piwik no script img

Ökologisch EinkaufenDiscounter jagen Bioläden Kunden ab

Die Kooperation zwischen Bioland und Lidl wirbelt die Branche auf. Sind Billiganbieter nur Trittbrettfahrer, die vom Ökoboom profitieren wollen?

So sieht ein Bioland-Huhn aus. Und nun diskutiert die Branche darüber, wer seine Eier verkaufen sollte Foto: dpa

In der Konkurrenz um Bio-Kund*innen schafft Lidl in diesen Tagen Tatsachen: Der Discounter füllt seit Anfang Januar seine Kühlregale mit ökologisch hochwertigen Molkereiprodukten. Käse, Milch und Quark der Eigenmarke „Bio Organic“ stammen nun zum Großteil vom Anbauverband Bioland, ebenso Mehl und Kartoffeln. Schon seit November können Lidl-Kun­d*in­nen Produkte wie Äpfel und Kräuter in Bioland-Qualität kaufen.

Bisher bewarb der Discounter mit seinem Slogan „Lidl lohnt sich“ vor allem seine niedrigen Preise. Nun soll sich der Einkauf auch für Menschen mit ökologischem Bewusstsein lohnen. Denn die Richtlinien des deutschlandweit größten Bioanbauverbandes gehen weit über die für das EU-Siegel hinaus, das das Angebot von Discountern bisher bestimmt. So müssen Bio­land-Erzeuger*innen auf dem gesamten Hof ausschließlich ökologisch wirtschaften und mindestens die Hälfte des Futters im eigenen Betrieb herstellen.

„Bio ist bei uns schon lange ein strategisches Thema“, sagt Lidl-Einkaufsleiter Jan Bock auf der Grünen Woche in Berlin. Kein Wunder, denn die Gewinne der Biobranche wachsen seit Jahren. 2017 wurden in Deutschland laut Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) erstmals mehr als 10 Milliarden Euro mit Bioprodukten umgesetzt. 59 Prozent davon gingen auf den Einzelhandel zurück – ein Wachstum von mehr als 8 Prozent.

Auch Aldi, Penny und andere Discounter bringen sich in Stellung, um mit Bio Kund*innen zu gewinnen. Entsprechende Produkte führen mittlerweile alle im Sortiment. Die Kette Kaufland ist wie Lidl Teil der Schwarz-Gruppe und erklärte am Freitag, dass sie ab Februar Demeter-Waren anbieten werde.

Fachgeschäfte verlieren an Exklusivität

Bisher waren Bioland- und Demeter-Produkte den Kund*innen von Fachgeschäften vorbehalten – durch die Kooperation mit Lidl und Kaufland verlieren diese weiter an Exklusivität. 2017 gingen noch 29 Prozent des Bioumsatzes auf den Fachhandel zurück. Elke Röder, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren (BNN), beschwichtigt: „Auch wir sind im letzten Jahr gewachsen – bei uns ist noch nicht Land unter.“ Trotzdem beobachte sie die Entwicklung genau.

Wie Röder haben Teile der Biobranche und der Konsument*innen Vorbehalte gegen Discounter wie Lidl. Viele fürchten, der hohe Anspruch von Bioland könnte verwässert werden. Dem entgegnet Lidl-Einkaufsleiter Bock: „Wir haben selbst das Interesse, dass Bioland seine Standards aufrechterhält. Sonst hätten wir ja gleich beim EU-Siegel bleiben können.“

Es geht hier nicht um Gut oder Böse. Wir müssen die Verbraucher vom ökologischen Weg überzeugen

Jan Plagge, Präsident des Bioanbauverbands Bioland

Auch bei der Vermarktung soll es einen Kurswechsel geben. „Lidl hat sich dazu verpflichtet, Bioland-Produkte nicht durch Preissenkungen und Rabatte zu vermarkten“, sagt Bock. Das sei für den Discounter durchaus ein Novum, denn niedrige Preise lägen eigentlich in seiner DNA.

Trotzdem zeigt sich Röder vom BNN enttäuscht von Bioland. Der Fachhandel sei von der Kooperation mit Lidl überrascht gewesen und halte sie für einen Fehler. „Für uns sind die Discounter Trittbrettfahrer“, sagt Röder. „Aber der Fachhandel besitzt ­Stärken, die sie nicht kopieren können.“ ­Fachgeschäfte würden ethisch, nach­haltig und verantwortungsvoll handeln – und zwar ganzheitlich. „Hier sind wirklich alle Lebensmittel bio.“

Lücken im Bio-Sortiment

Ein solches Konzept bieten Discounter nicht. Noch gibt es auch bei Lidl Lücken im Biosortiment: Viele Produkte sind nur in der konventionell hergestellten Variante erhältlich. Es ist kein Zufall, dass Lidl zunächst seine Biomolkereiprodukte auf Bioland-Qualität umstellt. Laut Markus Fadl, Sprecher des Naturland-Verbands für ökologischen Landbau, ist der Übergang gemäß strengen Ökovorgaben bei Monoprodukten wie Milch vergleichsweise einfach. „Bei komplexeren Produkten und internationaler Herkunft wie etwa bei Kaffee ist es ein längerer Prozess“, so Fadl.

Der Anbauverband Naturland gehört ebenfalls zu den größten in Deutschland und kooperiert seit rund zehn Jahren unter anderem mit dem Einzelhändler Rewe. Dort stellt der Verband nach eigenen Angaben die Hälfte der Bioprodukte. „Auch damals wurde diskutiert und gefordert, die Anbauverbände müssten gegenüber dem Fachhandel loyal bleiben“, sagt Fadl. Eine Zusammenarbeit mit Discountern schließt Naturland aber aus: „Wir sind mit unseren jetzigen Partnern sehr zufrieden.“

Lidl und Bioland hingegen planen, ihre Kooperation auszubauen. Demnächst sollen Apfelmus und Apfelsaft im Sortiment folgen, irgendwann auch Fleisch.

Um die Ängste des Fachhandels weiß auch Bioland-Präsident Jan Plagge. Es gehe aber nicht darum, dem Fachhandel Kund*innen wegzuschnappen, sondern ökologische Landwirtschaft insgesamt auszuweiten. „Es geht hier nicht um Gut oder Böse“, sagt Plagge. „Wir müssen die Verbraucher vom ökologischen Weg überzeugen.“

Mit den 3.200 Filialen von Lidl gebe es nun einen großen Abnehmer – die Voraussetzung dafür, dass mehr Bauern auf ökologische Erzeugung umstellen können. 2018 ist die Zahl der Bioland-Betriebe um 6 Prozent auf 7.768 gewachsen. Für die Kooperation mit Lidl werden noch mehr Partner*innen gebraucht – wie viele, kann der Verband derzeit nicht absehen. Die Bereitschaft ist laut Plagge bei vielen Bauern vorhanden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • 9G
    93735 (Profil gelöscht)

    es hilft nur eines: direkt beim Bauern und wann immer möglich in demeter - Qualität! Nur so können wir das System ändern!

  • Für einen "Ökospinner", der Anfangsjahre ist das klar ein schwerer Tobak, daß das Lebenswerk ausgerechnet von den Discount-Geiern vermarktet wird. Gemeinsam mit den Naturkostläden, könnte es dennoch gelingen die Werte der Ökoszene zu bewahren.

  • Vielleicht noch ein grundehrliches Wort an die Redakteure Reinhard Wolff, insbesondere an Herrn Jost Maurin:

    Mit Verlaub, nicht selten liegen Sie mit Ihren Einlassungen erheblich neben der Spur, wenn man sich gebetsmühlenartig darum müht, die Bauern medial als die ausgekochten Bösewichte und Missetäter darzustellen. - Die eine oder andere tiefgreifendere Recherche tätig dahingehend vielleicht bitter Not. - Warum verweigert man sich dem aber!?

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    DANN GEH‘ DOCH ZU NETTO!



    Oh - Mist! Die haben ja auch Bioprodukte. Aus Sicht des „Bioeinzelhandels“ ist die Einführung von Bioprodukten in den großen Lebensmittelketten sicher ein Verrat durch die KundInnen. Aber die orientieren sich eben an ihrer Komfortzone, und die sind: Lage und Preis. D. h. billig und alles an einem Ort einkaufen können. Übrigens: Das am meisten abgelehnte Ladenkonzept in der Bioeinzelhandelsbranche war bis vor kurzem noch der „Shop-in-Shop“-Gedanke, wie es viele Bäcker, Fleischer und z. T. Molkereien in Lebensmitteleinzelhandelsketten erfolgreich tun.

  • Die Konsequenzen beim Einstieg der großen Discounter in den Ökosektor bringt immer mehr umstellungswillige Bauern hervor, was zunächst als durchaus positive Entwicklung in Reihen der LW gewertet wird.

    Man erkennt dato aber nicht, dass eben diese konventionellen Betriebe in Vielzahl nicht aus Gründen einer ökologischen Überzeugung umstellen, sondern vielmehr aus der nicht selten abgrundtiefen betriebswirtschaftlichen Not heraus. Jener Wechsel mit wehenden Fahnen aber ins Öko-Fahrwasser offenbart wohl aber kurz- bis mittelfristig, dass man auch da nicht den Königsweg der ökonomischen Glückseligkeiten gewählt hat. Weit eher werden die mannigfalten Problemstellungen sogar weitaus komplexer.

    Bestes Beispiel ist die Umstellungs-Milch, die niemand mehr haben will, ebenso die Erzeugerpreisfindung beim Umstellungsgetreide, wo zur kommenden Ernte nahezu schon Parität in Gegenüberstellung zur konventionellen Ware herrscht.

    BIO funktioniert also demnach nur mit einem „luxuriös“ ausgestatteten Prämienmoloch. Gewirtschaftet wird weiterhin vorwiegend im Interesse der Grundeigentümer, die agrarpolitisch augenscheinlich absolut im Fokus stehen. Sie rangieren gleich neben den "hehren Ansinnen" der Agrarindustrie. Und die Bauern selbst!? - Diese ortet man weit, sehr weit abgeschlagen in diesem Schlachtfeld sämtlicher monetären Begehrlichkeiten.

    SCHÖNE HEILE ÖKO-WELT...!

  • falsch! Die Richtlinien des Bioland Verbandes gehen nicht weit über die EU Bio Standards hinaus, leider! Es ist ausgerechnet eine Tochter von Aldi, die in Ö Richtlinien entwickelt haben und einhalten, die wirklich weit über Eu Bio hinaus gehen Zurück zum Ursprung ! Bioland führt mit seiner nur an Marktanteilen orientierten Verbandspolitik zum Verrat an den eigenen bäuerlichen Mitgliedsbetrieben. z.B. hier im Schwarzwald lässt sich Bioland Milch nun mal teurer erzeugen und erfassen wie im Norden/Osten. Nun konkurriert überregionale LIDl/Bioland Milch für 1,05 €/ Lit mit dem Laden nebenan: Edeka regionale Bioland Milch für 1,59. Das wird dauerhaft zum Untergang regionaler bäuerlicher Bioland Betriebe führen. Ich bin als Biobauer seinerzeit bei Bioland ausgestiegen, als die Bioland Gurke bei Edeka 99 ct für den Endkunde kostete, ich aber bei meinem Biogrosshändler 1,29 netto im Einkauf zahlen musste. Auf meinem Wochenmarkt kostete die Biolandgurke dann 1,90 und meine Kunden hielten mich für einen, der den Hals nicht voll bekommt. Wer in Wirklichkeit den Hals nicht vollbekommt und fast alle Prinzipien des Biolandbaus verraten hat, sind die Biolandfunktionäre.

  • Ist doch schön, dass Bio Konsens ist. Wenn dann sogar wie bei Aldi anständige Löhne gezalt werde ist das doch win-win.

  • "Sind Billiganbieter nur Trittbrettfahrer, die vom Ökoboom profitieren wollen?"



    Klar, das ist eine rhetorische Frage. Im Kapitalismus geht es um Gewinnerzielung. Wenn also Bioprodukte gefragt sind und Gewinne versprechen, dann kann ich es nachvollziehen, wenn Handelsketten ihr Angebot anpassen. Zudem hieß es doch, dass auch wohlhabende Deutsche bei Lidl&Co einkaufen.



    Moralisch machen Lidl&Co im Vergleich zu Bioladenketten wohl auch keinen Unterschied. Auch dort wird mies bezahlt und viele Aushilfsstellen geschaffen. Wenn mensch etwas daran ändern möchte, so müsste radikal (an der Wurzel) anders gehandelt werden.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Uranus:

      Es wird sogar mieser bezahlt:

      "Ein Mitarbeiter der Kette, der sich vor wenigen Tagen per E-Mail an die Redaktion wandte, erklärte, er verdiene als langjähriger Mitarbeiter weit weniger als ein Lidl-Kassierer und erhalte zudem weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld."

      www.welt.de/diewel...-Tagesordnung.html

      So gesehen wäre Lidl die bessere Wahl und die Filialen haben in Richtung Wohlfühlatmosphäre aufgeholt.

      Mir geht dieses aufgesetzte Freundlichkeit in den Bioläden eher auf den Sack.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Ja, schade. Da kann mensch bloß sagen: It's the system, stupid!

  • Tja, das schwierige Dilemma.

    Einerseits ist es gut (nein, es ist vielleicht für die Menscheit eine Überlebensfrage!), dass bio/nachhaltig/fair die Elite-Ecke verlässt, andererseits wirtschaften diese Discounter (oft) auf Kosten von "fair" -- was ihnen eine Kostenstruktur ermöglicht, mit der sie die kleinen Bioläden von der Landkarte fegen könnten (erst recht in D-Land, wo gerade bei den Lebensmittel die VerbraucherInnen um jeden Pfennig feilschen).

    Ein lustiges Experiment wäre, wenn die ErzeugerInnen, die sich nachhaltig und fair verpflichtet fühlen ihren Kunden ein Rabatt anbieten, das von den Arbeitsbedingungen in dem entsprechenden Laden abhängig ist (wie man auch immer das ermitteln mag).

    Oder ein Pendant zum Bio-Siegel "in unserem Laden sind die MitarbeiterInnen happy".

    Ich weiss es doch auch nicht.

  • Finde ich toll! Durch Fundamentalismus verändert man nichts.



    Aus meiner eigenen Perspektive kann ich sagen, dass ich von nun an deutlich häufiger Bioland Produkte kaufen werde.