: Moderne als umkämpfte Angelegenheit
Haltung statt Stil: Zum 100. Jubiläum des Bauhauses wird der berühmten „Schule für Gestaltung“ an den historischen Standorten gedacht. Weimar und Dessau bekommen sogar ein neues Bauhaus-Museum
Von Ronald Berg
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Das 100. Jubiläum der Gründung des Bauhauses im nächsten Jahr wird an den historischen Standorten in Weimar, Dessau und Berlin mit großem Tamtam begangen werden. Weimar leistet sich – wie Dessau – gleich ein neues Bauhaus-Museum. In Weimar, der Wiege des Bauhauses, gibt es bis auf ein kleines Versuchshaus sonst keine originäre Bauhaus-Architektur. Denn das Bauhaus residierte dort in Bauten, die schon vorhanden waren.
Diese zwei sich gegenüberliegenden Gebäude, kurz nach der Jahrhundertwende errichtet, versinnbildlichen, was mit der Gründung des Bauhauses eigentlich geschehen ist: Es bedeutete die Vereinigung zweier Vorgängerinstitutionen, einer Kunst- und einer Gewerbeschule, zu einer Schule für Gestaltung. Derzeit wird die Grünfläche zwischen den beiden Häusern zum Jubiläum neu hergerichtet. Damit der räumliche Zusammenhang nicht verdeckt wird, mussten Bäume auf der Rasenfläche verschwinden.
Widersprüchliches Experiment
Anfangs hatte es so ausgesehen, als ob beim neugegründeten Bauhaus das Handwerk die Oberhand erlangen sollte. „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück!“, heißt es im berühmten Bauhaus-Manifest von 1919. Tatsächlich war das Bauhaus in vielfacher Hinsicht ein widersprüchliches, zigmal revidiertes und weitgehend gescheitertes Experiment, dass das Leben in der Moderne mit gestalterischen Mitteln zu bessern suchte.
Gründungsdirektor Walter Gropius hatte von Anfang an einen schweren Stand in Weimar. Die Stadt und seine konservative Bevölkerung mochten das „Staatliche Bauhaus“ nicht. Und von der Landesregierung finanziell abhängig, war Gropius 1923 gezwungen, die „Leistungen“ seiner Schule in einer Bauhaus-Ausstellung öffentlich herauszustellen. Gropius hielt den Zeitpunkt für verfrüht. Gerade hatte er in der Ausrichtung des Bauhauses eine komplette Wende vollzogen. „Kunst und Technik – eine neue Einheit“, hieß das neue Motto.
Von der Bauhaus-Ausstellung von 1923 ist heute eben jenes beengte, von Georg Muche entworfene Versuchshaus mit der Adresse „Am Horn“ oberhalb von Goethes Gartenhaus noch übrig. Zum bevorstehenden Jubiläum 2019 wird es gerade noch einmal renoviert. Leitidee ist es, das Gebäude in den Zustand von 1923 zu versetzen. Zu Gropius’136. Geburtstag am 18. Mai 2019 soll das Haus dann als Museum seiner selbst für Besucher offenstehen.
Eigentlicher Höhepunkt des Jubiläumsjahres in Weimar wird aber die Eröffnung des neuen Bauhaus-Museums am ersten Aprilwochenende 2019 sein. Inzwischen steht der Rohbau des Gebäudes. Die Berliner Architektin Heike Hanada hat ihren Siegerentwurf von 2008 inzwischen aber entscheidend verändert. Statt einer Glasfassade wird der massige Kubus jetzt eine aus Betonfertigteilen bestehende Haut bekommen. Das ist die billigere Lösung und vermeidet etwaige Missverständnisse. Das Museum steht nämlich am Rande des ehemaligen „Gauforums“ und hätte mit Glas verkleidet die Nazi-Architektur in seiner Fassade gespiegelt. Als Aussage wohl kaum das, worauf man in Weimar mit dem Bauhaus-Museum hinaus will.
Jetzt sieht der 22,6 Millionen Euro teure, von Bund und Land bezahlte Klotz allerdings fast so aus, als würde er als Luftschutzbunker aus der Bauzeit des „Gauforums“ stammen. Details wie ein angedeuteter Sockel und mächtige Tür‑ und Fenstergesimse sprechen die Sprache trutzig-monumentalen Bauens. Das Museum hat zudem nur wenige Fenster und noch fehlen die in die Fassade eingelegten LED-Lichtbänder, die dem grauen Betonklotz eine gewisse Leichtigkeit beibringen sollen. Auch das Innere des Hauses sieht einem Bunker nicht unähnlich: roh-raue Wände, an der Decke dicke Betonstreben, in denen sich Beleuchtung und Versorgungsleitungen befinden, allerdings immer wieder auch etagenübergreifende Ausblicke.
Der Bauplatz des Bauhaus-Museums liefert eine dezidiert politische Aussage: Die Moderne war eine umkämpfte Angelegenheit und hatte „Beziehungen zum extremistischen Lager“, so formuliert es Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, die das neue Bauhaus-Museum unter ihre Fittiche nehmen wird.
Wie und mit welchen Mitteln das Museum die Geschichte des Bauhauses erzählen wird, kann man bislang nur erahnen. Zur Verfügung steht eine Objektsammlung zum Bauhaus, die mittlerweile 13.000 Objekte umfasst. 1.000 Objekte davon werden im Bauhaus-Museum auf 2.000 Quadratmetern dargeboten werden, darunter Keramik, Lampen, Stühle, aber auch Gemälde und die auf Grundformen von Kreis, Quadrat und Dreieck in den Primärfarben Rot, Gelb, Blau reduzierte Kinderwiege von Peter Keler von 1922 – zugleich Sinnbild von Weimar als Wiege des Bauhauses. Natürlich wird das Museum auch die folgenden Standorte des Bauhauses in den Blick nehmen und Dessau und Berlin nicht unerwähnt lassen.
Aber Weimar will noch mehr. Im Neuen Museum, einem Neorenaissancebau von 1869 auf der gegenüberliegenden Seite des „Gauforums“, wird zum Jubiläum in einer neuen Dauerausstellung unter dem Titel „Van de Velde, Nietzsche und die Moderne um 1900“ auch der interessanten Vorgeschichte des Bauhauses in Weimar gedacht werden. Es soll deutlich werden, dass Gropius vieles aufnahm, was sich seit 1900 besonders unter Henry van de Velde in Weimar bereits vorbereitete hatte. Von van de Velde als Leiter der Kunstgewerbeschule stammen ja auch die Gebäude, die dem Bauhaus als Domizil in Weimar dienten.
Die berühmten Meister des Bauhauses wie Klee, Kandinsky oder Itten wohnten übrigens über Weimar verteilt in Privatwohnungen. Eine Meisterhaussiedlung gab es erst in Dessau. Eine von Gropius geplante Bauhaussiedlung, in der das moderne Leben von den Bewohnern sozusagen als Gesamtkunstwerk aufgeführt worden wäre, kam in Weimar – bis auf das Versuchshaus von Muche – nicht (mehr) zustande. Die mittlerweile rechte Landesregierung drehte 1924 den Geldhahn zu, und das Staatliche Bauhaus machte ab 1925 in Dessau als städtische Einrichtung weiter.
Es ist wohl dem ungeheurem Nachruhm des Bauhaus geschuldet, dass auf Initiative einiger Professoren der Bauhaus-Universität Weimar ab 1999 auf dem ehemals vorgesehenen Gelände für eine Bauhaus-Siedlung – nicht weit entfernt von Muches Versuchshaus von 1923 – eine Siedlung entstand, die nicht zufällig, sondern ostentativ eine Art Bauhausstil zur Schau stellt. Die kubischen weißen Bauhäuschen bieten heute eine Idylle im Schöner-wohnen-Stil. Hier wirkt das Bauhaus nicht mehr schockierend modern, sondern gutbürgerlich-gediegen.
Gropius hatte einst allerdings erklärt: Bauhaus sei kein Stil, sondern eine Haltung. Bleibt nur noch die Frage: Was für eine Haltung soll das gewesen sein? Und was ist davon noch aktuell? Wahrscheinlich kann, darf und soll man zum 100. Geburtstag des Bauhauses erneut darüber streiten. Dass das Bauhaus politisch Partei ergriffen habe und die Bauhaus-Erinnerungsinstitutionen von heute nun so etwas wie die geistigen Erben einer angeblichen Bauhaus-Haltung seien, dagegen wehrt sich in Weimar zum Beispiel der Direktor der Bauhaus-Universität, Winfried Speitkamp: „Politisch ja, parteipolitisch nein“, so seine Haltung.
Die Bauhaus-Universität in Weimar, die sich im Namen auf Gropius’ Erbe beruft, nutzt die beiden Van-de-Velde-Gebäude heute weiter. Hier wird geforscht, gelehrt, gelernt und kreativ gearbeitet. Aber: „Der Begriff Avantgarde ist überholt“, sagt Speitkamp. „Es gibt viele, die voranschreiten – in viele Richtungen.“ Speitkamp übersetzt Bauhaus fürs Heute deshalb mit Interdisziplinarität.
Eine Vielfalt von Ansätzen und Ideen, das scheint zumindest in Weimar die offizielle Perspektive für 2019, unter der an das Bauhaus als „pluralistisches Bildungskonzept“ gedacht werden soll. Auch wenn diese Interpretation selbst nur eine unter vielen sein kann, was das Bauhaus war und was es für unsere Gegenwart vielleicht noch relevant macht.
Informationen zum Bauhaus-Jubiläum unter: https://www.bauhaus100.de
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