Grundstücksstreit entzweit queere Szene: Lesben-Wohnprojekt vor dem Aus
Der lesbische Verein RuT gewann die Ausschreibung für das Grundstück Schöneberger Linse. Die Schwulenberatung Berlin klagte dagegen – mit Erfolg.
Die mit Spannung erwartete Entscheidung um ein umkämpftes Grundstück am Südkreuz – ein kleines Teilstück der vor allem mit Wohnungs- und Bürobauten ausgeplanten „Schöneberger Linse“ – ist gefallen. Den Zuschlag hat die Schwulenberatung Berlin bekommen, auf dem Gelände soll der dritte „Lebensort Vielfalt“ entstehen. Laut Pressemitteilung der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) handelt es sich bei diesem Wohnprojekt um einen „Gebäudekomplex mit 69 Wohneinheiten, davon 22 als Sozialwohnungen geplant, einer Kita, Beratungs- und Betreuungsangebote für Lesben, Schwule, trans- und intersexuelle Menschen und vielfältigen kiezbezogenen Angeboten“.
RuT dagegen ging leer aus. Dabei hatte Rad und Tat – die Offene Initiative Lesbischer Frauen e. V. die entsprechende Ausschreibung zuvor bereits gewonnen. Doch jetzt wird es nichts mit dem geplanten Wohnprojekt für ältere lesbische Frauen – es wäre bundesweit das erste seiner Art gewesen.
„Die Stimmung bei uns ist niederschmetternd“, sagt RuT-Geschäftsführerin Jutta Brambach der taz. „Wir haben ein gutes Konzept und haben in den Jahren viel versucht, um an ein Grundstück zu kommen, auf dem freien Markt, mithilfe von Bezirk und Senat und BIM, unsere ganze Hoffnung ruhte auf dem Konzeptverfahren.“
RuT hatte das vom Land Berlin ausgeschriebene sogenannte Konzeptverfahren um besagtes Grundstück bereits im November 2017 gewonnen.
Verfahrensfehler bei der Vergabe
Konzeptverfahren bieten laut Eigenbeschreibung der BIM „die Chance zur Realisierung innovativer, standortgerechter Nutzungskonzepte, insbesondere bezahlbaren und zugleich bedarfsgerechten Wohnraum zu schaffen, soziale Projekte wie etwa Angebote für benachteiligte Bevölkerungsgruppen umzusetzen oder ein breites Spektrum an kulturellen Angeboten bereitzustellen“. Genau darum wäre es beim Projekt von RuT ja gegangen.
Gegen die Entscheidung hatte die Schwulenberatung, die sich ebenfalls um das Grundstück auf dem Areal beworben hatte, Widerspruch eingelegt. Es wurden dabei Verfahrensfehler bei der Vergabe geltend gemacht. Was bedeutet das?
Marcel de Groot, der Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin, steht derzeit für Nachfragen nicht zur Verfügung, wie er über die Telefonzentrale ausrichten lässt. Bleibt ein Beitrag auf der Homepage der Schwulenberatung, in dem de Groot auf einen Text des Tagesspiegels Bezug nimmt.
Dort macht Marcel de Groot auf ein Dilemma aufmerksam, dass das eigentlich gut gemeinte Konzeptverfahren infrage stellt: „Wir haben von Anfang an bei einigen Senatsverwaltungen das Verfahren als völlig ungeeignet für soziale Träger kritisiert“, schreibt de Groot. Das Konzeptverfahren ist aus seiner Sicht deswegen ungeeignet, „weil es die teilnehmenden sozialen Träger ungewollt miteinander in Konkurrenz und sie zudem finanziell an ihre Grenzen bringt. Kosten für Gutachten der Bank, Architekten und Sachverständige belaufen sich auf rund 100.000 Euro, und davon wird nichts erstattet.“
Druck ausgeübt
Marcel de Groot schreibt aber auch über „Unregelmäßigkeiten“ im Verfahren zur Grundstücksvergabe und auch, dass „von einer Senatsverwaltung Druck auf uns ausgeübt wurde, den Widerspruch zurückzunehmen“.
Daraufhin habe man einen Anwalt zu Rate gezogen und Widerspruch bei der Vergabekammer eingelegt. „Die Vergabekammer hat uns“, so schreibt de Groot weiter, „in allen strittigen Punkten, wie der ungenauen Ausschreibung, der mangelhaften Aktenführung und einer nicht nachvollziehbaren Bewertung der Unterlagen, recht gegeben.“ Dieser Verfahrensfehler führte nach dem Widerspruch zu einer zweiten und teuren Bewerbungsrunde der drei letzten Bewerber, die am Ende zugunsten der Schwulenberatung ausfiel.
„Die Schwulenberatung hat die Bewertungskriterien als intransparent kritisiert und dies vor der Vergabekammer gerügt“, erklärt Johanna Steinke von der Abteilung Kommunikation und Marketing der BIM das Vorgehen. „Daraufhin wurden die Kriterien noch transparenter gemacht und alle Bewerber hatten die Gelegenheit, ihre Konzepte nachzubessern. Die Zusammensetzung der Fachjury war identisch. Dort saßen Vertreter der Senatsverwaltungen und des Bezirks zusammen. Die Schwulenberatung hat in der zweiten Runde durch das bessere architektonische Konzept überzeugt.“
Jutta Brambach ist gelinde gesagt irritiert: „Warum ist die Architektur, die ja immer auch subjektiv bewertet wird, relevant für das, was im Inneren eines Gebäudes geplant ist?“ Im ablehnenden Bescheid hätte neben dem architektonischen Konzept des Konkurrenten auch dessen finanzielles Gebot eine Rolle gespielt. „Die Regenbogenhauptstadt Berlin ohne Lesben – das ist ein fatales Signal“, resümiert Brambach.
„Schlag ins Gesicht der Community“
Seit dieser Entscheidung hagelt es Kritik an der Schwulenberatung. Teile der queeren Community scheinen gespalten, in den sozialen Netzwerken wird teils heftig diskutiert. Von „Streit“ ist die Rede. Der betroffene Verein RuT hat das Ganze per Pressemitteilung so formuliert: „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Community.“
Jutta Brambach verweist auf die breite Unterstützung für ihr Projekt und auf die bei Chance.org gestartete Petition, die binnen Kurzem über 18.000 UnterstützerInnen gezeichnet hätten: „RuT kämpft seit einem Jahrzehnt für das Projekt FrauenKultur&Wohnen.“ Dahinter verbergen sich „80 günstige Wohnungen, barrierefrei und mit Balkon, dazu Pflegestation, Kiez-Café, Pflege-WGs, und alles das im Herzen Berlins. Ein solcher Ort gelebter Selbsterhebung, lesbischer Biografien und queerer Stadtgeschichte wäre der erste seiner Art in Europa.“
Doch mit der Entscheidung zugunsten der Schwulenberatung stünde das Lesben-Wohnprojekt „vor dem Aus“. RuT spricht von einem „frauenpolitischen Super-GAU“: Frauen würden „mal wieder auf ihren Platz verwiesen“. Ein eindeutiges Signal für lesbische Teilhabe und Geschlechtergerechtigkeit in der Stadt sei vertan, sagt Jutta Brambach, dabei habe es zuvor immer wieder entsprechende „Lippenbekenntnisse“ gegeben. „Doch wir lassen uns nicht an den Stadtrand abschieben, wir wollen ein Grundstück mitten in der Stadt“, sagt Brambach kämpferisch.
Manuela Kay, Mitherausgeberin der Siegessäule, Berlins queerem Stadtmagazin, und Mitglied des Kuratoriums des Wohnprojekts des RuT e. V., bringt es in einem Kommentar auf siegessaeule.de so auf den Punkt: „Das RuT musste eine geradezu alles vernichtende und bewusst herbeigeführte Niederlage erleiden. Aber was unsere Community nicht umbringt, macht uns eben härter und vor allem klüger. Schade, dass die Schwulenberatung kein Teil mehr unserer Community ist.“
Der Verein Rut macht weiter
Sind nun alle Messen gesungen? Ist das per Pressemitteilung verkündete „Aus“ fürs lesbische Wohnprojekt endgültig?
Zunächst müssen, wie das BIM mitteilt, jetzt das Abgeordnetenhaus und der Senat allen Entscheidung zur Schöneberger Linse zustimmen. Wenn das passiert, könnten die Bauvorhaben auf dem Gelände ab dem Jahr 2020 umgesetzt werden.
Und auch „wenn im Moment nicht erkennbar ist, dass es einen politischen Willen gibt, uns ein Grundstück zu geben“, sagt Jutta Brambach, „machen wir natürlich weiter und arbeiten daran, das Projekt zu realisieren“. Das sei man den Frauen, die auf einen Platz in diesem einzigartigen Wohnprojekt schon lange warten, schuldig.
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