piwik no script img

Kommentar Grenzschutzagentur FrontexDer Juncker-Populismus

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die massive Aufstockung von Frontex dient nicht der Seenotrettung, sondern einzig der Abschottung. Es ist eine Verneigung vor den Rechten.

Abschottung statt Seenotrettung von Flüchtlingen: Frontex setzt die falschen Prioritäten Foto: reuters

W ir haben verstanden! Dieses Signal will EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bei seiner letzten großen Rede im Europaparlament aussenden. Nach dem überraschenden Schwenk bei der Sommerzeit soll nun der massive Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex folgen. Mit beiden Maßnahmen will sich Juncker bürgernah geben.

Doch wofür brauchen wir 10.000 Küsten- und Grenzschützer? Was soll der Ausbau von Frontex bringen, wenn er erst – wie geplant – 2020 beendet ist? Die Pläne, die vor Junckers Rede am Mittwoch in Brüssel durchgesickert sind, lassen nichts Gutes ahnen. Dem EU-Chef geht es nämlich nicht etwa darum, die Rettung von Flüchtlingen in Seenot zu erleichtern.

Es geht auch nicht darum, die selbst in Not geratene Frontex-Mission „Sophia“ zu retten. Nein, Juncker hat ganz andere Pläne. Statt die Seenotrettung endlich (wieder) zu einer Aufgabe der EU zu machen, ist geplant, die Abschiebungen auf EU-Ebene durchzuführen um die Zahl der Abschiebungen insgesamt deutlich zu vergrößern. Darüber hinaus sollen die Grenzschützer sogar bewaffnet und zur Not auch gegen den Willen eines Mitgliedsstaates eingesetzt werden, um etwa eine EU-Außengrenze dicht zu machen.

Der Schutz der Außengrenzen und des Schengen-Raums steht im Vordergrund – nicht der Schutz der Flüchtlinge. Juncker folgt damit einem Wunsch der Staats- und Regierungschefs (Kanzlerin Angela Merkel eingeschlossen), aber auch dem Druck der Rechtspopulisten in vielen europäischen Ländern. Der AfD gefällt's; sie jubelt, dass Juncker nun eine ihrer Forderungen übernommen habe!

Wenn das bürgernah sein soll, dann ist es ein merkwürdiges Verständnis von Bürgern und Nähe. Tatsächlich sieht es eher so aus, als sei der Populismus nun auch in der Brüsseler EU-Kommission angekommen. Dabei kommen die Aufstockung – wenn sie überhaupt einen Nutzen haben sollte – um Jahre zu spät. Denn die Flüchtlinge, vor denen die EU künftig ihre Grenzen „schützen“ will, sind längst da.

Frontex-Papier

„Es muss mehr getan werden, um (...) eine effektive Kontrolle der EU-Außengrenzen sicherzustellen und die Abschiebungen von irregulären Migranten zu erhöhen“, zitierte die Tageszeitung Die Welt aus dem Papier, auf das EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auch am Mittwoch in seiner Rede zur Lage der Europäischen Union im EU-Parlament eingehen wird. Die Brüsseler Behörde wollte sich am Montag nicht dazu äußern. Die Eckpunkte sind ohnehin längst bekannt: Bis 2020 soll die Grenzschutztruppe von aktuell 1.500 Beamten auf 10.000 anwachsen. Zudem soll das Frontex-Mandat deutlich ausgeweitet werden. (dpa)

Auch die politischen Reaktionen und Nebenwirkungen sind bereits vorhanden, wie der Rechtsruck in vielen anderen EU-Ländern zeigt. Den Rechtspopulisten wird man mit derlei populistischen Maßnahmen nicht mehr den Wind aus den Segeln nehmen können. Im Gegenteil: Sie dürften sich in ihrem Ruf nach Abschottung und Abschiebung bestätigt fühlen.

Dabei wäre jetzt anderes nötig. Juncker müsste ein Maßnahmen-Paket vorlegen, das die Integration von Migranten mit Bleiberecht fördert und auch den Einheimischen hilft. Es geht darum, der Folgen der Flüchtlingskrise Herr zu werden und die sozialen Probleme zu lösen, die sie mit sich bringt. Wer behauptet, diese Probleme ließen sich durch mehr oder gar bewaffnete Grenzschützer lösen, streut den Bürgern Sand in die Augen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ach, Juncker.

    Baut systematisch inmitten der EU eine Steueroase auf, pusht die Art der Wirtschaft, in der Geld viel mehr Geld bringt als Arbeit. Das sind die wahren Totengräber der EU. Die rechten/identitären Strömungen sind lediglich die (ja, unappetitlichen) Maden, die sich im sterbenden? toten? Organismus tummeln.

    Und die "moderaten" Rechten -- EVP, CDU (jaja, auch Fidesz) nutzen diese strammeren Rechten als Ablenkung: sollten wir endlich mal an diese Klimanummer ran, reden wir immer noch von Flüchtlingen. Sollten wir endlich an die Umverteilungsnummer ran (sollen wir warten, bis die Mieten die Einkünfte der Mittelklasse übersteigen?), so sind wir mit ein paar brüllenden Menschen in Chemnitz beschäftigt.

    Gruselig.