Ausstellung zu Hochzeiten: Ein menschliches Grundbedürfnis
Liebesbeweis oder vertragliche Absicherung der Lebensgrundlage: Die Ausstellung „Hochzeitsträume“ im befasst sich mit Eheschließungen.
Heiraten ist keine leichte Sache. Die „Schäppel“ genannte Brautkrone, die eine Braut im 19. Jahrhundert im Schwarzwald während ihrer Hochzeit auf ihrem Kopf balancierte, konnte schon mal vier Kilo wiegen. Schmuckvoll verziert, spiegelte die Krone Reichtum und Ansehen der Brautfamilie wieder.
Das romantische Interesse der Heiratenden spielte damals eine untergeordnete Rolle – eher ging es um eine „gute Partie“, Regelung von Erbansprüchen und familiären Allianzen.
Heute erfreut sich das Heiraten wieder zunehmender Beliebtheit. Weniger als Zweckallianz, sondern, inspiriert von Promi- und Adelshochzeiten, als aufwendig inszeniertes „Fest der Liebe“, das die besondere Verbindung zweier Menschen feiern soll.
Ob als romantischer Liebesbeweis oder vertragliche Absicherung der Lebensgrundlage – alle Hochzeiten eint, dass sie eine Projektionsfläche für Hoffnungen, Träume und Erwartungen darstellen.
Ein „Tränenkleid“
Die Ausstellung „Hochzeitsträume“ im Museum Europäischer Kulturen, die am kommenden Freitag eröffnen wird, will diese Projektionsfläche greifbar machen. Dabei geht es den Ausstellungsmacherinnen weniger um historische Entwicklung oder ethnologische Beschreibung von Hochzeitsbräuchen. „Wir versuchen, die einzelnen Exponate an eine persönliche Geschichte zu knüpfen“ erklärt Kuratorin Jane Redlin „verschiedene Aspekte des Heiratens werden dadurch schlaglichtartig dargestellt“.
Die Ausstellung Brautkleider, Brautkronen und Schmuck, Hochzeitsfotos und Websites, royale Souvenirs und "Wäsche für darunter" zeugen von Wünschen und Emotionen in Geschichte und Gegenwart des Heiratens. Rituelle Gegenstände, Bilder, künstlerische Fotografie, Interviews und Filme erzählen von den erfüllten, aber auch von den unerfüllten Hochzeitsträumen. Die Ausstellung eröffnet am Freitag, den 28. September und schließt am 28. Juli 2019. Die Ausstellungseröffnung ist am Donnerstag, den 27. 9., um 18Uhr, der Eintritt ist frei. Weitere Informationen sowie Termine für Sonderveranstaltungen und Kuratorenführungen unter: tiny.cc/hochzeitstraeume.
Das Museum Europäischer Kulturen ist an der Arnimallee 25 in Dahlem. Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, samstags und sonntags, 11 bis 18 Uhr. Eintritt 8 Euro, ermäßigt 4 Euro.
Ein Beispiel ist das „Tränenkleid“: ein Brautkleid aus dem 19. Jahrhundert, das über Generationen weitergegeben wurde und zuletzt inmitten des 2. Weltkriegs zum Einsatz kam. In Zeiten des Mangels musste die Braut das Kleid ihrer Großmutter wiederverwenden. Sie war darüber so traurig, dass sie drei Tage lang weinte.‑
So versuchen die Kuratorinnen, sich den vielschichtigen Dimensionen des Phänomens aus einer persönlichen Perspektive zu nähern. Denn, unabhängig von Epoche und Kultur, geheiratet wird immer. Die Ethnologie nennt das ein „Übergangsritual“, das den Eintritt in eine neue Lebensphase markiert.
Lange bedeutete dies vor allem den vollwertigen Eintritt in die Welt der Erwachsenen und die gesellschaftliche Anerkennung der eigenen Liebesbeziehung. Historisch gesehen erfüllte die Heirat dazu noch wesentliche soziale Funktionen: „Heiraten war ein Rechtsakt“, erklärt Kokuratorin Judith Schühle: „Es wurden Allianzen gebildet und Erbansprüche sichergestellt.“
Versorgungsehen
Der Versorgungsaspekt stand im Vordergrund. Das könne man gut anhand alter Zeitungsanzeigen erkennen: So suchte eine Bäckerstochter einen Bäckerssohn, „da ging es bei der Heirat hauptsächlich darum, den Laden des Vaters weiterführen zu können“, erklärt Schühle. Erst mit der Romantik entstand im 19. Jahrhundert die Idee der Liebesheirat, die sich im Laufe des 20. Jahrhundert zunehmend durchsetzte.
In der jüngeren Vergangenheit wurde die Heirat oft totgesagt. Die Zahl der Trauungen brach in den vergangenen Jahrzehnten ein, die Zahl der Scheidungen nahm rasant zu. Die zunehmende Akzeptanz alternativer Lebensentwürfe begünstigen den Eindruck, beim Heiraten handele es sich um ein altmodisches Überbleibsel aus der Vergangenheit.
Die Kuratorinnen widersprechen dem vehement. Gerade bei der jüngeren Generation gehe der Trend wieder zum Heiraten. „Mit der Heirat wird der Traum von Sicherheit geträumt“, erklärt Schühle, „es ist eine Abgrenzung zu den Unsicherheiten, denen junge Leute gesamtpolitisch gegenüberstehen.“
Dieses Bedürfnis zeigt sich auch in der ungebrochen anhaltenden Faszination, die Adels- und Promihochzeiten auslösen, deren Liveübertragungen Traumquoten bringen. „Darin äußert sich die Sehnsucht nach scheinbar perfekter Liebe“, so Schühle, auch wenn diese in der Realität nicht erreichbar sei. Dennoch wird versucht, diesem Traum möglichst nahe zu kommen, indem auch die eigene Hochzeit möglichst opulent inszeniert wird.
Bilder auf Instagram
Im Gegensatz zu früher spielt die mediale Darstellung heute eine große Rolle: „Es gibt auf Instagram eigene Hashtags, unter denen Menschen ihre Hochzeitserfahrungen Revue passieren lassen.“ Anstatt eines einzigen Hochzeitsfotos werden eigens Fotografen engagiert, die jeden Moment der Feier dokumentarisch festhalten und in den sozialen Medien veröffentlichen.
Dass das Ritual im Laufe der Zeit seine Bedeutung zwar verändert, aber nicht verloren hat, zeigt ein anderes Exponat der Ausstellung: eine Hochzeitskuchenfigur bestehend aus zwei Lego-Männern. Ein gleichgeschlechtliches Paar überließ sie der Ausstellung. Da Lego nur heterosexuelle Paare anbot, hatten sie sich die Kuchenfigur für ihre Hochzeit selber zusammengebastelt.
Die dahinterliegende Debatte über die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen offenbart, wie viel Bedeutung dem Heiraten unverändert beigemessen wird. Kuratorin Redlin ist sicher: „Das Ritual ist ein menschliches Grundbedürfnis.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!