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Entkriminalisierung von Schwarzfahren„Der Strafeffekt bringt nichts“

Fahren ohne Fahrschein sollte endlich entkriminalisiert werden – auch in Berlin, findet Linke-Abgeordneter Sebastian Schlüsselburg.

Ohne wird teuer! Foto: dpa
Interview von Plutonia Plarre

taz: Herr Schlüsselburg, Sie laden heute zu einen Fachgespräch ein. Das Thema: Entkriminalisierung von Schwarzfahren. Mit dabei sind Justizsenator Behrendt und Innensenator Geisel. Was versprechen Sie sich von dem Treffen?

Sebastian Schlüsselburg: Ich möchte die Debatte über die Entkriminalisierung von Schwarzfahren voranbringen. Bundesweit ist da ja viel Musik im Spiel.

Was meinen Sie damit?

Der Deutsche Richterbund vertritt inzwischen auch, dass Schwarzfahren entkriminalisiert werden sollte. Das heißt, dass es entweder zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft oder rein zivilrechtlich sanktioniert wird. Auch der CDU-Justizminister von NRW hat sich im vergangenen Jahr ähnlich geäußert.

Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag steht nichts von einer Entkriminalisierung von Schwarzfahren. Wie kommt das?

Wir Linke und die Grünen wollten bereits im Koalitionsvertrag aufgenommen wissen, dass Berlin zu dem Thema eine Bundesratsinitiative startet. Aber mit der SPD war das zum damaligen Zeitpunkt nicht zu machen. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass Innensenator Geisel letztes Jahr auf der Klausurtagung der Linksfraktion auf Nachfrage bestätigt hat: Ja, auch er habe eine Bundesrats­initiative zur Entkriminalisierung in der Schublade. Zur Entlastung der Polizeibehörden könne er sich sehr gut vorstellen, das Thema voranzutreiben.

Warum fahren Leute schwarz?

Einige vergessen ihr Ticket oder vergessen, zu bezahlen. Es gibt sicher auch einige, die sagen: ein- oder zweimal im Jahr erwischt werden – da komme ich mit dem erhöhten Beförderungsentgelt immer noch günstiger weg, als wenn ich mir eine Monatsmarke kaufen würde. Und dann gibt es den Teil der Leute, die suchtkrank sind oder psychische Probleme haben.

privat
Im Interview: Sebastian Schlüsselburg

Linkspartei, ist seit Oktober 2016 Mitglied des Abgeordnetenhauses.

Letztere sind in der Regel die, die eine Ersatzhaftstrafe antreten?

Richtig. Sie können das erhöhte Beförderungsgeld nicht bezahlen. Diese Leute brauchen ganz andere Hilfestellungen. Der Strafeffekt bringt überhaupt nichts. Unsere Koalition finanziert ja bereits sehr erfolgreiche Programme zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen. Dazu kommt: Ein Hafttag kostet 150 Euro. Für den Steuerzahler ist das unglaublich teuer.

Wie viele Leute sitzen zurzeit wegen Schwarzfahrens im Knast?

In Berlin schwanken die Zahlen zwischen 50 und 100. Aktuell sind es rund 50 Menschen, Männer sind überproportional vertreten.

Unter den weit über 3.000 Gefängnisinsassen in Berlin sind die Schwarzfahrer demnach eine verschwindend kleine Minderheit.

Ja, aber von den Ersatzfreiheitsstrafen insgesamt ist das ein beachtenswerter Anteil. Das Strafrecht in Deutschland sollte Ultima Ratio sein. Der Unrechtsgehalt vom Schwarzfahren ist vergleichbar mit Parken ohne Parkschein. Letzteres ist in Deutschland eine Ordnungswidrigkeit. Das Fahren ohne Fahrschein hingegen wird mit dem Strafrecht bedroht. Das ist ein Ungerechtigkeitsproblem. Dieser Straftatbestand …

… Leistungserschleichung …

… hat seinen Ursprung in der NS-Judikatur. Bis heute ist das nicht geändert worden. Es ist der Bevölkerung überhaupt nicht zu vermitteln, warum jemand, der kein Zugticket hat, im Zweifelsfall ins Gefängnis muss.

Solange Berlin und NRW die Einzigen sind, die eine Entkriminalisierung befürworten, wäre eine Bundesratsinitative aber reine Makulatur.

Ganz so ist es nicht. In der Justizministerkonferenz gibt es eine Arbeitsgruppe zum Thema. Sie wird von NRW und Brandenburg geleitet und wird auf der nächsten Frühjahrstagung ein Zwischenergebnis vorlegen. Dann wird man sehen, ob es einen Vorschlag in Richtung Entkriminalisierung gibt. Meine Hoffnung ist, dass sich die Vernunft durchsetzt.

Würden nicht viel mehr Leute schwarzfahren, wenn das Delikt entkriminalisiert würde?

Der zweite Schritt müsste natürlich sein, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen. Unser Vorschlag für die nächste Legislaturperiode ist deshalb: den öffentlichen Nahverkehr in Berlin fahrscheinfrei zu machen.

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3 Kommentare

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  • "… Leistungserschleichung …

    … hat seinen Ursprung in der NS-Judikatur. Bis heute ist das nicht geändert worden. Es ist der Bevölkerung überhaupt nicht zu vermitteln, warum jemand, der kein Zugticket hat, im Zweifelsfall ins Gefängnis muss"

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    Nazi-Argumente sind sowas von out. Das Wort trifft es ziemlich gut und genau was es ist. Ich bin auch für eine entrkiminalisiserung von Schwarzfahren, aber entweder macht man den öffentlichen Nahverkehr kostenlos oder man muss eine andere Form einer angemessen "Bestrafung"

  • "Ein Hafttag kostet 150 Euro." Das ist ein Irrtum, der sich quer durch das politische Spektrum und quer durch alle Berufe zieht. Richtig ist, dass die Vollkosten für einen Haftplatz pro Tag ca. €150,- betragen. Maßgeblich hingegen sind in diesem Fall die Grenzkosten, also die _Mehr_kosten, welche konkret durch jenen einzelnen Angeklagten entstehen, falls der Richter ihn in Gefängnis schickt. Diese liegen nahe Null, da die Kosten i.H.v. €450.000,- für die im Artikel erwähnten 3000 Gefangenen ohnehin auflaufen bzw. allenfalls mit dem Verpfegungs- und Wäschegeld skalieren.

    • @JLloyd:

      Sicher wird man wegen 1 oder 2 oder 50 nicht die Kapazitäten verringern - und somit haben Sie Recht, dass die Kosten eigentlich gleich bleiben.

      Nur baucht man vielleicht etwas mehr Platz für andere Straftatbestände, die man etwas vernachlässigt hat, und jetzt etwas schärfer bewertet. Bevor man da Kapazitäten erweitert - zu entsprechenden Kosten - ist es sparsamer, überflüssiges erst mal auszusortieren.