Kritik an EU-Parlamentspräsident: EU streitet um Ungarn
Antonio Tajani wird vorgeworfen, zu wenig Einsatz beim Verfahren gegen Ungarn zu zeigen. Auslöser der Kritik ist sein Brief an Österreichs Kanzler.
Auslöser des Streits ist ein Schreiben von Tajani an den amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Der Brief, der der taz vorliegt, ist ungewöhnlich lapidar. Er enthält nur drei Sätze und endet mit dem Hinweis darauf, welche „Bedeutung das Parlament dieser wichtigen Angelegenheit“ beimisst. Tajani vermeidet es jedoch, sich persönlich für das EU-Verfahren einzusetzen und auf schnelle Befassung zu drängen.
Dabei geht es um eine Premiere: Zum ersten Mal in seiner Geschichte hatte das Europaparlament in Straßburg für das sogenannte Artikel-7-Verfahren gestimmt. Damit wollen die Abgeordneten gegen eine „systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte“ in Ungarn vorgehen. Zugrunde lag dem Beschluss ein Bericht der grünen Europaabgeordneten Judith Sargentini.
Die niederländische Politikerin wird seit dem Parlamentsbeschluss von Orbán-Anhängern bedroht. Tajani hätte Sargentini öffentlich unterstützen müssen, sagt der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Sven Giegold. Außerdem müsse sich der konservative Italiener, der zu den engsten Vertrauten des früheren Premiers Silvio Berlusconi zählt, entschiedener für das EU-Verfahren einsetzen.
Tajani müsse sich energischer einsetzen
„Der Präsident muss unzweifelhaft klar machen, dass die Vertreterin des Europaparlaments nicht zum Abschuss freigegeben werden darf“, fordert Giegold. Bisher verteidige Tajani die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn „nur halbherzig“. Kritik kommt auch von den Sozialdemokraten. Tajani müsse sich energischer für das Rechtsstaatsverfahren einsetzen und beim Ministerrat auf eine rasche Befassung drängen, sagte der Vorsitzende der deutschen Gruppe in der S&D-Fraktion, Jens Geier. „Fire and forget – das kann es nicht gewesen sein“, sagte er. Auch die EVP müsse sich klar positionieren und Orbáns Fidesz-Partei zu Reformen drängen – oder aus der Fraktion ausschließen.
Fraktionschef Weber (CSU) hatte sich bei dem Votum vor zwei Wochen zwar für das Rechtsstaatsverfahren ausgesprochen. Die meisten CSU-Europaabgeordneten hatten jedoch dagegen gestimmt. Zudem hat sich die EVP gegen einen Ausschluss der Fidesz aus der Fraktionsgemeinschaft ausgesprochen. Dies stelle nun die Glaubwürdigkeit von Weber infrage, heißt es bei Grünen und Sozialdemokraten, die sich genau wie CDU und CSU für den Europawahlkampf warm laufen.
„Mit Orbán in den eigenen Reihen kann man keinen glaubwürdigen proeuropäischen Wahlkampf führen“, sagte Giegold. Der designierte Spitzenkandidat der EVP für die Europawahl, Weber, müsse sich entscheiden. Allerdings muss sich Weber auch nach CSU-Chef Horst Seehofer richten – und der hält Orbán die Stange.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!