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Antrag im BundestagDie vergessenen Opfer

Der NS-Krieg im Osten kostete Millionen das Leben. Die Linkspartei fordert nun ein Mahnmal in Berlin – doch SPD und Grüne blocken.

Vergangene Woche in St. Petersburg: Gedenken an die Opfer der Leningrader Blockade Foto: ap

Berlin taz | Es ist einer der ersten Tagesordnungspunkte nach der Holocaust-Gedenkstunde: Am Donnerstagmittag berät der Bundestag auf Antrag der Linksfraktion über einen Gedenkort für die NS-Kriegsopfer in Osteuropa.

„Seit vielen Jahren wird darüber diskutiert, dass den Millionen Opfern des NS-Vernichtungskrieges in Ost- und Ostmitteleuropa endlich an einem zentralen Ort in Berlin gedacht werden soll“, begründet Jan Korte, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, die Initiative. Passiert sei jedoch bisher nichts. Offenbar scheuten viele die Auseinandersetzung mit der NS-Lebensraum­ideologie und dem Vernichtungskrieg. „Damit muss endlich Schluss sein“, so Korte

Konkret fordert die Linksfraktion in ihrem Antrag die Bundesregierung auf, in Berlin einen „zentralen Erinnerungsort“ zu schaffen, an dem in angemessener Weise an das Leid der Opfer des NS-Vernichtungskrieges in Ost- und Ostmitteleuropa erinnert werden solle. Die inhaltliche und wissenschaftliche Begleitung des Erinnerungsortes soll nach den Vorstellungen der Linksfraktion einer fachlich qualifizierten Institution wie der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ oder dem „Dokumentationszentrum Topografie des Terrors“ übertragen werden.

Bei den Grünen stößt der Linke-Antrag auf große Skepsis. „Die Erinnerung an die von Deutschen begangenen Verbrechen an der Zivilbevölkerung in Osteuropa sowie an den sowjetischen Kriegsgefangenen hat nicht den Platz im öffentlichen Bewusstsein, den sie haben sollte“, räumt der kulturpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Erhard Grundl, zwar ein. „Ein gemeinsames Denkmal halte ich dennoch für den falschen Weg.“

Grüne fordern Forschungsstätte

Die Opfer der NS-Verbrechen in Osteuropa in einem Denkmal zu vereinen, schaffe „symbolisch eine Opfergemeinschaft, die es so nicht gab und gibt“, so der Grüne. „Gemeinsamkeit zu postulieren, wo sie nicht existiert, fördert die Aufarbeitung nicht“, sagte Grundl der taz. Wichtig wäre dagegen eine Dokumentations- und Forschungsstätte für die Opfer der „NS-Lebensraumpolitik“.

Bedenken hat auch die FDP. „Die Gräuel aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken ist wichtig“, sagt FDP-Vizefraktionsvorsitzende Katja Suding. „Der Antrag der Linken greift jedoch zu kurz, ein einzelner Gedenkort kann nicht die gesamte Bevölkerung erreichen.“ Gebraucht werde vielmehr „eine Gedenkkultur, die Zeitzeugen einbezieht und möglichst viele Menschen auch in der Fläche erreicht“. Gleichwohl zeigt sich Suding aufgeschlossen: „Wir stehen für konstruktive Beratungen im Ausschuss gerne bereit.“

Das Rumgeeiere der SPD-Fraktion ver­steht kein Mensch

Jan Korte, Linkspartei

Und die SPD? Immerhin hatte sie eine Passage mit vergleichbarer Intention in ihren Koali­tions­vertrag mit der Union hineinverhandelt: „Bisher weniger beachtete Opfergruppen des Nationalsozialismus wollen wir anerkennen und ihre Geschichte aufarbeiten“, heißt es dort. „Wir stärken in der Hauptstadt das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten im Dialog mit den osteuropäischen Nachbarn.“

SPD will sich Zeit lassen

Praktische Konsequenzen hatte das bislang nicht – und dabei bleibt es vorerst wohl auch. Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, erklärte am Mittwoch, dass die SozialdemokratInnen dem Antrag der Linksfraktion nicht zustimmen werden. Eigentlich sei die SPD zwar durchaus für ein Mahnmal für die Opfer des NS-Vernichtungskrieges im Osten. Man sei aber noch in der internen Abstimmung, „um die Frage des Wo und Wie zu klären“. Der Meinungsbildungsprozess der Fraktion sei noch nicht abgeschlossen.

„Wir sind grundsätzlich dafür, dieses Projekt bis 2021 auf den Weg zu bringen“, sagte Schneider. „Wir brauchen ein gutes Modell, ohne schuldhaftes Verzögern, aber auch ohne Zeitdruck.“ Eine konkrete Zeitplanung existiert über diese eher vage Absichtserklärung hinaus nicht. Die SPD-Fraktion ist also irgendwie dafür, aber ganz konkret dagegen.

„Dieses Rumgeeiere versteht kein Mensch“, kommentiert Linkspartei-Mann Korte. „Wenn die Sozialdemokraten dem Anliegen unseres Antrags prinzipiell zustimmen, warum schaffen sie es dann jetzt noch nicht einmal, zu erklären, dass man sich dafür einsetzen wird, einen entsprechenden zeitnahen Beschluss fraktionsübergreifend herbeizuführen?“

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4 Kommentare

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  • Wann endlich ebenbürtige Ehrung und Geste der Versöhnung für die größte aller Opfergruppen?

    Auf einem Sylter Friedhof gibt es eine Ehrentafel für die im II. Weltkrieg gefallenen deutschen Soldaten, getrennt nach West- und Ostfront. Die Proportionen dieser beiden Kategorien sagen mehr als dicke Historikerstudien: Auf einen an der Westfront Gefallenen kamen neun an der Ostfront. Der eigentliche II. Weltkrieg fand folglich im Osten statt. Dort starben mehr Menschen, sei es als Kombattanten oder Zivilisten, als je in Kriegen in so kurzer Zeit gestorben sind. Es war nicht nur der opferreichste Krieg der Menschheitsgeschichte, er war überdies auch der erste, als solcher auch explizit deklarierte Weltanschauungskrieg, anfangs im Namen einer sich als überlegen gerierenden germanischen Herrenrasse gegen die als minderwertig und lebensunwürdig diffamierte „bolschewistisch-jüdisch-slawische Untermenschenrasse“, in der Niedergangsphase als Verteidigungskrieg des zivilisierten „Europa“ gegen die asiatisch-bolschewistischen Horden aus dem Osten. Er war die bellizistische Fortsetzung des hitleristischen Kernprogramms, die „Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel“, wie es der frisch ernannte Reichskanzler der Reichswehrführung am 3. Febr. 1933 versprochen hatte. W. Brandt hat sich in einer historisch einmaligen Demutsgeste vor dem Warschauer Denkmal des Ghettoaufstandes für die in deutschem Namen verübte Shoa entschuldigt. H. Kohl und F. Mitterand reichten sich in konzilianter Geste über den Gräbern von Verdun die Hände, die deutsch-französische „Erbfeindschaft“ endgültig beendend. G. Schröder hat mit seiner Teilnahme an den Gedenkfeiern in der Normandie 2004 eindeutig Farbe bekannt. Sogar kleineren Opfergruppen wie den Schwulen und den Sinti und Roma werden eigene Denkmäler gewidmet. Wann wird deutscherseits endlich der größten aller Opfergruppen und dem mit Abstand wichtigsten Kriegsfeind Hakenkreuz-Deutschlands eine ebenbürtige Ehrung und Geste der Versöhnung zuteil?

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...ein Anfang wäre zum Beispiel eine jähliche Gedenkstunde für die Kriegsopfer in Osteuropa.



    Überrascht, mit ihren Äusserungen zu einem Gedenkort, haben mich die Grünen. Kann mir mal jemand erklären, wieso ein Denkmal der "falsche Weg" sein sollte?!

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Weil man dann nicht die aktuell "bösen" Völker ausschließen kann...

  • "Wichtig wäre dagegen eine Dokumentations- und Forschungsstätte für die Opfer der „NS-Lebensraumpolitik“."

    Wer kriegt die mit? Ein Denkmal ist sichtbar.

    "Gebraucht werde vielmehr „eine Gedenkkultur, die Zeitzeugen einbezieht..."

    Klasse Idee in einer Zeit, in der die letzten Zeitzeugen sterben.

    „Wir stärken in der Hauptstadt das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten im Dialog mit den osteuropäischen Nachbarn.“

    "Der Meinungsbildungsprozess der Fraktion sei noch nicht abgeschlossen."

    Wie lange liegt noch mal das Kriegsende zurück?

    Wenn man diese ganzen Ausreden liest, wird einem schlecht...