piwik no script img

Origami für den Frieden

Nach drei Wochen „China Time“ feiern ChinesInnen und HamburgerInnen ein Fest und blicken zurück auf ihre gemeinsame Vergangenheit, in der nicht immer alles schön war

Deutsch-chinesischer Dialog auf einer Mai-Demo1993 Foto: Paul Kulms

An Bord einer sich mondän gebenden Hamburger Touristen-Barkasse Richtung Anleger-Ponton Hafenmuseum hört der Autor eine skurrile Unterhaltung über ein altes Foto aus dem Jahr 1993. „Sind das Chinesen oder Japaner, die da auf dem Balkon des Hamburger Gewerkschaftshauses auf die versammelten Mai-Demonstranten schauen?“, fragt einer. Lars Amenda, Hamburger Historiker und Kurator der Sonder-Ausstellung „Heizer, Köche & Container – China in Hamburg“ im Hamburger Hafenmuseum, will das nicht beurteilen.

Die Bordgesellschaft ist auf dem Weg zu einem Finale: Nach drei Wochen mit zahlreichen Ausstellungen, Konzerten, Vorträgen, Diskussionen, Lesungen, Theateraufführungen und Kinovorstellungen soll im Hafenmuseum, einer Außenstelle des Barmbeker „Museums der Arbeit“, im Schuppen 50A an der Australia-Straße musikalisch abgefeiert werden. Mit der „China Time 2018 Hamburg“, einer Initiative des Hamburger Senats, will dieser die Beziehungen zu China verbessern.

Maßgeblich verantwortlich nicht nur für diesen Abend ist das Konfuzius-Institut der Universität Hamburg, „eine Art Goethe-Institut der Chinesen“, wie ein Passagier erklärt. Konfuzius-Institutsleiter Carsten Krause erklärt derweil unter Deck das Programm des Abends mit dem Titel „Hamburg-China-Freundschaftsfahrt und Abschlusskonzert“, während die Touristen-Barkasse eine Ehrenrunde auf dem Hafen-Elbwasser dreht. In Sichtweite zweier Kriegsschiffe auf Höhe der Werft Blohm & Voss wird gedreht und der moderne Kahn schippert in Gegenrichtung zum frisch eingeweihten Hafenmuseums-Anleger. Die Blohm-&-Voss-Docks steuerbord sind leer, die Musical-Geldmaschinen nebenan noch verwaist und die folgende Raffinerie-Anlage ist leider auch kein Schmuckstück für die Hamburg-Werbung.

Die Barkasse fährt rein in den Hansahafen von 1893, auch das hier ist kein Motiv für die Touristen-Vermarktung, sondern ein in die Jahre gekommener Hafenumschlagsplatz, wo auch Neuwagen für den Export verladen werden. Keine Hafen-Romantik für die anwesenden Landratten.

Argwöhnische Lokalpresse

Um 1900 begann die Geschichte der Chinesen an Bord deutscher Dampfschiffe. Rund 3.000 Landsleute sollen damals vorwiegend als Heizer und Bordwäscher Schwerstarbeit geleistet haben bei rund 50.000 in der reichsdeutschen Seeschifffahrt beschäftigten Seeleuten, informiert die Begleitbroschüre des St.-Pauli-Archivs zur Sonder-Ausstellung. Das war auch der Beginn der Geschichte der Chinesen in Hamburg, argwöhnisch beobachtet von der Lokalpresse: „Ganze Rudel von Chinesen“ seien auf St. Pauli anzutreffen, schrieb etwa das sozialdemokratische Hamburger Echo. Und auch die Polizei registrierte, wie das beschämend eindrucksvolle Foto von 1912 mit dem Titel „Chinesische Heizer vor der Polizeikamera in Hamburg“ dokumentiert – unerwünschtes Menschenmaterial.

Aber wir sind heute eher auf Vergnügungsfahrt, gehen geleitet von Krause an Land, den langen Hafen-Schuppen 50 aus 1908 bis 1912 entlang mit erstaunlich vielen Zeugnissen vergangener Hafen-Geschichte: Kräne, Waggons, Gleise, Kähne – „Hafengeschirr“ eben aus der containerlosen Hafen-Epoche.

Beim Fußmarsch zum Museum gibt es die Gelegenheit für Erkundigungen beim Historiker Amenda, ob es denn stimme, dass Marietta Solty (75) als Betreiberin der ältesten Kneipen-Einrichtung namens „Hongkong-Bar“ am Hamburger Berg aufhören wolle?

Davon sei Amenda nichts bekannt, sagt dieser. Bekannt aber ist die Geschichte des legendären Etablissements: Vater Chong Tin Lam wanderte 1926 ein, gründete 1938 ein Lokal und wurde wie viele seiner Landsleute von den Faschisten verfolgt: „Die NS-Rassenpolitik wurde auch auf die Chinesen übertragen und die Hamburger Polizei wies beispielsweise einzelne chinesische Gastwirte alleine deshalb aus, weil sie in ‚wilder Ehe‘ mit deutschen Frauen lebten“, schreibt Amenda in der Broschüre. Im Mai 1944 kam es zur „Chinesenaktion“ der Hamburger Gestapo, „129 chinesische Männer wurden in St. Pauli festgenommen und ins Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel verbracht und dort systematisch misshandelt“.

Vater Chong Tin Lam kam nach vielen durchlittenen Torturen mit dem Leben davon, erhielt seine Gastwirtschaft zurück, wurde aber nie entschädigt. Seine Verfolgung sei ein „gewöhnlicher polizeilicher Vorgang“, wurde ihm später beschieden. Tochter Marietta Solty, geborene Tschi Fong, übernahm die „Hongkong Bar“ mit angeschlossenem Hotel-Betrieb nach dem Tode ihres Vaters 1983 und will anscheinend auch 2018 nichts vom Aufhören wissen.

Drinnen im Hafenmuseum stimmt sich auch Krause mit einer zweisaitigen chinesischen Kniegeige für den Konzert-Abend ein. Wenig später sitzt ein unerwartet großes Orchester auf der Bühne, eine Mischung aus chinesischen und europäischen Musikern.

Die vielen Darbietungen finden unter einer Installation von 10.000 Origami-Vögeln statt, von Studenten aus Europa und Asien aus ausrangierten Bücherseiten gefaltet: „Ein Stück freier Himmel – 10.000 Kraniche“ als Botschaft für den Frieden.

Ganz andere Töne

Das Publikum ist vorwiegend hiesig, ganz im Gegensatz zu dem bei der Veranstaltung “Ode an die Berge / Sound of Yuan­shan“ Tage zuvor im beeindruckend renovierten historischen „Musiksaal“ des DGB-Gewerkschaftshauses am Hamburger Besenbinderhof. Einst war hier auch „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ auf einem farbigen Glasfenster zu lesen.

Da war das Haus voll, zahlreiche Vertreter der chinesischen Community, die in und um Hamburg rund 20.000 Menschen zählt. Aber auch China-Fans wie der zu Reichtum gekommene Unternehmer Jürgen Hunke, der seine Besitztümer bevorzugt mit Buddha-Figuren verziert. Besonders viel Anklang fand Beethovens operesk dargebotene „Ode an die Freude“ durch den „Singkreis Ode an die Freude“. Wen wundert’s!

Ganz andere Töne, eine Mischung aus traditioneller Volksmusik ethnischer Minderheiten, versetzt mit E-Pop-Klängen, präsentierte die „Yuanshan World Music Band“. Junge Musikhochschul-Studenten aus Südwest-China mit sehenswerten choreographischen Einlagen, die bereits während der „China Time 2016“ im Hamburger „Konfuzius-Institut“ eine spektakuläre Show hinlegten.

Im Hafenmuseum verabschieden sich die „Yuanshans“ mit einer Trommel-Nummer vor dem Rückflug in die Heimat. Viele Abendgäste hätten gern mehr gehört, bloß wartete die Barkasse für den Rücktransport der Gäste zur „Überseebrücke“ an den Landungsbrücken.

Wer ohne Elb-Überfahrt noch bis zum 28. Oktober die Sonderausstellung im Hafenmuseum aufsuchen möchte, muss auf der Westseite des S-Bahnhofs Veddel den Bus 256 nehmen, der relativ selten fährt und – sonntags nie. Mit dem Fahrrad durch den Alten Elbtunnel geht es flotter.

Paul Kulms, 69, seit 1977 Mitglied der taz-Initiative, dann bei der taz hamburg „Mädchen für alles“. Kam 1992 vom Regen in die Traufe zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Hafenmuseum Hamburg

Kopfbau des Schuppens 50A

Australiastraße

20457 Hamburg

Tel. 040 73 091 184

info@museum-der-arbeit-hafenmuseum.de

Öffnungszeiten

Montag 10 – 17 Uhr

Mittwoch bis Freitag 10 – 17 Uhr

Samstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr

Die Begleitbroschüre zur Sonderausstellung „Heizer, Köche & Container“ (Hrsg. St. Pauli Archiv e.V.), 5 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen