Prozess gegen Hambacher-Forst-Aktivistin: „Eule“ bleibt in U-Haft
Mit Spott über ein unvorbereitetes Gericht: Der Prozess gegen eine Aktivistin aus dem Hambacher Forst wird nach einem turbulenten Auftakt vertagt.
Die Angeklagte hat zwei Namen. „Eule“ nennt sie sich selbst. Die Staatsgewalt führt sie unter UP Aachen VIII, Geburtsname und Alter sind unbekannt. UP steht für Unbekannte Person. Nein, teilt ihr Anwalt vor dem Amtsgericht Kerpen mit, seine Mandantin bleibe dabei: keine Angaben zur Person.
Seit viereinhalb Monaten sitzt „Eule“ ein, als letzte von fünf zeitweiligen Untersuchungshäftlingen nach den Räumungsexzessen im Wald. Als Richter Peter Königsfeld die Anklage verliest, grinst sie spöttisch. Später, bei den Zeugenvernehmungen, wird sie auch lachen.
Der Prozess trägt bald kabarettistische Züge. Das liegt am Publikum, das sich aus an die 40 Leute aus der UnterstützerInnenszene bildet – und dem Richter, der sich nicht entscheiden kann zwischen Mahnungen um Ruhe, dem Überhören von Zwischenrufen und Durchgreifen. Schon das Aufstehen bei Prozessbeginn klappt nicht: „Nehmen Sie bitte die Kopfbedeckung ab.“ – „Das ist eine Mütze“, präzisiert der Gescholtene aus dem Publikum. Gejohle. Die bunte Wollmütze bleibt bis zum Ende auf dem Kopf.
Aussagen der Polizei widersprechen sich
Einen jungen Mann verweist der Richter nach einem Kommentar früh des Saales. Er geht nicht und wird rabiat rausgeschleift, immerhin ohne Amtsträger tätlich anzugreifen. Ein anderer Besucher empört sich später lauthals über eine merkwürdige Polizistenaussage, sagt in einem Atemzug „… und ich gehe freiwillig“, packt seine Jacke und marschiert schimpfend raus. Die Aussagen der Polizeizeugen widersprechen sich teilweise. Hat „Eule“ seitlich getreten oder doch geradeaus? Mit fixierten angewinkelten Beinen, während zwei Beamte auf ihren Schultern saßen? Warum waren zwischendurch die Fesseln abgelegt? Eine junge Beamtin spricht von der Angeklagten als „die Dame“, was wiederum Heiterkeit auslöst.
Ist die Dame denn volljährig? Eine Ärztin trägt ausführlich ihre „forensische Altersdiagnostik“ vor. Ergebnis: „Eule“ sei sicher 18 und „zu 79,8 Prozent mindestens 21“. Das bedeutet: in dubio pro reo – milderes Jugendstrafrecht. Nach einer Verhandlungspause, in der ein Zuschauer im Vorraum auf dem Rücken liegend, umgeben von zahlreichen Justizbeamten, die angeblichen Tritte nachzustellen versuchte, steht das Publikum geschlossen auf. Aber erst, als die Angeklagte wieder hereingeführt wird.
Der Richter liest aus beschlagnahmten Knastbriefen vor: Da schreibt Eule von „Hampelmännchen in Blau“, von „Waschlappen alle zusammen“, von „Pissern“ und mehrfach von „Kack-Spasten“. Ja, Knast sei „megascheiße“, aber: „Ich bin Punk und ich bin frei!“ Inwieweit die Worte der strafrechtlichen Wahrheitsfindung dienen, lässt der Richter offen.
Ein Polizeizeuge erscheint nicht
Der junge, engagierte Anwalt Christian Mertens hat einen interessanten Vorbehalt. Es habe im Wald, als man „Eule“ und alle anderen „aus den Bäumen gepflückt“ habe, offenbar nie eine „rechtmäßige Diensthandlung der Polizei“ gegeben. Heißt: keine Ansage, keine „Vollstreckungsandrohung“. Das sei wie bei einer Verkehrskontrolle. Fehle es daran, so Mertens, dürfe man sich „auch gegen Polizisten so wehren wie gegen einen Straßenräuber. Man kann nicht jemanden einfach wegschleppen. Das war vor 80 Jahren so.“ Applaus im Saal.
Christian Mertens, Verteidiger
Vertagung droht, weil ein Polizeizeuge nicht erschienen ist. Darüber gebe es laut Richter nichts Schriftliches. Die Assistentin der Gerichtsprotokollantin weist auf ein Papier hin, der Richter, der seinen Prozess offenbar schlampig vorbereitet hat, schickt sie das Papier holen. Es ist eine Krankschreibung – gültig bis zum Tag der Prozesseröffnung. Anwalt Mertens besteht auf einer Anhörung: „Dienstunfähig heißt ja nicht, dass er nicht aussagen könnte.“ Ja, wie jetzt, fragt der Richter. „Abholen! Wofür haben wir denn die Autos mit den blauen Lampen …?“ Großes Gejohle im Saal.
Doch der Antrag wird abgelehnt, der Prozess schließlich auf den 18. Februar vertagt. Der Antrag auf Haftverschonung wird ebenfalls abgelehnt, wegen Fluchtgefahr. „UP Aachen VIII“, die 20,2-Prozent-Jugendliche, wird in Handschellen zurück in die JVA Köln-Ossendorf gebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde