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Marion-Dönhoff-Preis für Seyran AteşAneckend und robust

Die Anwältin und Frauenrechtlerin steht für einen liberalen Islam. Jetzt wird sie für ihr bürgerrechtliches Engagement ausgezeichnet.

Keine Freundin von Solidaritätsmief: Seyran Ates Foto: dpa

BERLIN taz | Wer es übel, also neidisch oder missgünstig mit ihr meint, moniert auch, dass sie eine Person ist, die staatlichen Personenschutz genießt. Besser: in Anspruch nehmen muss, denn sie hat im Laufe ihres inzwischen gut 55-jährigen Lebens viele Drohungen erhalten, auch tödliche. Seyran Ateş, heißt es dann, spiele sich auf, spreche ohnehin nur für die Minderheit der säkular orientierten Menschen muslimischer Prägung in Deutschland und spiele mit ihren Attacken wider die türkisch- oder arabisch-orientierten Bürger*innen hierzulande nur den Rechtspopulisten in die Hände.

Indes lässt sich nicht feststellen, dass Ateş, bekennende Berlinerin und gebürtige Istanbulerin, sich von diesen Zickereien einschüchtern lässt. Auch nicht, als sie jüngst in Österreich bei einer Veranstaltung der rechten Regierungspartei FPÖ sprach. Diese Deutsche – sie hat ihren türkischen Pass zurückgegeben – besteht darauf, sich den Mund nicht verbieten zu lassen: Was bleibt ihr als bekennender Feministin auch sonst übrig?

Ateş war nie eine Freundin des von ihr abgeforderten Solidaritätsmiefs. Denn sie war schon eine aneckende, robust, trotzdem stets konziliant streitende Person, als der ‚weiße‘ politische Mainstream in Deutschland Migrant*innen, deutsche Neubürger*innen nur in der Rolle der Gastarbeiter*innen sehen wollte – buchstäblich: Gäste, die irgendwie schon deshalb schon nicht wahrgenommen zu werden brauchen, weil sie ja wieder gehen.

Nein, Ateş wollte nie gehen. Sie ist auch eine Überlebende, und zwar eine aus Deutschland. Sie entstammt einer patriarchalen, durchaus innerfamilial gewaltbereiten Familie, sie kennt die Schläge der Eltern, sie kennt die Verhältnisse, die so viele der Einwanderer*innen mitbringen und die ja in Deutschland auch noch nicht so lange wenigstens moralisch geächtet sind.

In zahlreichen Büchern hat sie als deutsche Verfassungspatriotin ihre öffentlichen Marken gesetzt

Das wollte sie hinter sich lassen, kämpfte auf ihrem Weg zur inzwischen renommierten Anwältin sich aus den angestammten Verhältnissen heraus. 1984 wurde sie von einem Mann aus dem Graue-Wölfe-Milieu lebensgefährlich angeschossen – sie konnte gerettet werden.

Weltliches geht über religiöses

Als Mitglied der Islamkonferenz, wie in vorigen Woche, ficht sie für einen säkularen Islam. Das heißt, dass Religiöses sich der weltlichen Ordnung zu unterwerfen hat. Jede*r kann glauben – aber dieser Glauben steht nicht über den Gesetzen. Islamisches ist für sie persönlich wichtig – aber nur als Quelle der Spiritualität, nicht als Anleitung gegen freiheitliche Errungenschaften wie der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen.

Islamisten, das versteht sich, sind keine Alliierten für sie. In zahlreichen Büchern hat sie als deutsche Verfassungspatriotin ihre öffentlichen Marken gesetzt, etwa in der 2013 veröffentlichten Schrift „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“.

Sie lebt in Berlin, auch als Teil der von ihr mitbegründeten Ibn-Rushid-Goethe-Moschee, in der eine liberale Auffassung vom Glauben gelebt wird.

Am Sonntag erhält sie, die schon etliche Preise zuerkannt bekommen hat, den Marion-Dönhoff-Preis für ihr bürgerrechtliches Engagement. Ihr Publikum muss wünschen, dass sie, die viele nervt und ebenso viele in dieser Nerverei prinzipiell erfreut, mit ihrem Engagement nicht inne hält. Für sie soll’s rote Rosen regnen!

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7 Kommentare

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  • Seltsam, zunächst wird der Eindruck erweckt, als könne Personenschutz wegen ein paar Drohungen Teil einer möglicherweise kritikwürdigen Personality-Show einer nervenden Feministin sein.



    Erst gegen Ende des Artikels. sozusagen im Kleingedruckten folgt die Information, sie wurde bereits lebensgefährlich angeschossen.



    Kann die taz sich nicht präziser ausdrücken?



    Z.B. so: Nachdem auf die bekennende Feministin ein lebensgefährliches Attentat ausgeübt wurde und sie kontinuierlich weiter tödliche Drohungen erhält, ist Personenschutz erforderlich.

  • Im nicht-liberalen Islam hätten auch Frauen gar nichts zu melden. Insofern gute Sache. Mehr davon bitte.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Glückwunsch an Frau Ates!



    Sie hat den Mut das zu sagen, was viele nicht hören wollen.



    Viel Erfolg und ein langes gutes Leben!

  • Im Christentum hatten wir liberale Theologinnen wie Dorothee Sölle (evangelisch) und Eugen Drewermann (katholisch) und viele andere, die das Christentum mit der modernen Gesellschaft verbunden haben. Und natürlich die lateinamerikanische Befreiungstheologie mit Leonardo Boff, die sich für die gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart engagiert hat. Diese Strömungen waren eher links orientiert. Die Kombination von Politik und Religion gab es allerdings auch schon im schlechten mit den Deutschen Christen der Nazizeit. Man könnte jetzt behaupten, die Muslimbrüder wären ja auch schon eine Öffnung des Islam auf die Gesellschaft hin, nur eben von einer reaktionären Seite her. Ebenso verbinden die militanten Hamas und Hizbollah Religion und Politik auf eine Weise, das einem schlecht wird. Insofern eröffnet diese junge liberale Strömung des Islam eine Tür zur modernen Gesellschaft, ähnlich wie das freundliche Kirchentags-Christentum mit Jesus-Rock-Band und feministischer Gebetsgruppe. Viel Erfolg dabei!

  • Glückwunsch, Frau Ates!

    • @Emmo:

      Schließe mich an. Und ich wünsche ihr, dass ihr Demokratieverständnis auch abfärbt auf diejenigen, die aus Angst vor der AfD die Kritik von Frau Ates an den Fundamentalisten nicht teilen wollen.

      • @Rolf B.:

        Besser kann mans nicht ausdrücken!