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Kommentar G20-Prozess ohne PresseKontrolle ausgehebelt

Marco Carini
Kommentar von Marco Carini

Ein Gericht schließt die Öffentlichkeit vom Prozess zur Brandschatzung der Hamburger Elbchaussee beim G20 aus. Das macht eine faire Berichterstattung umöglich.

Wird so bald nicht mehr zu sehen sein: Prozessszene im Landgericht. Foto: dpa

D er Ausschluss der Öffentlichkeit im Elb­chaussee-Prozess ist ein Schlag ins Gesicht der Angeklagten, aber auch der Öffentlichkeit. Abgesehen davon, dass die Angeklagten gar nicht vor der Öffentlichkeit geschützt werden wollen und sich jetzt ihrer Rechte beraubt fühlen, wird die gesetzlich gewollte Kontrolle der Judikative durch diese selbst ausgehebelt.

In diesem G20-Prozess geht es eben nicht nur um die individuelle Schuld und das individuelle Schicksal der Angeklagten. Setzt sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Auffassung durch, schreibt sie Rechtsgeschichte. Dann kann jeder, der auch nur für kurze Zeit auf einer sich unfriedlich entwickelnden Demonstration mitmarschiert ist, für alle Ausschreitungen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden, auch wenn er diese selber nicht begangen oder den Ort des Geschehens schon längst verlassen hat. Die Öffentlichkeit aus einem Verfahren auszuschließen, in dem die Axt derart an das Demonstrationsrecht gelegt wird, ist nicht zu rechtfertigen.

Das Gericht begründet den Ausschluss der Medien auch mit einer in Teilen voreingenommenen und vorverurteilenden Berichterstattung. Abgesehen davon, dass dies bei jedem Verfahren den Ausschluss der Medien begründen könnte und zudem selbst eine kollektive Vorverurteilung – dieses Mal der Medienschaffenden – bedeutet, ist eine ausgewogene Berichterstattung gerade durch einen Ausschluss aus dem Prozessgeschehen nicht mehr möglich.

Denn wir JournalistInnen sind nun genötigt, an Stelle unser eigenen Beobachtungen interessengeleitete Einschätzungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung ungeprüft – weil ausgesperrt – zu übernehmen. In der Praxis munitionieren beide Seiten nur die JournalistInnen, von denen sie sich eine Veröffentlichung ihrer Sichtweisen erhoffen – eine unabhängige Berichterstattung ist damit faktisch unmöglich.

Wenn die Richterin betont, es gäbe faire Gerichtsverfahren auch ohne Öffentlichkeit, verkennt sie, dass der Gesetzgeber bewusst die Öffentlichkeit als Kontrollinstanz will. Sie verkennt aber auch, dass es zwar faire Prozesse ohne Öffentlichkeit geben mag, nicht aber eine faire Prozessberichterstattung aus zweiter Hand.

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Marco Carini
Landespol. Korrespondent
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5 Kommentare

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  • will die TAZ mit diesem Kommentar suggerieren, daß die Möglichkeit abgeschafft werden soll , zum Schutz von Minderjährigen die Öffentlichkeit auszuschließen. ?

  • Wenn das der Aristoteles gewusst hätte:



    "auch wenn er diese selber nicht begangen oder den Ort des Geschehens schon längst verlassen hat."



    es also nicht nach dem Gesetz zugeht, würde er uns die Demokratie aberkennen?



    Das wäre keine Demokratie, weil es nicht nach dem Gesetz zugeht! Wie heute beim uns mit der Automobilindustrie: Sie hält nicht einmal die Abgasvorschriften ein!

  • Wenn man eine Demokratie ohne Öffentlichkeit für möglich und wünschenswert hält, ist sowas doch nur konsequent.

  • Das taktische Verhalten der Staatsanwaltschaft in diesem Fall ist IMHO skandalös. Allerdings haben die übrigen Prozessbeteiligten, allen voran die Verteidigung, durchaus ihre Möglichkeiten der offenbar beabsichtigten Umgehung des Öffentlichkeitsprinzips entgegenzuwirken. Zum einen könnte bereits die beabsichtigte Aussschluss der Öffentlichkeit aus mutmaßlich sachfremden Erwägungen einen Befangenheitsantrag begründen; insofern wäre ein Antrag einen Öffentlichkeitsausschluss nur an jenen Prozesstagen, an welchen gegen die jugendlichen Angeklagten verhandelt wird, erfolgversprechend. Ferner könnte siesosohl soforft als auch im laufenden Prozess versuchen die Aufteilung des Verfahrens in eines gegen die jugendlichen Angeklagten und ein weiteres gegen die erwachsenen Angeklagten durch Verfahrensabtrennung zu bewirken, insbesondere falls die Anklage bezüglich der Angeklagten inhomogen wird. Schließlich ließe sich die Beiordnung einer maximalen Anzahl von Prozesssbeiständen beantragen, so dass Informationen an die Presse relativ sicher durchgestochen werden könnten. Ferner ließe sich die Beiordnung bekannter Revisions- & Wiederaufnahmespezialisten beantragen, so dass diese den Prozess aus erster Hand erleben können. Dadurch wissen Staatsanwaltschaft & Gericht, dass bereits der geringste Fehler zur Aufhebung des Urteils führen wird.

  • Ja - da bewegt sich die deutsche Justiz (oder wenigstens Teile davon) auf die Praxis von totalitären Staaten zu. Wenn die Schilderungen hier in der TAZ auch nur annähernd stimmen, dann sind die verantwortliche Richterin und die Staatsanwaltschaft doch alles andere als Demokraten und gesetzestreu. Dann ist wohl der Vorwurf der Rechtsbeugung nicht aus der Luft gegriffen. Der Unterschied zu totalitären Staaten wie Russland, Türkei usw. ist aber, dass hier keine Weisung der Politik erkennbar ist. Aber vielen Politikern wird das Vorgehen aber passen!