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Billigbiere im VergleichFür den ehrlichen Feierabend

Der Biermarkt schrumpft, auch Billigmarken müssen an ihrem Image arbeiten. Oettinger tut das pragmatisch, Sternburg setzt auf den Proletarier-Lifestyle.

Oettinger? Sternburg? Hauptsache: Prost! Foto: Erik Irmer

Der Philosoph Roland Barthes schrieb über Wein in seiner Populärkultur-Fibel „Mythen des Alltags“ (1957), er sei „vor allem eine Substanz der Verwandlung“. Er mache Schwache zu Starken und gleiche Intellektuelle kurz mal dem Proletariat an. Der Rausch: eine Folge, aber keine beabsichtigte.

Da Barthes kein Deutscher war, fehlt dem Buch ein Kapitel über Billigbier. Würde er es heute nachtragen, 61 Jahre nach Erscheinen der „Mythen“, müsste er kaum mehr tun, als die Ratings zu verdichten, welche die User*innen der Internetseite bierbasis.de dort hinterlassen.

„Süffig ist es, der Körper ist allerdings wie ein Picasso-Gemälde: Tausend Farben hingeklatscht, und der Arsch ist da, wo sonst das Gesicht ist“, steht da über Oettinger Export, ein Bier aus dem bayerischen Teil Schwabens. Es sehe „aus wie billiges Schlabberwasser (…) Duften tut es süßlich und etwas nach Gewürzspekulatius.“ – „Metallisch, muffig und ein wenig malzig.“ – „Wie war das? Mein Mund ist keine Sickergrube.“ Oettinger Export sei „nicht mal Flunkyball-tauglich“ und kostet etwa 33 Cent im Einzelhandel.

Das Leipziger Sternburg Export (um die 39 Cent) wiederum sei „nicht nur ein Bier, sondern ein Lebensstil“ – „Sternburgtrinker grüßen einander an der Kasse.“ Das Bier trage „das Image vom ehrlichen Feierabend für hart arbeitende Männer“. Es sei das „Standard-Accessoire in der Berliner ­U-Bahn, speziell in der Linie 8, die ja den Wedding und Neukölln verbindet.“ Ein „ehrliches Bier für Leute, die auf jeden Cent achten müssen“ und gleichsam „dafür gemacht, in den Berliner Spätkaufs die prekäre Bevölkerung ruhig zu halten“.

Wochenendkasten 24./25. 11 2018

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Der Mythos Oettinger rankt sich auf bierbasis.de also um das, was in der Flasche ist, den Geschmack und die physiologische Wirkung. Sternburg scheint eher eingebettet in ein Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse, seien das nun diejenigen eines altgedienten Proletariats oder eines fresh-agilen Prekariats. Der Geschmack ist nachrangig – Hauptsache, er verbindet. Die Titulation als „Billigbier“ jedoch haben Oettinger und Sternburg gemeinsam, „Pennerbier“ und „Punkerbier“ stehen dann oft noch in derselben Zeile. Und immer wieder „ehrlich“. Was, bitte, soll ein Bier denn unehrlich machen?

Werbung erst seit 2011

Deutsche Brauereien setzten im Jahr 2017 insgesamt 93,5 Millionen Hektoliter Bier ab, ein Rückgang von 2,5 Prozent zum Vorjahr. Auch getrunken wird Bier immer weniger: Letztes Jahr waren es, nun ja, gerade mal 101 Liter pro Jahr und Person. Anfang der 1990er Jahre waren es noch mehr als 140 Liter Bier.

Der Mythos Oettinger rankt sich um das, was in der Flasche ist. Bei Sternburg ist Geschmack nachrangig

In diesem schrumpfenden Markt muss sich auch Billigbier behaupten. Und bleibt nicht, wo jeglicher Luxus fehlt, ein Kern des Eigentlichen? Ein Kern, der Ehrlichkeit ausstrahlt? Auf jene jedenfalls baut das Marketing von Oettinger und Sternburg, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.

Vielen Westdeutschen ist „Sterni“ nach wie vor kein Begriff, im Osten dagegen ist es das meistgetrunkene Exportbier. Ab 1785 in Leipzig-Lützschena gebraut, erlangte es seinen Namen 1822 durch einen neuen Besitzer, den Kaufmann Maximilian Speck von Sternburg. In den 1960ern exportierte die Brauerei ihr Bier bis in die Sowjetunion, man trank es auf DDR-Dampfern und im Interflug.

Nach dem Ende der DDR stand Sternburg fast vor der Pleite, 1993 folgte dann das Comeback als reklamefreies Billigbier. Werbung macht die Brauerei erst seit 2011 wieder, sie dreht dabei ihr Image zum Guten: „Das trinkt man doch nur in bestimmten Kreisen – Ja, in den besten.“

600.000 Hektoliter pro Jahr

Brauereichef Marin Zapf erzählt gern vom Sternburg-Fanfest, das jeden September in Leipzig stattfindet: Ganz selbstverständlich komme da ein Rentner mit einem Abiturienten im Sternburg-Trainingsanzug oder einem Punk mit Sterni-Tattoo und buntem Irokesenschnitt ins Gespräch. Ehrlich, das ist wohl auch der Slogan: „Merke dir, Sternburg Bier“. H.P. Baxxter grüßt.

Für Zapf hat sich das, ja, subkulturelle Sternburg-Image „von selbst“ entwickelt. „Authentizität nennt man das.“ Er spart aus, dass die Brauerei dem Wandel von Ostalgie zum weltoffenen „Untergrund-Charme“ zumindest nachhilft. Auf dem erwähnten Fest spielen heute Punkbands statt DDR-Schlagerstars. „Friede den Kästen! Krieg den Palästen!“, wirbt Sternburg auf einem Plakat. Die Brauerei beschwört die Nähe zum Volk und den vereinenden Charakter ihres Brauwerks. Dabei gehört sie seit 2006 zu Radeberger, der größten Brauereigruppe Deutschlands.

Sternburg ist mit etwa 600.000 Hektolitern pro Jahr ein eher kleiner Player im Biermarkt, während Oettinger mit einem Gesamtausstoß von etwa 8,7 Millionen Hektolitern vorne mitspielt. Neben Krombacher gehört es zu den am meisten gebrauten Bieren in Deutschland. Die günstigen Preise erreicht die Brauerei vor allem durch die eigene Logistik, den Verzicht auf Zwischenhändler. Was Amazon macht, kann Oettinger schon lange.

Neben der Eigenmarke brauen Oettingers Brauereien Handelsmarken in Gotha, Braunschweig und Mönchengladbach – und seit 2005 das beliebte Festivalbier „5,0 Original“, ebenfalls im Billigbiersegment beheimatet. Laut der Braunschweiger Biervertriebs-GmbH steht dieses Bier aus monochromen Dosen „für Unterwegssein und wird von allen geschätzt, die Bier frei von einengenden Traditionen genießen wollen“. Das lässt aufhorchen, soll hier der Bierkonsum offenbar vollkommen entkoppelt werden von Trinkkultur, Lokalkolorit und sozialer Verwurzelung.

Keine genauen Zahlen zum Gewinn

Oettinger selbst fuhr 2017 mit einem Bully durch Deutschland und offerierte einen „Blindtest“ gegen Billigbier-Klischees. Wie auf bierbasis.de ging es ganz pragmatisch um den Content. Ihre Image- und Audience-Reflexion belässt die bayerische Brauerei bei Allgemeinplätzen. Marketingchef Peter Böck lässt ausrichten: „So vielfältig und umfangreich das Sortiment der Oettinger Brauerei ist, genauso vielfältig ist auch unser Publikum.“

Günther Kollmar, der 1956 die Oettinger Brauerei GmbH in ihrer heutigen Form gründete, hatte vor seinem plötzlichen Tod 2013 weit mehr Freude am Anecken. 2005 sagte er dem Spiegel: „Wenn ein Arbeitsloser einen anderen Arbeitslosen einlädt, serviert er zwar bestimmt kein Oettinger, aus Prestigegründen. Dafür stehen wir kistenweise bei ihm im Keller.“

Während Oettinger den Pragmatiker mimt, ist Sternburg wohl mehr Camp mit solidarischem Abgang. Beide aber promoten sie die unverhohlene Lust am Simplen, als Antagonisten der wohl kuratierten Craftbiere.

Wie die meisten anderen Brauereien veröffentlichen beide keine genaue Zahlen zum Gewinn. Aus Wettbewerbsgründen – noch so ein Mythos.

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6 Kommentare

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  • Billigbiere im Vergleich ist ein Titel, der mehr erwarten lässt als nur der Vergleich zweier Brauereien. Der Billigbiermarkt in Deutschland ist schon deutlich breit gefächerter.

    Zum Sternburg kann ich nicht viel sagen, außer das ich es nicht noch einmal trinken würde, Proletarier-Bier hin oder her. Das hat es mit dem Oettinger zumindest gemein.



    Aber die Informationen über Oettinger sind unvollständig oder auch falsch.



    Oettinger ist tatsächlich von einer Mittelstandsbrauerei zu einer der umsatzstärksten Brauereien in Deutschland gewachsen. Geschmäcker sind ja vielfältig, an der Qualität liegts wohl eher nicht.



    Das Oettinger Bier ist nicht deswegen so billig, weil die Brauerei auf Direktmarketing setzt mit eigener Logistik, dass erzählt die Brauerei sicher gerne selbst, sondern weil sie tatsächlich vor inzwischen vielen Jahren eine innovative Idee hatte, die Lagerzeit des Bieres stark zu verkürzen. Vereinfacht gesagt hat man die Gärung soweit optimiert, das diese nach möglichst schnellen erreichen von Geschmacksschwellwerten bestimmter Stoffe, die bei der Gärung entstehen und dann wieder abgebaut werden, hier vor allem Diacetyl, abgebrochen wird und das Bier dann als abfüllfertig erklärt wird. Damit hat sich bei Oettinger die Herstellungszeit im Vergleich zu „normalen Bieren“ üblichen etwa 5-6 Wochen auf maximal 2 Wochen verkürzt.



    Jetzt kann man über den Geschmack sicher streiten, sicher ist Oettinger aber ein optimiertes Industriebier, das eher nicht als „ausgereift“ bezeichnet werden kann. Jetzt sind natürlich andere Brauereien nicht untätig geblieben und haben Ihre Produkte durchaus auch „optimiert“

    Bei einem Biervergleich ist es wie bei vielen anderen Geschmacksvergleichen, ein „ausgebildeter Fachmann“ kann so etwas durchaus schmecken, die meisten eben nicht, wie sollten sie auch.



    Wenn ich Wein trinke, schmeckt er mir oder auch nicht. Hat aber erst einmal nichts mit Qualität zu tun.

  • Einfach mal in Freundeskreis testen: Normal gekühlte Pilsbiere von ganz billig bis ganz teuer ausschenken. Das Resultat ist überraschend, keiner erkennt wirklich die Marke, die Billigbiere schneiden genau so gut ab wie die teuren Pilsbiere.

  • Warum kaufen sich Leute im Supermarkt ein Leffe oder Duvel? Weil das mehr Spaß bringt, als wenig zu zahlen und wenig zu schmecken. Die Zeiten, wo an jeder Ecke eine Kneipe war und die Männer dort fast täglich zusammen tranken, die sind vorbei. Deutsche Brauer haben m.M. zulange auf Massenstoff gesetzt und dabei gibt es in Deutschland immer noch regionale Highlights, aber im Norden verkaufen sie bayrische Biere als Spezialität, meist keine eigenen. Letztlich wollen hier ein paar sehr große Brauereien den Markt in den Griff bekommen und das schmeckt schlecht. Wahrscheinlich eine gute Zeit für kleine Brauereien, die aber geschäftstüchtig sind.

    • @Andreas_2020:

      Warum kaufen die Leute Billigbier?

      Die Antwort findest du im Artikel, weil sie wenig Geld haben! Dass man mit wenig Geld Kompromisse machen muss und sich nicht immer das beste, leckerste, feinste etc. leisten kann, ist nun mal leider so.

      • @Tom T.:

        Kann schon sein, aber kannte und kenne auch Leute, die das Billigbier gekauft haben, ohne wirtschaftlich dazu gezwungen worden zu sein, z.B. aus Geiz. Man kann sich offenkundig an den Geschmack gewöhnen.

      • @Tom T.:

        Hat aber auch mit der konsumierten Menge zu tun. Bei 2 Flachen die Woche ist der Preis nebensächlich, bei 2 Kästen oft nicht mehr.