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Experte über ’Ndrangheta„Auf allen Kontinenten präsent“

Für Claudio Cordova sind die Razzien ein Zeichen, dass die europäischen Justizbehörden im Umgang mit der Mafia endlich ein gemeinsames Verständnis entwickeln.

Gioia Tauro, kalabrischer Drogenumschlagplatz und einer der größten Containerhäfen der Welt Foto: imago/Zuma Press
Ambros Waibel
Interview von Ambros Waibel

taz: Herr Cordova, wie bewerten Sie die Anti-Mafia-Operation „Pollino“, die in Europa und Kolumbien zu zahlreichen Festnahmen und Beschlagnahmungen geführt hat?

Claudio Cordova: Sie ist auf jeden Fall der Beweis für die Globalisierung der ’Ndrangheta – falls noch jemand einen solchen Beweis gebraucht hat. Nicht nur, dass die ’Ndrangheta auf allen Kontinenten präsent ist, sie ist ein wesentlicher ökonomischer Faktor, weil das schmutzige Geld – und es geht um gewaltige Summen – aus dem Drogenhandel in den Markt investiert wird und sauber wieder herauskommt. In welche Aktivitäten genau das Geld fließt, darum geht es bei „Pollino“.

Ist das Kokain immer noch sozusagen die Grundware, aus der sich die Macht der ’ Ndrangheta speist?

Tendenziell ja. Aber sie interessieren sich auch für die sogenannten Neuen Drogen und für Cannabis. In Kalabrien werden ständig riesige Plantagen von Mafiosi beschlagnahmt. Die ’Ndrangheta dringt in alle Geschäftsbereiche ein, wo sich viel Geld verdienen lässt.

Sie haben in diesem Jahr einen Dokumentarfilm über die Drogenmafia in Mexiko gedreht. Nun lesen wir im Rahmen von „Pollino“ auch von Festnahmen in Kolumbien. Welche Unterschiede in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität können Sie zwischen Europa und Lateinamerika festmachen?

In Europa sprechen die Justizbehörden inzwischen wenigstens von derselben Sache, wenn sie von Mafia sprechen. Da gab es lange Zeit viel gegenseitiges Unverständnis. Die europäischen Behörden sind weniger anfällig für Korruption. Was in Europa immer noch fehlt, ist eine Gesetzgebung, die dem Phänomen gerecht wird. Italien ist da – leider – immer noch führend. In Mexiko weiß man sehr oft nicht, auf welcher Seite das Gegenüber – der Polizist oder der Staatsanwalt – eigentlich steht. Der Widerstand gegen die Drogenmafia ist fragmentarisch, auch wenn es natürlich positive Ausnahmen gibt. Ich kann nur vermuten, das es in Kolumbien ähnlich ist.

Bei der Pressekonferenz von Eurojust, der Justizbehörde der Europäischen Union, die an den Ermittlungen beteiligt war, hieß es, der Kokainhandel habe sich verlagert, vom „Containerhafen der Mafia“ Gioia Tauro in Kalabrien nach Nordeuropa. Ist das so und wenn ja, warum?

Gioia Tauro ist immer noch wichtig, einfach weil er so nah an der Zentrale der ’Ndrangheta liegt. Gleichzeitig ist es der wohl am schärfsten kontrollierte Hafen der Welt. Die Droge kommt immer noch an und durch, die Korruption ist da, ungefähr 1,5 Tonnen Kokain wurden jährlich beschlagnahmt, das hat abgenommen. In Nordeuropa sind die Kontrollen weniger rigide und ein wohlhabender Abnehmermarkt liegt quasi vor der Tür.

Bei der Operation sind insbesondere auch Mitglieder des Clans Pelle-Vottari verhaftet worden, angeblich auch der derzeitige Anführer. Der Clan ist in Deutschland durch die Mordtaten von Duisburg bekannt und weiterhin aktiv. Welche Bedeutung haben diese Festnahmen?

Die Pelle-Vottari stammen aus San Luca, der „Mama“ der ’Ndrangheta. Sie haben die direkten Kontakte zu den südamerikanischen Kartellen, arbeiten mit den wichtigsten Kokain-Brokern zusammen.

Im Interview: Claudio Cordova

Der 31-jährige Investigativjournalist ist Gründer und Chefredakteur der kalabrischen Zeitung „Il Dispaccio“.

Wenn die italienische Gesetzgebung so gut ist – warum liest man dann trotzdem täglich von Drohungen und Anschlägen in Kalabrien durch die ’ Ndrangheta?

Auf der Ebene der Repression kann man natürlich immer mehr machen, aber die Bemühungen gehen in die richtige Richtung. Was fehlt, ist der Kampf um einen Kulturwandel. Dass Schutzgeld zu kassieren kein Recht ist, sondern eine kriminelle Handlung – dieses Bewusstsein fehlt. Es gibt eine Angst vor der Freiheit in Kalabrien.

Wie gehen Sie als Journalist mit dieser Situation um?

Sagen wir, es gibt Höhen und Tiefen. Ich kann meiner Heimat dienen, das ist sehr wichtig für mich. Die ’Ndrangheta macht Geschäfte, aber natürlich ist sie immer auch noch schlicht eine schwer bewaffnete Bande. Schlimmer sind aber die Versuche, mich zu isolieren, meine Arbeit zu delegitimieren, durch immer neue Prozesse, aber auch dadurch, das man mir unlautere Motive unterstellt. Wenn es gelingt, die Reputation eines Journalisten zu zerstören, dann ist das, was er schreibt, nichts mehr wert.

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5 Kommentare

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  • Deutschland bestraft die Mitgliedschaft in einer Mafia-Gruppe nicht, dafür aber die Mitgliedschaft in einer Terror-Gruppe, wobei hier die Definitionen, was ist eigentlich eine Terror-Gruppe heikler ist, als bei einer Mafia-Gruppe.

    Das hat zur Folge, dass die Mafia Deutschland als eine Art Dreh- und Angelpunkt in ihre Aktivitäten eingebaut hat. Sie provoziert relativ weenig und selten hier, sie agiert im Verborgenen, macht große Geschäfte, verteilt keine Miniportionen von Drogen an runtergekommene Junkies, sie macht in Deutschland alles richtig.

    Hier sind die Sicherheitsbehörden fanatisch auf radikale Islamisten ausgerichtet und nur wenige Polizeieinheiten beschäftigten sich mit der Mafia.

    Dazu kommt dann der Aufwand: Eine traditionelle, italienische Verbrecherbande zu jagen, die in Deutschland vorsichtig agiert, ist sehr schwer.

    Selbst wenn man hier die Mitgliedschaft schon strafbar machen würde, wäre es ein relativ langer Weg, bei diesen Gruppen wirklich nachhaltig zuzuschlagen.

    Die Razzien jetzt sind schon eine gute Tat, aber vermutlich nur Stückwerk. In Deutschland sind aktiv die Camorra aus Neapel, die Cosa Nostra / Mafia aus Sizillien, die Ndranghetta aus Kalabrien, Clans aus Sardinien und Apulien, dazu noch hybride Gruppen, Netzwerke und Bündnisse - offenkundig schießt man in Deutschland lieber nicht aufeinander, sonder ein Low-Profile ist das A und O dieser Gruppen.

    Das Protzen und sich outen als Kriminelle überlassen sie Albanern, Kurden, Arabern und Russen / Osteuropäern.

    Ich vermute mal, dass es sich irgendwann bitter rächen wird, dass wir hier relativ wenig gegen diese Form der Kriminalität unternehmen.

    Dass es sehr schwer ist, sieht man in Italien. Es ist auch nervenaufreibend, viele Unternehmen, Banken, Grundstücke, Bauernhöfe und Ferienanlagen werden in Italien beschlagnahmt - es ist ein Kampf, der Zähigkeit und Entschlossenheit erfordert.

    • @Andreas_2020:

      Sorry, Sie liegen falsch.

      § 129 StGB stellt eine Mafia-Mitgliedschaft sehr wohl unter Strafe.

      Können Sie die Behauptung, die Sicherheitsbehörden würden Islamisten Priorität einräumen und der organisierten Kriminalität weniger personelle Aufmerksamkeit einräumen, belegen?

  • Petra Reski wurde von der Mafia in Deutschland erfolgreich verklagt und musste Teile ihres Buches schwärzen. Nun schreibt sie ungehemmt als "fiktives" Roman. Sehr empfehlenswerte Lektüre.

    • @Doktor No:

      Ich will damit sagen... Es ist als Journalist nicht einfach über die Mafia zu berichten. Und gerade in Deutschland ist es viel schwieriger als in Italien.

  • „Beim Teutates!“

    Die Ndrangheta ist auf allen Kontinenten präsent.

    Wer hätte das gedacht.