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Kohleausstieg und GewerkschafterDer beste Kumpel der Industrie

Michael Vassiliadis ist derzeit der wichtigste deutsche Gewerkschafter. In der Kohlekommission streitet er um viel Geld und geringe Klimavorgaben.

Kämpft auf der Straße genauso wie im Hinterzimmer: Michael Vassiliadis Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin/Cottbus taz | Als am Dienstagabend im Kanzleramt bis in die Nacht über den Kohleausstieg verhandelt wird, ist Michael Vassiliadis nicht persönlich vor Ort – weder bei den gut 20 Pro-Braunkohle-Demonstranten, die draußen in der Kälte stehen und versuchen, neben den weitaus zahlreicheren UmweltaktivistInnen wahrgenommen zu werden, noch beim Abendessen, zu dem Angela Merkel die Ministerpräsidenten der Kohleländer, die Vorsitzenden der Kohlekommission und das halbe Bundeskabinett eingeladen hat.

Doch seine Argumente sind trotzdem allgegenwärtig. Denn Michael Vassiliadis ist derzeit der einflussreichste Akteur in den Verhandlungen über die Zukunft der Kohleregionen. „Ich habe nur eine Stimme in der Kommission“, verkündete er vor einer Weile selbstbewusst, „aber viele Freunde.“

Seit zehn Jahren ist der Sohn eines griechischen Gastarbeiters und einer deutschen Mutter Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), der mit rund 640.000 Mitgliedern drittgrößten deutschen Gewerkschaft. Von denen arbeitet zwar nur ein Bruchteil in der Kohlebranche – Kraftwerke und Tagebaue beschäftigen insgesamt nur noch knapp 20.000 Menschen. Doch für die zeigt Vassiliadis derzeit vollen Einsatz.

Der 54-Jährige läuft nicht nur im Nieselregen in der ersten Reihe, als seine Gewerkschaft im Oktober im Rheinland unter dem Motto „Wir sind laut für unsere Jobs“ über 20.000 Menschen gegen eine „einseitige Klimapolitik“ und einen schnellen Kohleausstieg mobilisiert. Vor allem verfügt Vassiliadis, der privat mit der ehemaligen SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi liiert ist, auch beruflich über exzellente Kontakte in die Politik.

„Investitionen von gewaltigem Ausmaß“

Wenn er, wie im vergangenen September, zu einer Konferenz zur Zukunft der Braunkohleregion Lausitz nach Cottbus einlädt, laufen dort mit dem SPD-Mann Dietmar Woidke aus Brandenburg und seinem CDU-Kollegen Michael Kretschmer aus Sachsen gleich zwei Ministerpräsidenten auf. Und anders als bei vielen anderen Veranstaltungen, bei denen Spitzenpolitiker nach ihrer Rede sofort wieder verschwinden, bleiben sie mehrere Stunden und drängen sich auch in der Kaffeepause um den Gewerkschaftschef. So eng ist sein Draht in die Politik, dass es sich Vassiliadis sogar erlauben kann, die beiden Ministerpräsidenten einfach stehen zu lassen, als sein Handy klingelt.

Die betroffenen Bundesländer wollen im Gegenzug für den Kohleausstieg so viel Geld wie möglich herausschlagen; ihre Forderung beläuft sich auf bis zu 60 Milliarden Euro. Und sie wissen, dass sie dabei auf Vassiliadis als wichtigen Verbündeten zählen können. Die 1,5 Milliarden Euro, die die Bundesregierung bisher für den Strukturwandel zugesagt hat, seien „ein Tropfen in der ausgedörrten Wüste“, meint der.

Geld kann es nur gegen einen schnellen und verbindlichen Ausstieg geben

Kai Niebert, DNR-Präsident

Bei der Jahrespressekonferenz seiner Gewerkschaft legte er am Montag nach. Erforderlich seien „Investitionen von gewaltigem Ausmaß“, erklärte Vassiliadis, wie üblich im Anzug mit Gewerkschaftslogo am Revers. „Die Regierung muss Verantwortung dafür übernehmen, wenn sie einen rentablen Industriezweig politisch abschalten will.“

Dieser Druck zeitigt offenbar Wirkung: Nach dem Spitzentreffen im Kanzleramt am nächsten Tag äußerten sich die Länderchefs aus dem Osten zufrieden. Die Kanzlerin und ihr Finanzminister hätten eine „langfristige Finanzzusage“ gegeben, berichtete Kretschmer im Anschluss. Genutzt werden könnte dieses Geld für den Ausbau von Schienen, Straßen und Mobilfunknetzen ebenso wie für die Ansiedlung neuer Bundesbehörden und Unternehmen.

Stillegung an Bedingungen geknüpft

Auch die Konzerne, deren MitarbeiterInnen Vassiliadis vertritt, können sich stets auf den Chef der IG BCE verlassen. Obwohl mehrere Rechtsgutachten zu dem Ergebnis gekommen sind, dass die Kohlekraftwerke überwiegend ohne eine finanzielle Entschädigung der Betreiber stillgelegt werden können, hat Vassiliadis sich dafür eingesetzt, dass trotzdem Geld fließt. „Sonst endet der Kohleausstieg vor einem Schiedsgericht in New York“, warnte der Gewerkschaftschef von Anfang an.

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Im Raum steht nun eine Summe von etwa einer halben Milliarde Euro pro Braunkohleblock. Damit haben sich auch die KohlegegnerInnen in der Kommission schon abgefunden. Ohne Entschädigung gebe es keine Mehrheit, lautet ihre resignierte Einschätzung.

Auch die von Gewerkschaften und Industrie vorgebrachte Forderung, die Strompreise für die energieintensive Industrie noch stärker zu subventionieren als bisher, soll offenbar zumindest zum Teil erfüllt werden. Das sei nötig, argumentiert Vassiliadis, um trotz eines möglichen Preisanstiegs durch den Kohleausstieg etwa die Chemiebranche im Land zu halten. Denn deren Beschäftigte gehören schließlich auch zu seiner Gewerkschaft.

Dass viele Milliarden an Re­gio­nen und Unternehmen fließen werden, scheint also sicher. Ob es im Gegenzug echte Fortschritte beim Klimaschutz gibt, ist dagegen noch offen. Denn ebenso engagiert wie beim Einsatz für die Unternehmen ist der Chef der IG BCE im Kampf gegen ein schnelles und verbindliches Abschalten von Kohlekraftwerken. Zwar spricht sich Vassiliadis nicht generell gegen die Energiewende aus – dass das nicht mehr zeitgemäß ist, ist im Gegensatz zu Teilen der Basis zumindest der Führung der Gewerkschaft klar. Aber er machte von Anfang an deutlich, dass er die Stilllegung der klimaschädlichen Kraftwerke an Bedingungen knüpfen will.

20 konkrete Maßnahmen

Und zwar am liebsten an ziemlich viele. In einem Textentwurf von Gewerkschaften und Industrie von Dezember, der der taz vorliegt, werden schon 20 konkrete Maßnahmen aufgeführt, die erfüllt sein müssen, bevor das erste Kraftwerk vom Netz geht – darunter neben naheliegenden Forderungen wie Strompreiskompensationen und steuerlicher Forschungsförderung für Unternehmen auch ziemlich abseitige Sonderwünsche wie die Abschaffung der Umsatzsteu­ervoranmeldung für Gründer und mehr naturwissenschaftlicher Unterricht in den Lehrplänen.

Diese absurde Liste ist mittlerweile wieder vom Tisch. Doch dass das Kohle-Aus an Bedingungen wie Fortschritte beim Ausbau von Netzen und erneuerbaren Energien gekoppelt wird, fordert Vassiliadis nach wie vor. „Erst beim Ausbau liefern, dann abschalten“, forderte er am Montag beim Pressetermin in Hannover. In einem Interview mit dem Fachdienst Energate legte er noch einmal nach: „Wir werden nicht einfach unverrückbare Ausstiegsdaten festlegen können, allenfalls Korridore“, erklärte er. „Und deren Realitätsbezug werden wir in den Jahren zuvor regelmäßig streng abgleichen müssen.“

Doch auf solche Bedingungen wollen sich die Umweltverbände auf keinen Fall einlassen. Sie fordern fixe Termine für den Kohleausstieg – bis 2022 wollen sie Kraftwerke mit einer Leistung von 16 Gigawatt stilllegen, bis 2030 den Rest. Dadurch würden nicht nur die deutschen Klimaziele erreichbar, sondern zudem der Hambacher Wald und zahlreiche Dörfer gerettet.

Industrie und Gewerkschaften wollen dagegen kurzfristig nur 5 Gigawatt und den Rest bis Ende der 2030er Jahre abschalten. Die Differenz scheint kaum überbrückbar. Dennoch stehen die Chancen für eine Einigung nicht schlecht. 10 der 28 stimmberechtigten Kommissionsmitglieder stehen hinter den Forderungen der Umweltverbände. Die für den Abschlussbericht erforderliche Zweidrittelmehrheit ist gegen diese Koalition also nicht möglich.

Starkes Interesse an einer Einigung

Und die verhandelt ebenfalls hart. „Es wäre den Menschen nicht vermittelbar, wenn Milliarden von Steuergeldern fließen, aber beim Klimaschutz nichts oder zu wenig passiert“, sagt etwa Antje Grothus, die für die rheinische Bürgerinitiative Buirer für Buir in der Kommission sitzt. Auch Kai Niebert, als Präsident des Umweltdachverbands DNR in der Kommission und ebenso wie Vassiliadis SPD-Mitglied, betont: „Geld kann es nur gegen einen schnellen und verbindlichen Ausstieg geben.“

Damit die vielen Milliarden, die Vassiliadis erkämpft hat, Rea­lität werden, müssen die Klimaschützer also an Bord. Die Umweltverbände gehen darum davon aus, dass der Gewerkschaftschef ein starkes Interesse an einer Einigung hat. Trotz seiner klaren Positionen agiere Vassiliadis freundlich und konstruktiv, berichten auch Menschen, die ihm inhaltlich fernstehen.

Er selbst hat in der Vergangenheit stets betont, kompromissbereit zu sein. „Ich bin das schon deshalb, weil es für einen Gewerkschafter eine selbstverständliche Aufgabe ist, Verträge und Ergebnisse zu liefern, die unseren Mitgliedern nützen“, sagte er im Oktober der Aachener Zeitung. Und: „Die deutsche Debatte war doch dafür bekannt, trotz unterschiedlicher Positionen eine gemeinsame Lösung zu finden.“

Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr: Am kommenden Freitag tritt die Kommission offiziell zu ihrer letzten Sitzung zusammen, eine Woche später sollen die Ergebnisse vorgestellt werden. Ein Scheitern wäre nicht nur ein Problem für den Klimaschutz und die betroffenen Regionen, die den Strukturwandel dann ohne finanzielle Untersützung bewältigen müssten. Es wäre auch eine persönliche Niederlage für Michael Vassiliadis.

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6 Kommentare

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  • Sozial ist eben nicht immer gleich ökologisch.

    • @TazTiz:

      Möglicherweise, aber unökologisch ist auf lange Sicht immer asozial.

      • @CarlaPhilippa:

        So isses.

      • @CarlaPhilippa:

        dafür ein ++

    • @TazTiz:

      Und andersherum, ist ökologisch nicht immer sozial. Die Mitglieder der IG BCE könnten ja auch einen anderen Vorsitzenden wählen, wenn sie denn wöllten. Die Mehrheit der 640 000 Mitglieder ist aber mit der Schiene einverstanden. Was nun, Demokratie?

    • @TazTiz:

      Letzten Endes doch, schon. Sozial auf lange Sicht (> 5 bis 15 Jahren) wird *nur* ökologisch gehen.