piwik no script img

Gelbwesten-Proteste in FrankreichEinig im Misstrauen

Die Basis der Gelbwesten-Bewegung will den Umsturz, ist aber gespalten. Die einen unterstützen den Linken Mélenchon, die anderen die Rechte Le Pen.

Die Völker wollen den Fall der Regime? Das schreiben Protestierende zumindest an eine Wand in Paris Foto: ap

Paris taz | Am Tresen eines Bistros zur späten Mittagsstunde im Norden von Paris stellt Jean-Claudel Kerhel sein Glas ab. Im Hintergrund laufen die Nachrichten im Fernseher, ein Journalist kommentiert die letzten Ankündigungen von Premierminister Édouard Philippe zur Aufschiebung der Treibstoffsteuer. „Und was passiert in sechs Monaten?“, fragt er. „Glauben Sie wirklich, dass die Regierung dann eine Lösung hat? Was gerade passiert, ist wieder eine Taktik, um uns einzuschläfern.“

Kerhel, braune Lederjacke, Mitte 40, ehemals Kandidat der Grünen für das Rathaus des 18. Arrondissements in Paris, sieht keine Zukunft für Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung. „Die Franzosen haben kein Vertrauen mehr.“

Der Rücktritt des ehemaligen Umweltministers Nicolas Hulot Ende August habe gezeigt, dass „diese Steuer niemals dazu gedacht war, eine Wende in der Umweltpolitik herbeizuführen“. Kerhel ist davon überzeugt, dass Frankreich eine politische Neuordnung braucht. Der Umbruch mit einer neuen Konstitution wird von vielen Gelbwesten jetzt noch vehementer gefordert. Sie sind lange nicht mehr nur an einer Steuersenkung interessiert.

Auch auf den großen Facebook-Seiten der Bewegung werden viele grundsätzlich in ihrer Kritik. Hunderte Kommentare sind es bereits kurz nach der Rede des Premierministers. In vielen finden sich Anspielungen auf die Mai-Proteste 1968 und Fotomontagen von Bildern der Französischen Revolution von 1789. Darauf zieren gelbe Westen die Marianne und ihre Revolutionskämpfer.

Macron ist zu spät

Elodie (Name geändert) gehört einer lokalen Gruppe der französischen Region Hauts-de-France an. Sie lebt 30 Kilometer entfernt von der Kleinstadt Amiens und engagiert sich bei den Gelbwesten, auch wenn das mit drei kleinen Kindern „keinesfalls leicht“ sei. Ihre Reaktion auf das Einlenken der Regierung: „Macron ist viel zu spät dran. Wir haben mittlerweile ganz andere, viel größere Forderungen. Er kriegt überhaupt gar nicht mit, um was es eigentlich geht!“, ruft sie wütend. „Klar, wollen wir einen Umsturz. Macron ist die Marie-Antoinette von heute, der uns sagt: ‚Ihr habt kein Brot, na dann esst doch Brioche.‘“

Während der Pariser Kerhel im linken Oppositionspolitiker Jean-Luc Mélenchon die Alternative sieht, glaubt Elodie an die Rechtsextreme Marine Le Pen. Was beide eint, ist das tiefe Misstrauen gegenüber Macrons Politik.

Noch bevor die Regierung ihr Umlenken zur Benzinsteuer bekannt gab, kündigten Schüler mehrerer Oberstufen- und Mittelschulen in ganz Frankreich an, die Forderungen der Gelbwesten zu unterstützen. An Schulen in Marseille, Toulouse und Yvelines kam es zu Blockaden. Doch es gibt auch gemäßigtere Stimmen, die einen Kompromiss finden wollen und die Ankündigung der Regierung als ersten Schritt dazu sehen. Sie fürchten, dass die Bewegung von extremen Gruppierungen unterwandert wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • „Die Völker“ haben „den Fall der Regime“ immer schon gewollt. Allerdings nicht, weil sie etwas gegen Regime hatten, sondern nur, weil sie gern selber regieren (lassen) wollten. Dass das Regieren nicht so einfach ist, wenn nichts mehr zum Verschenken da ist, hat bisher leider noch niemanden gestört. Die, die es noch nicht probiert haben, wollten sich davon genau so wenig anschrecken lassen wie die, die daran bereits gescheitert sind.

    Vertrauen zu entziehen, ist ganz alleine jedenfalls auch noch keine überzeugende Lösung. Ohne Vertrauen gibt es keine Stabilität. Gesellschaften funktionieren nicht ohne Vertrauen. Schon gar nicht, wenn „die Völker“ nicht nur den Regimen misstrauen, sondern auch einander. Wenn nämlich die Obrigkeit irgendwann abgesetzt ist, werden die, die sie beerben wollen, ersatzweise aufeinander los gehen. Weil sie sich einfach nicht einig werden können darüber, wer der Bestimmer sein darf und wo ganz genau es in eine glorreiche Zukunft geht.