: Kulinarische Kursbestimmung
Eine Exkursion zwischen der Internationalen Grünen Woche und der Bewegung „Wir haben es satt!“: Auf der Messe zeigen Finnen, wie man glücklich wird. Auf der Demo kommen Bauern und Verbraucher zusammen. Slowfood organisiert dafür eine „Schnippeldisko“
Von Manfred Ronzheimer
Globale Landwirtschaftspolitik, nationaler Agrarprotest, lokales Schlemmerfest – neben alldem sticht rund um die Internationale Grüne Woche eine Ebene in diesem Jahr besonders hervor: Europa. In Brüssel laufen die Verhandlungen über die nächste Förderperiode der EU-Agrarpolitik, und bei der Wahl zum Europaparlament im Mai wird das größte aller EU-Gemeinschaftsprojekte – die Subventionierung der Landwirtschaft mit jährlich knapp 60 Milliarden Euro – auch eine gewichtige Rolle spielen. In den Hallen unterm Funkturm sind alle Länder des europäischen Kontinents vertreten – eines von ihnen in diesem Jahr mit einem besonderen Status: Finnland ist das offizielle Partnerland der Grünen Woche 2019.
Unser Essen und wie es zustande kommt, wird in den zehn Tagen vom 18. bis 27. Januar in der Hauptstadt wieder gewaltige Menschenmassen in Bewegung setzen. Rund 400.000 Besucher, darunter 90.000 Fachbesucher, werden in den Messehallen erwartet, wo sie sich wie in jedem Jahr auf eine kulinarische Reise um die Welt begeben können. Über 20 Show- und Kochbühnen bieten Infotainment.
Mehrere Zehntausend Menschen – im vergangenen Jahr waren es rund 30.000 Teilnehmer – machen sich am Samstag, 19. Januar, auf einen anderen Weg. Sie demonstrieren aus Anlass des Treffens der internationalen Agrarminister in Berlin für eine andere Landwirtschaftspolitik.
Die inzwischen neunte Großdemonstration „Wir haben es satt!“ steht unter dem Motto: „Nach dem Dürrejahr: Zupacken statt Zögern – wie die Landwirtschaft mit der EU-Agrarreform fit für die Zukunft werden kann“. Das Hitzejahr 2018 mit seinen vertrockneten Wiesen, staubigen Äckern und Futtermangel hat für die Organisatoren der Demo, das Bündnis „Meine Landwirtschaft“, dramatisch gezeigt, wie dringend konsequenter Klimaschutz und die Agrarwende gebraucht werden. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner müsse sich bei den Verhandlungen zur Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik für jene Bauernhöfe einsetzen, die umweltfreundlich, artgerecht und klimaschonend arbeiten. „Die Verschwendung der Milliarden an Steuergeldern, mit denen die Agrarindustrie Jahr für Jahr subventioniert wird, muss endlich beendet werden“, heißt es im Aufruf zur Demo. „Wir Bauern erwarten, dass Julia Klöckner ihrer Verantwortung gerecht wird und Agrarpolitik gestaltet, statt dem Handel und der Industrie das Feld zu überlassen“, sagt Phillip Brändle von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Saskia Richartz organisiert für das Bündnis „Meine Landwirtschaft“ mit rund 50 Trägerorganisationen erstmals die Politdemo, nachdem der jahrelange Frontmann Jochen Fritz mit dem Aufbau einer Hofgenossenschaft in Brandenburg die Agrarwende nunmehr praktisch vorantreibt. Richartz hebt hervor, dass die „Wir haben es statt!“-Demo nicht nur die landwirtschaftlichen Erzeuger versammeln, sondern auch die Verbraucherseite verstärkt einbeziehen will. So ist die Organisation Slowfood, deren Mitglieder Lebensmittel als Kulturgut begreifen und genießen, seit mehreren Jahren dabei. Die Slowfood-Jugendorganisation lädt am Vorabend zur „Schnippeldisko“ ein, bei der zu heißen Klängen die Gemüsesuppe gekocht wird, die nach der Demo die durchgefrorenen Protestler wieder aufwärmt. Ihren ersten Auftritt bei der Demo hat in diesem Jahr die Berliner Tafel, die Restlebensmittel einsammelt und an Bedürftige verteilt. Tafel-Gründerin Sabine Werth wird auf der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor erklären, wie die Politik sicherstellen muss, dass sich „auch Menschen mit geringem Einkommen gutes Essen leisten können“.
Auch von den Lebensmittelresten, also dem, was in den Hallen der Grünen Woche nicht verzehrt wird, wird die Berliner Tafel am letzten Messetag profitieren. Vorher haben allerdings die Besucher die Qual der Wahl unter den kulinarischen Angeboten, egal ob Fleischliebhaber, Flexitarier oder Veganerin. Jedes Ausstellerland wartet mit seinen eigenen Spezialitäten auf.
Bei den Holländern und den Schweizern zählt traditionell der Käse dazu. Der würzige Appenzeller ist übrigens der meistverkaufte Schweizer Käse in Deutschland. Was auch am strikten Qualitätsmanagement liegt: Seit über 700 Jahren wird der Appenzeller Käse nach alter Tradition in rund 50 Dorfkäsereien gefertigt. Aber auch die Bayern haben Käsiges zu bieten. Im vergangenen Jahr wurden an ihren Ständen in Berlin neben 5.000 Weißwürsten und 3.000 Portionen Leberkäse auch rund 9.500 Kilo Käse vertilgt.
Essen hält bekanntlich Leib und Seele zusammen. Da sollte man gerade den Finnen besonders auf den Teller schauen. Gelten doch die Einwohner des diesjährigen Partnerlandes der Grünen Woche als die glücklichsten Menschen weltweit. Laut dem aktuellen „World Happiness Report 2018“, meldet die Messe Berlin, liege Finnland im Zufriedenheitsranking im internationalen Vergleich mit 156 Ländern in Führung. Damit dürfte absehbar sein, an welchem Länderstand sich in diesem Jahr die dichtesten Besuchertrauben bilden werden.
www.gruenewoche.de
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