzkrise wuchsen die Schuldenberge in beiden Ländern synchron. Während Deutschland seitdem die Kurve bekommen hat und mittlerweile auf eine Schuldenquote von unter 70 Prozent zusteuert, bekommt Frankreich die wachsenden Schulden noch immer nicht in den Griff. Schon bald könnten die Verbindlichkeiten des Landes 100 Prozent der Wirtschaftsleistung entsprechen.



    www.welt.de/wirtsc...u-teilen.html,WELT online, 14.01.2018



    „…Ein reiches Land wie Deutschland muss lernen, seinen Wohlstand mit anderen Ländern zu teilen und Innovationen dafür zu nutzen, das Klima zu retten.““

  • Pro Europäer?

    Da es gegen das EU-Recht verstoßen würde, würde Frankreich die französische Sprache als einzige Sprache der Belegschaft einschränken. Es hat sein Gesetz verwässert, um Französisch zur Hauptsprache zu machen. Präsident Jacques Chirac hat 1998 die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen unterzeichnet. Da diese Charta jedoch vom Verfassungsrat Frankreichs nicht akzeptiert wurde, endeten 2004 die internen rechtlichen Argumente und die Charta wurde nicht ratifiziert. Präsident Hollande hat Veränderungen versprochen, aber nie realisiert. In jüngerer Zeit hat Macron die Verwendung von englischen Wörtern im französischen Sprachgebrauch heftig kritisiert, obwohl er selbst fließend Englische sprach.

    Was sagt es über ein Land, das behauptet, Einheit mit allen zu wollen, dass die Verwendung von Fremdwörtern in Werbung, offiziellen Dokumenten usw. gesetzlich verboten ist?

    Da Russisch jetzt die meist gesprochene Sprache in Europa ist...................vielleicht in der Zukunft. :o)

  • Was heißt eigentlich "pro-europäisch"? Für eine noch marktliberalere EU? Für eine sozialere EU?



    Es scheint mir, dass dieses "mehr Europa" meist (bewusst?) offen gelassen wird, dabei kommt es primär auf die Politik an sich an, weniger welche geografische Ausdehnung das darüber liegende Verwaltungskonstrukt (EU, Nationalstaat, Bundesland,...) hat.

    • @vøid:

      "Für eine noch marktliberalere EU?"



      Genau darum geht es, nicht zu benennen, was nach Wahlen umso heftiger als neoliberale "Vernichtung" von Demokratie und Menschen weiterhin umgesetzt werden wird.



      "Aber uns geht das doch gut…!" Das ist die Haltung, die die Wähler daran hindert, etwas wirklich Neues zu wagen…