„Es gab ein politisches Fieber im Iran“

Der Dichter und Journalist Jalal Sarfaraz organisierte 1977 in Teheran mit dem Goethe-Institut Dichterlesungen, die zu großen Demonstrationen wurden. Dass er Chomeini anfangs mal ein Gedicht widmete, hat er schnell bereut

Foto: S. Memarnia

Jalal Sarfaraz

geboren 1942, floh 1983 aus dem Iran. Über Baku (damals Sowjetunion) flog er nach Schönefeld und kam mit der S-Bahn nach Westberlin. Er arbeitet als Maler und Dichter.

Interview Susanne Memarnia

taz: Herr Sarfaraz, manche sagen, die Dichterlesungen, die Sie 1977 für das Goethe-Institut in Teheran organisiert haben, waren der Anfang der Revolution im Iran. Wie kam es dazu?

Jalal Sarfaraz: Ich war damals Mitglied im Iranischen Schriftstellerverband und zugleich Journalist bei einer berühmten iranischen Zeitung namens Keyhan, wo ich über Kunst und Literatur schrieb. Das Goethe-Institut hatte in den 70er Jahren regelmäßig Dichterlesungen gemacht, aber nur in kleinem Rahmen. 1977 habe ich Hans Becker, damals Chef des Instituts, den Vorschlag gemacht, etwas Größeres zu planen, damit junge Dichter eine Chance bekommen. Ich wollte zehn solcher Nächte mit je zehn Dichtern und einem Schriftsteller – plus Ausstellungen von Büchern, Malerei, vielleicht noch einem Theaterstück. Und nach jeder Lesung sollte es eine Publikumsdiskussion geben. Aber Becker meinte, das sei unmöglich.

Warum?

Ich weiß nicht. Vermutlich hat er gedacht, dass eine solche Aktion die Behörden nicht erfreuen würde. Auch die Leitung des Schriftstellerverbands, der übrigens bis heute niemals von der iranischen Regierung anerkannt wurde, war skeptisch. Sie dachte, das Programm könnte vielleicht als provokatorische Inszenierung aufgefasst werden.

Wie ging es weiter?

Mit vielen Schwierigkeiten. Zum Beispiel gab es Probleme mit den Sicherheitsbehörden bei der Bekanntmachung der Aktionen. Zweimal mussten wir das Plakat neu drucken lassen, am Ende stand drauf: „Die Nächte der iranischen Dichter und Schriftsteller“ – mit allen 70 Namen der Dichter und Schriftsteller. Zum Glück haben uns Sympathisanten und Studierende geholfen: bald hingen unsere Plakate in der ganzen Stadt. Wir hatten ursprünglich nicht mit einem sehr großen Andrang gerechnet. Daher sollten die Veranstaltungen im Gebäude des Goethe-Instituts stattfinden. Das Echo war aber schon vor Beginn des Ganzen so groß, dass wir uns etwas anders einfallen lassen mussten.

Was haben Sie gemacht?

Auf Vorschlag von Hans Becker und seines Kulturberaters, Kurt Scharf, wurden die Veranstaltungen in den Garten vom Deutsch-Iranischen Kulturverein verlegt. Scharf und sein iranischer Mitarbeiter hatten mit höchstens 2.000 Leuten gerechten. Am Ende kamen aber trotz Regens etwa 15.000 bis 20.000 Menschen, Nacht für Nacht.

Wie erklären Sie sich das?

Es gab ein politisches Fieber damals im Iran. Viele wünschten sich Demokratie und Freiheit, hatten Freiheitsberaubungen und Unterdrückung durch das Regime statt. Aber ich würde nicht vom Anfang der Revolution sprechen.

Nein? Aber viele der anderen damals Beteiligten haben das später wohl so gesehen, hieß es kürzlich in einem Artikel auf dem Portal Iranjournal.org.

Das war eine demokratische Protestbewegung vor allem der Intellektuellen und StudentInnen gegen Zensur. Eine Revolution wurde es erst, als die Massen – geführt von Chomeini – sich kurz danach daran beteiligten.

Wie kamen diese beiden Bewegungen denn zusammen?

Wir kamen nicht zusammen, die Proteste von uns und denen liefen parallel. Die meisten Intellektuellen hatten Sehnsucht nach Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit, die Chomeini-Anhänger wollten einen „islamischen Staat“. Am Anfang waren wir dennoch optimistisch. Vergessen wir nicht, dass Chomeini am Anfang wiederholt Freiheit und Demokratie für alle, sogar für Marxisten, versprochen hatte.

Haben Sie das geglaubt?

Am Anfang schon. Wir hatten leider keine Vorstellung, was ein „islamischer Staat“ bedeuten soll. Optimistisch, wie ich war, habe ich an dem Tag, als Chomeini mit dem Flugzeug aus Frankreich in den Iran flog, sogar ein Gedicht für ihn geschrieben. Nicht lange danach habe ich es bitter bereut, nachdem eine Säuberung der unabhängigen Zeitungen angeordnet wurde, infolgedessen hunderte Journalisten entlassen wurden, auch ich.

Sie haben Chomeini getroffen, nicht wahr?

Am dritten Tag nach seiner Rückkehr hat er 20 Mitglieder des Schriftstellerverbandes, darunter mich, empfangen. Wir haben die offizielle Anerkennung des Schriftstellerverbandes verlangt und die Zusage, dass Zensur künftig unterbleibt. Daraufhin hat er uns aufgefordert, im Dienste des Islams mit ihm zu kooperieren.

Wie ging es weiter?

Mit dem Scheitern aller Hoffnungen, Repressalien, Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen. Kurz: mit Barbarei! Ich bin aber hoffnungsvoll, dass dies nicht so bleibt.