Kommentar Wahl in Bosnien: Demokratie zum Weglaufen
23 Jahre nach dem Dayton-Friedensvertrag wird Bosnien weiter von Volksgruppen dominiert. Die Abwanderung von Fachkräften zermürbt das Land.
S chon eine Generation kennt gar keine andere Form der Demokratie. Das Problem fängt schon damit an, dass man als Bosnier erklären muss, welcher Volksgruppe man sich zugehörig fühlt, wie man sich also „ethnisch“ definiert. Auch wer aus einer gemischten Familie kommt, muss bestimmen, ob er oder sie Bosniakin (muslimisch), Serbe (orthodox) oder Kroatin (katholisch) ist. Wer sich als moderner Mensch und Europäer gar nicht definieren will, hat nur eingeschränkte Bürgerrechte. Er oder sie darf zum Beispiel nicht gewählt werden, wie alle Angehörigen von Minderheiten, die sich nicht den drei „konstitutiven Nationen“ zugehörig fühlen.
Da hilft es auch nicht, beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg zu klagen und Recht zu bekommen. Schon vor fast zehn Jahren erklärte der EuGH, dass die Verfassung grundlegende europäische Werte verleugne und forderte, die Parlamente müssten die Verfassung ändern. Passiert ist jedoch nichts. Die herrschenden nationalistischen Parteien wollen sich nicht in die Suppe spucken lassen. Alles soll so bleiben, wie es ist. Und die Außenwelt tut so, als sei alles okay, Brüssel und die Hauptstädte akzeptieren für Bosnien und Herzegowina einen in Europa rechtlich unhaltbaren Zustand.
BosnierInnen müssen das akzeptieren. Ob sie wollen oder nicht. Sie dürfen immerhin Parlamente wählen, sogar mehrere. die Parlamente der Kantone in der bosniakisch-kroatischen Föderation, das Parlament der Föderation, dann das Parlament des Gesamtstaates. Bewohner der serbischen Teilrepublik haben es leichter: Sie wählen nur das Parlament und den Präsidenten der „Republika Srpska“ und das des Gesamtstaates.
Alle Wähler dürfen zudem die drei Präsidenten des Gesamtstaates wählen. In der Föderation dürfen sogar Muslime und Kroaten jeweils bei der Präsidentschaftswahl der anderen Volksgruppe mitwählen, was in den Augen der zahlenmäßig unterlegenen kroatischen Nationalisten unfair ist.
Zerstobene Träume
Einfach den besten Kandidaten oder Kandidatin zu wählen, geht aber generell nicht. Wer einen Job will, wählt (nachweislich mit Handy-Foto) die herrschenden Parteien. Oppositionelle können keineswegs sicher sein, dass ihre Stimme zählt. Denn in den Wahlkommissionen sitzen Handlanger der wichtigsten Parteien, sie können eine Stimme ungültig machen und die von 110-Jährigen, die schon seit 20 Jahren auf dem Friedhof ruhen, für gültig erklären. Die ausländischen Wahlbeobachter kriegen diese Wahlmanipulationen in der Regel gar nicht mit.
Als die internationalen Politiker am Konferenztisch in Dayton, Ohio 1995 Bosnien und Herzegowina einen Friedensvertrag verordneten, schufen sie gleichzeitig eine für demokratisch erklärte Verfassung. Mit der Präsenz internationaler Akteure wie des Büros des Hohen Repräsentanten sollte das Land in eine gemeinsame, bessere und friedliche Zukunft geführt werden.
Man wollte Demokratie und Rechtsstaat aufbauen und so die Voraussetzung für eine gute wirtschaftliche Entwicklung schaffen, die schließlich in die Integration des Landes in ein Europa der Prosperität und des Friedens münden würde, so das Versprechen. Mit der Demokratie und mit der Bestrafung der Kriegsverbrecher sollte der Neuanfang begonnen werden.
Heute sind diese Träume völlig zerstoben, die Versprechungen von damals klingen nur noch wie Hohn. Wer in diesem Land geblieben ist, muss sich mit dem in Dayton geschaffenen System arrangieren. Es gibt zwei Teilstaaten, die Entitäten, es gibt 10 Kantone, den unabhängigen Bezirk Brcko. Dazu kommt, dass sich auf Grundlage dieser Struktur drei Erfahrungswelten, drei Medienwelten, also drei Öffentlichkeiten entwickelt haben. In den Parlamenten besteht die „demokratische Kultur“ darin, die von den herrschenden Nationalparteien definierten „Interessen“ der Volksgruppen durchzusetzen.
Eine lahme Ente
Es geht nicht um beste Lösungen für die Gegenwart und Zukunft des Landes. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus – in Mostar werden sogar Kommunalwahlen blockiert, die beiden Nationalparteien der Kroaten und Muslime haben sich auf eine Machtteilung geeinigt. Und langsam wird deutlich, dass die Nationalisten der Kroaten und Serben ihre Kriegsziele von 1992 endlich durchsetzen wollen: Das Land soll territorial nach ethnischen Kriterien aufgeteilt werden. Dieses Modell wird zunehmend durch ausländische Mächte gestützt.
Der starke Mann der Republika Srpska Milorad Dodik bekommt Hilfe für seine Pläne der Sezession der serbischen Teilrepublik und der Vereinigung mit Serbien: Er wurde vor einigen Tagen demonstrativ nach Moskau eingeladen. Russland bildet serbisch-bosnische Militärs aus. Die nationalistischen Kroaten der Herzegowina können mit der Hilfe aus (dem EU-Land) Kroatien für ihre „Dritte Entität“ rechnen, die Nationalisten bei den Muslimen klammern sich an eine vollmundig versprochene (militärische) Rückendeckung aus Ankara.
Bei Jugendlichen der Unterschichten werden autoritäre Politikmodelle immer populärer. Die USA und die EU dagegen lassen die Dinge schleifen und wollen ungern an die Versprechen von Dayton erinnert werden. Dazu gehörte immerhin, die territoriale Integrität des Landes und den demokratischen Aufbau zu garantieren. Mit Trump sind die USA nicht mehr verlässlich und die EU hat an Ansehen eingebüßt. Auch weil Brüssel nicht mehr Zähne zeigt, weil es die Schwächung des Hohen Repräsentanten in Sarajevo zugelassen hat.
Der Hohe Repräsentant hätte zwar formell die Macht, nationalistische Politiker des Amts zu entheben, doch niemand unterstützt ihn. Jetzt ist er eine lahme Ente. Was sollen also junge BosnierInnen tun, wenn sie in einem demokratischen Land leben wollen? Die Antwort ist jeden Tag erfahrbar. Zehntausende Fachkräfte haben das Land im letzten Jahr in Richtung stabilerer Demokratien verlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!