Die Wahrheit: Sozibot als letztes Aufgebot
Die SPD präsentiert ein revolutionär neues Parteiführungskonzept. Aber können die Sozis künstliche Intelligenz?
So gut war sie schon lange nicht mehr, die Stimmung in der guten alten SPD. Beim Wahrheit-Besuch in der Parteizentrale empfängt ein geradezu aufgekratzter Generalsekretär Lars Klingbeil. Was nur ist in die Partei gefahren? Hat etwa das vor Kurzem grassierende Debattencamp in Berlin-Schweineöde zu dieser Euphorie geführt? Klingbeil winkt ab. „Ach was, das war doch nur politische Folklore für die Basis. Wir haben etwas viel besseres als die sogenannte Schwarmintelligenz. Wir haben künstliche Intelligenz!“
Dahinter verbirgt sich ein neues Führungskonzept mit dem Slogan „Politik 4.0“ – eine Idee von Juso-Chef Kevin Kühnert. Angeturnt hat den Ober-Juso wohl ein Bericht über einen vollständig computeranimierten Nachrichtensprecher der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. „Der liest alle Texte fehlerfrei vor. Überhaupt sagt er alles, was er soll und nur das“, erzählt Generalsekretär Klingbeil begeistert. „In der Partei kann das von uns keiner.“ Deshalb habe der Parteivorstand – mit einer Gegenstimme – beschlossen: „Den SPD-Vorsitz übernimmt ab der nächsten Amtszeit ein Roboter.“ Klingbeil klatscht in beide Hände. Der neue Vorsitzende, der vorerst den Arbeitsnamen Sozibot trägt, „ist somit der überlegenste Vorsitzende aller Zeiten“.
Der digitalisierte Parteichef in spe sei schon so gut wie einsatzbereit, kündigt Klingbeil darüber hinaus an. In Sozibots Kopf arbeitet ein Hochleistungsrechner, in dem sämtliche Parteiprogramme der Welt abrufbar sind. Außerdem verbindet eine Schnittstelle den Sozibot mit allen relevanten Postings in den sozialen Medien. So hat Sozibot in Sekundenbruchteilen auf jeden Reiz die passende Antwort parat. Das lässt ihn stets spontan reagieren, selbstverständlich auch bei Livesendungen.
Sozibot: gefüttert mit ganz viel Identität
„Beim nächsten Kanzlerduell werden sich die Schwarzen umschauen“, feixt Klingbeil und ballt die Faust. Damit Sozibot als Sozialdemokrat identifizierbar bleibt, fütterte man ihn mit identitätsstiftenden Zitaten angesehener Sozialdemokraten. Bei öffentlichen Auftritten ruft er sie nun bevorzugt ab. Besonders gut gefällt Lars Klingbeil dabei ein Ausspruch von August Bebel, dem Gründer der Sozialdemokratie: „Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.“ Ein Klassiker, sagt Klingbeil: „Schon über 100 Jahre alt und immer noch so aktuell. Das können wir sicher eine ganze Weile verwenden.“
Besonders stolz ist der SPD-Generalsekretär auf die Notationssoftware, die man Sozibot einprogrammiert hat – inklusive eines umfassenden Liederbuches. Peinlichkeiten, wie sie sich Andrea Nahles mit einem schief gesungenen Pippi-Langstrumpf-Lied im Bundestag geleistet hat, gehören damit endlich der Vergangenheit an.
Die Praxistauglichkeit des digitalen Vorsitzenden wird aktuell intensiv durchexperimentiert. Gewiss, dabei komme noch „die eine oder andere Baustelle“ zu Tage, gibt Klingbeil zu. Vor Kurzem hat Sozibot dann tatsächlich am SPD-Debattencamp teilgenommen. Als dort mehrere Genossen die Abkehr von Hartz IV forderten, reagierte der Roboter forsch mit Aussagen aus einer Regierungserklärung von Ex-Kanzler Gerhard Schröder: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“
Sozibot ist da, wo es stinkt
Und als man Sozibot neulich auf eine Sitzung im Parteipräsidium vorbereiten wollte, kommentierte er: „Wir müssen dahin, wo es gelegentlich mal stinkt.“ Das Zitat stammt von Sigmar Gabriel. Sozibots Thesenschatz wird deshalb gerade von einer eigens dafür geschaffenen Sonderkommission „Sozialdemokratie und ihre Thesen“, kurz: SoSo, überarbeitet.
Lange diskutiert habe man darüber, wie Sozibot aussehen soll. Am Anfang war eine Art Mischfigur im Gespräch: Frisur Andrea Nahles, Gesichtsausdruck Olaf Scholz, Stimme Willy Brandt. Qualmen sollte er wie Helmut Schmidt – allerdings E-Zigaretten. Die ersten Modelle wirkten aber „wenig ansprechend“, so Klingbeil. Stattdessen stelle Sozibot nun eine Mischung aller sozialdemokratischen Erscheinungsformen dar. „Damit haben wir geradezu den sozialdemokratischen Phänotypen geschaffen – das macht ihn nur noch exklusiver“, freut sich der Generalsekretär bei unserem Gespräch.
Nun können wir die Neugier kaum noch zügeln. „Dürfen wir Sozibot mal kurz sehen?“ Lars Klingbeil strahlt: „Klaro“, sagt er und drückt auf eine Taste seines Tischtelefons. „Sozibot, bitte.“ Herein spaziert Hubertus Heil. „Aber das ist doch – der Bundesarbeitsminister“, reagieren wir irritiert. „Nein“, widerspricht Klingbeil, „der sieht nur so aus. Das ist Sozibot. Hören Sie selbst.“ Wie zum Beweis hebt Sozibot die Stimme. Aus voller Kehle intoniert er – schon wieder das Pippi-Langstrumpf-Lied. Aber endlich singt’s mal einer richtig.
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