Mossul nach der IS-Herrschaft: Kultur statt Kalifat
Der IS wurde aus der irakischen Stadt vertrieben, aber viele Viertel liegen noch in Trümmern. Künstler wollen sich ihre Stadt nun zurückholen.
Mossul |
Saleh Elias sitzt im Qantara, dem Büchercafé, das er vor ein paar Monaten eröffnet hat. Es liegt mitten an jener belebten Straße im zweiten Stock eines unauffälligen Gebäudes. Im Eingangsbereich stehen Regale voller Nietzsches und Kafkas, an den Wänden hängen Fotografien von der zerstörten Altstadt Mossuls, außerdem ein orangefarbener Overall und ein paar Handschellen. Das mag manche seiner Kunden irritieren, gibt Elias zu, und sagt: „Es ist wichtig, daran zu erinnern, was unsere Stadt durchlebt hat. Nur so können wir sicher sein, dass es nicht wieder geschieht.“
Etwas über ein Jahr ist es her, seit die irakische Armee Mossul vom „Islamischen Staat“ befreit hat. Die Terrormiliz hatte drei Jahre lang über die Stadt geherrscht. Damals gab es keine Shisha-Bars, denn Rauchen war verboten. Die Buchhändler unter der Brücke waren nicht da, stattdessen zündete der IS jeden Freitag Bücher in der Zentralbibliothek der Universität an. Statt Musik aus den Cafés und Autos schallte nur der Ruf des Muezzins über die Stadt.
Vom Fenster des Qantaras aus sieht man die Ruinen der Universität auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Der Frieden in Mossul ist noch jung und die Spuren des Krieges sind allgegenwärtig – vor allem auf der anderen Seite des Tigris. Hier am Ufer des Flusses liegt die Altstadt von Mossul, die frühere Seele der Stadt. Manche Viertel der Altstadt liegen komplett in Trümmern, darunter verwesen selbst ein Jahr nach der Befreiung noch Hunderte Leichen von IS-Kämpfern – manche mit scharfen Sprenggürteln um den Bauch. Der Wiederaufbau kommt kaum voran. Von den ursprünglich rund 200.000 Bewohnern der Altstadt kehrten erst 600 Familien zurück.
Das Aufblühen einer Kulturszene
Im Universitätsviertel jedoch auf der östlichen Flussseite hat sich längst der Alltag die Straßen zurückgeholt. Und hier sind es nicht nur Shisha-Bars und Restaurants, die wieder eröffnet haben. Seit der Befreiung der Stadt im Sommer 2017 erlebte Mossul das Aufblühen einer Kulturszene, wie es in den letzten Jahrzehnten kaum möglich war. Aktivisten organisieren Festivals, Musiker Freilichtkonzerte, es gibt Lesungen und viele, vor allem junge Bewohner engagieren sich freiwillig: Sie räumen die Straßen frei vom Schutt, verteilen Lebensmittel an arme Familien oder bergen die verbliebenen Bücher aus der Zentralbibliothek der Universität.
Die Idee für einen Ort wie das Café Qantara trägt Elias Saleh schon seit Jahren mit sich herum: ein Treffpunkt für die Intellektuellen der Stadt, ein Ort, wo nicht nur Kaffee getrunken wird, sondern auch Konzerte, Lesungen oder Vorträge stattfinden.
Er will Mossul wieder zu dem machen, als das es bekannt gewesen war: eine Stadt, in der Bildung und Kultur einen hohen Stellenwert genießen. Ein arabisches Sprichwort etwa sagt: Bücher werden in Ägypten geschrieben, im Libanon gedruckt und im Irak gelesen.
Es mag trivial klingen. Doch gerade in Mossul, wo Kultur stets eine prägende Rolle gespielt hat, wurden Künstler und Intellektuelle Jahre- wenn nicht Jahrzehnte lang eingeschränkt und unterdrückt. Unter dem Regime von Saddam Hussein war die Kulturszene beinahe vollständig unter der Kontrolle des Staates – und diente dem Diktator als Instrument für seine Propaganda. Nach dessen Sturz hatten viele Künstler die Hoffnung, nun endlich frei arbeiten zu können.
Stattdessen versank ihr Land im Krieg. Mossul wurde zu einer Hochburg für islamistische Milizen, die die Stadt im Würgegriff hatten wie eine Mafia. Wer ein Geschäft betrieb, musste jeden Monat Schutzgeld bezahlen. Künstler und Universitätsprofessoren wurden zum Ziel von Mordanschlägen. Saleh, der zu jener Zeit als Journalist arbeitete, ging im Trainingsanzug zu Interviews. Es war seine Tarnung. Für die Eröffnung eines Cafés, das auch säkulare Bücher verkauft, wäre er höchstwahrscheinlich umgebracht worden.
Die Befreiung Mossuls beendete nicht nur die drei Jahre Schreckensherrschaft des IS. Sondern auch das Geflecht an Milizen, die Armee-Angehörige ebenso ermordeten wie Journalisten und Universitätsprofessoren. Sie waren es, die dem Kalifat über Jahre hinweg den Weg geebnet hatten.
Als der IS in Mossul die Kontrolle übernahm, floh Saleh nach Bagdad. Als Journalist berichtete er weiter darüber, was in Mossul geschah. Es sei eine schwierige Zeit gewesen, sagt er, zermürbend, aus der Ferne zu sehen, wie der IS den Alltag und das Leben der Menschen in seiner Stadt zur Hölle machte.
Doch selbst dem IS gelang es nicht, das kulturelle Leben ganz abzutöten. In ihren Häusern machten manche Künstler weiter, sie malten heimlich, sie luden sich verbotene Bücher als PDF-Datei auf ihr Handy oder schrieben Texte über den Alltag unter dem IS.
Musik ist mehr als eine sinnlose Beschäftigung
Einer von ihnen ist der Oud-Spieler Khaled al-Rawi. Das Instrument Oud, das vermutlich am nächsten mit der Laute verwandt ist, hat ihre Wurzeln in Mesopotamien – im heutigen Irak. Obwohl dieses Instrument sehr zur Tradition dieses Landes gehört, wüssten nicht viele Leute, wie es zu spielen sei. Musikunterricht hatte schon zur Zeit Saddam Husseins keine Bedeutung. Und die Islamisten, die nach seinem Sturz Mossul terrorisierten, sahen in der Musik Teufelswerk.
Jetzt aber, sagt al-Rawi, würden wieder mehr Leute anfangen, das Instrument zu lernen. Er selber unterrichtet Kinder und spielt nebenher mit drei Freunden in einer Musikgruppe. Einmal hätten sie auf der Straße in Mossul gespielt, erzählt er. Die Passanten seien stehen geblieben, überrascht, viele von ihnen hätten noch nie Musiker auf der Straße spielen sehen. „Als wir unser Stück beendeten, hat niemand geklatscht“, sagt al-Rawi. Nicht, weil es den Leuten nicht gefallen hätte. Sondern weil sie einfach nicht wussten, dass man nach einer Aufführung normalerweise klatscht.
Al-Rawi war schon als Kind von dem Instrument fasziniert. Doch seine Eltern hielten Musik eher für eine sinnlose Beschäftigung. Erst Ende 2013 kaufte er sich seine erste Oud – ein halbes Jahr, bevor der IS Mossul überrannte. Doch al-Rawi verbrachte nicht einen Tag, ohne zu spielen. Er blieb meistens zu Hause in seinem Zimmer und zupfte die Saiten mit den Fingern statt mit dem Plastikstiel, den man eigentlich zum Spielen verwendet. Der Ton sollte nicht zu laut werden.
Manchmal, wenn er die Enge nicht mehr aushielt, setzte er sich in den Garten und spielte. „Wenn die Religionspolizei das mitgekriegt hätte, hätten sie mich umgebracht“, sagt er. Einmal, 2016 war das, da saß er im Garten und wollte gerade ansetzen zum Spielen, als es an der Tür klopfte. Es war ein Freund von ihm. Doch als al-Rawi das Tor öffnete, sah er, wie eine Gruppe IS-Kämpfer gerade ins Nachbarhaus ging. Er wartete, bis sie weg waren. Dann spielte er. Er machte ein Video davon und postete es auf Instagram. Es war eine kleine Botschaft aus dem Kalifat an die Welt, dass es immer noch Leute in Mossul gibt, die sich nicht unterkriegen lassen.
Als sein Viertel befreit wurde, setzte er sich zum ersten Mal draußen in den Friseursalon, den er in seiner Straße betrieben hatte. „Das Gefühl von Freiheit, das ich in dem Moment empfand, ist unbeschreiblich“, sagt er. „Man weiß erst, wie wertvoll sie ist, wenn sie einem genommen wurde.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln