Dinge des Jahres 2018: Mit Emojis gegen die Zensur in China
Darf Pu der Bär in den Honigtopf greifen, oder gibt es dann in China eine Revolution? Und was hat ein Reishase damit zu tun? Eine Übersetzung.
Manche Dinge des Jahres 2018 sind nicht wirklich anfassbar, sie sind digital. Zum Beispiel Emojis. Die sind zwar an sich nichts Neues, ihr Potential für soziale Bewegungen im von Zensur geplagten chinesischen Internet aber schon.
Seit fast zehn Jahren machen sich InternetnutzerInnen die chinesische Sprache zunutze, um spielerisch Kritik an der Parteiführung in Beijing zu üben, oder auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Dafür verwenden sie zum Beispiel Memes, also Bildcollagen, die zusammen mit Wortspielen oft humoristisch und gleichzeitig politisch-kritisch daherkommen.
Als der Hashtag #metoo im vergangenen Jahr weltweit bekannt wurde, entstanden bald auch chinesische Ableger, die auch auf dem Mikroblogging-Dienst Weibo geteilt wurden. Anders als in den USA kamen dabei in China weniger Skandale aus dem Showbusiness ans Licht – #metoo stieß vor allem einen Diskurs über sexuelle Übergriffe an Universitäten an. Entgegen vieler Annahmen wurden die chinesischen Hashtags (#woyeshi, #metooinchina und #mituzaizhongguo) und die Diskussion um sexuelle Belästigung in China nicht sofort von den Behörden zensiert. Sogar die parteinahe Zeitung People's Daily beteiligte sich zunächst an einer Kampagne, die Betroffene am 12. Januar dazu aufforderte, ihre Geschichten öffentlich zu machen.
Doch schon fünf Tage später wurde der Hashtag #MeTooInChina für einen Monat auf Weibo blockiert. Für feministische Bewegungen in China sind die Zeiten also alles andere als rosig: Ausgerechnet am 8. März, dem Weltfrauentag, zensierten die Behörden den Social-Media-Account von „Feminist Voices“, der bekanntesten feministischen Initiative des Landes. Zuvor hatten die AktivistInnen eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung unterstützt.
Kreative Wortspiele gegen Zensur
Die chinesische Sprache eröffnet allerdings kreative Möglichkeiten für Wortspiele. Das liegt daran, dass es immer viele Bedeutungen für einen Laut gibt. So lässt sich das englische „me too“ zunächst phonetisch ins Pinyin, das Transkriptionssystem für chinesische Schriftzeichen, übertragen. „Mi tu“ lautet die Phrase dann. Die Silbe mi kann nun in fünf verschiedenen Tönen ausgeprochen werden. Dabei kann jedes mi wiederum vieles bedeuten – eindeutig sind nur die einzelnen Schriftzeichen, nicht der isolierte Laut für sich.
Im Jahresrückblick der taz am wochenende menschelt es nicht, versprochen. Nach allzu menschlichen Weihnachtstagen haben wir uns den Dingen des Jahres zugewandt. Menschen sterben oder verlassen das Scheinwerferlicht, aus vermeintlichen Sensationen wird Alltag. Aber die Dinge des Jahres, die bleiben.
Allein im Chinesisch-Deutschen Wörterbuch finden sich 26 Einträge für die Silbe, die zum Beispiel Honig, Geheimnis, feine Seide oder eben auch Reis bedeuten kann. Genauso verhält es sich wiederum mit der Silbe tu – und eine Bedeutung von tu ist eben: Hase.
Zusammen wird daraus also mitu, der Reishase, der versuchen kann die chinesischen Zensurbehörden auszutricksen, indem er einfach mithilfe von Emojis durch eine gefüllte Reisschale und einen Häschenkopf abgebildet wird, unter dem dann über sexuelle Belästigung diskutiert werden kann.
Es gibt noch andere politisch aufgeladene Tiere. Ähnlich berühmt und immer wieder Zielscheibe der Zensurbehörden ist mittlerweile übrigens auch das Bärchen-Emoji. Seit 2013 wird Staatsoberhaupt Xi Jinping nämlich in Memes als Winnie the Pooh dargestellt – zum Beispiel in Begleitung von Barack Obama als Tigger.
Zuletzt ging ein Bild im chinesischen Teil des Netzes herum, auf dem Winnie einen großen Topf Honig umarmt. „Finde das, was du liebst, und lass es nie wieder los“, postete ein User sinngemäß mit der Illustration. Eine Anspielung darauf, dass Xi im März seine Amtszeitbeschränkung aufgehoben hatte und so de facto auf Lebenszeit Präsident bleiben kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!