Habeck und Lindner bei „Anne Will“: Was heißt hier „cremig“?
Dass Lindner die Grünen „cremig“ nannte, passte Habeck gar nicht. Dabei ist gegen eine sahnig-geschmeidige Partei doch nichts einzuwenden. Oder?
Mit diesem einen Wort war Robert Habeck gar nicht einverstanden. „Vernünftig, rational, freundlich in der Ansprache“, das könne man die Grünen ja alles nennen, befand er. Aber „cremig“? Das hatte ihm Christian Lindner am Sonntagabend in der Talkrunde von Anne Will an den Kopf geworfen. Habeck wirkte beleidigt, obwohl gegen eine sahnige bis geschmeidige Partei auf den ersten Blick nichts einzuwenden scheint. Oder?
Cremig ist das Adjektiv zur Creme, übernommen aus dem Französischen. Das Wort stammt wiederum vom altfranzösischen „craime“ ab, das wahrscheinlich durch die Vermischung von „crama“ (vulgärlateinisch für Sahne) und „chrisma“, dem kirchenlateinischen Ausdruck für Salböl, entstanden ist. Eine Creme bezeichnet also eine quasige Substanz vom Süßspeisensektor bis zur Bodylotion. Das Adjektiv cremig wird allerdings in der Regel nur in Bezug auf Lebensmittel verwendet und bezieht sich auf die sahnige Konsistenz verschiedener Speisen. „Freundlich in der Ansprache“, wie Habeck in der ARD vorschlug, ist dagegen kein anerkanntes Synonym.
Lindner hat schon mal über sich selbst gesagt, er sei nicht immer so „elegant und entspannt und cremig“. Die politische Cremigkeit steht also im Gegensatz zur Aggressivität, zum Frontalangriff. Ein cremiger Wahlkampf wäre der Gegenentwurf zum Eklat. Geschmeidige Politik. Grund zum Neid für Lindner, dessen FDP in Hessen nicht so zulegen konnte wie die Grünen?
Andererseits ist eine Creme nicht nur weich und lecker, sondern auch formlos. Lindner sprach bei Anne Will vom „Wohlfühlfaktor“ grüner Politik – was Habeck sich nicht bieten ließ: Cremig, nein danke. Wobei, immer noch besser als „Klimanationalisten“, das andere Attribut, das Lindner sich für die Grünen ausgedacht hatte.
Dabei könnte Habeck stolz auf seine cremigen Grünen sein. Alles läuft wie geschmiert. Und wenn politische Cremigkeit der Gegenpol zu Hetze und Aggressionen ist, dann könnte sich die politische Crème de la Crème da ruhig etwas abschauen. Am Parlamentsbuffet also künftig einfach großzügig zu Bayerisch Creme, Buttercremetorte oder Cremeschnittchen greifen. Denn Süßkram macht glücklich – und mit Torte im Mund hetzt es sich schlechter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen