: Bitte nicht so billig
Was kostet die Welt? Nicht genug. Ein Plädoyer für reale Preise, die soziale und ökologische Kosten mit in den Reisepreis einbeziehen. Auf diesem Weg ließen sich die negativen Auswirkungen des globalen Tourismus reduzieren – und sogar positive Effekte erzielen
Rücksichtnahme ist für den einen oder anderen Touristen ein Begriff, der allenfalls zu Hause gilt, wo man den Müll ja auch nicht auf die Straße schmeißt, an die Hauswand pinkelt oder Nacktfotos in religiösen Stätten macht. Aber im Urlaub soll eben alles ein wenig anders sein. Dass die Einheimischen, die das touristische Treiben monatelang – oder in Städten wie Barcelona, Rom oder Venedig das ganze Jahr über – erdulden müssen, irgendwann keine Lust auf noch mehr Besucher haben, stört die meisten Touristen wenig.
Auch dass eingesessene Läden zugunsten von Fast-Food-Buden, billigen Souvenirshops und Tattoo-Studios verschwinden, ist den Touristen egal. Sie glauben, diese Art von Infrastruktur zu brauchen. Und dazu gehört eben auch eine nette Unterkunft zentrumsnah gelegen und ansprechend ausgestattet. Dass einheimische Familien bei der Verteuerung des Wohnraums durch den Tourismus nicht mehr mithalten können und aus ihren Stadtviertel an den Stadtrand vertrieben werden, bekommen die Reisenden gar nicht erst mit. Und falls doch? Würde es sie wirklich interessieren?
Von Frank Herrmann
Der diesjährige Sommer hatte nicht nur Spitzenwetter im Programm. Auch die Verspätungen und Flugausfälle vieler Airlines, verursacht durch Streiks in mehreren europäischen Ländern, erreichten Spitzenwerte. Und stellten Zehntausende von Flugpassagieren auf eine harte Geduldsprobe.
Sommerzeit, Reisezeit. Der europäische Kontinent war auch 2017 mit 670 Millionen Besuchern weiterhin das weltweit beliebteste Reiseziel. Aber der Tourismus boomt auch anderswo. Chinesen fallen über die Feiertage in Thailand ein, Inder stürmen Neuschwanstein, die Russen sind zurück in der Türkei, und deutsche Touristen gibt es eh überall in rauen Massen. Warum das so ist? Ganz einfach: weil es sich viele Menschen leisten können. Fliegen kostet nur noch ein Bruchteil dessen, was es in den 1970er oder 1980er Jahren kostete.
Günstig zu übernachten ist kein Problem mehr – dank großer Hotelportale, Airbnb und Couchsurfing. Auch Kreuzfahrten sind erschwinglich geworden. Kein Wunder bei Angeboten von um die 100 Euro pro Tag, alles inklusive, auch An- und Abreise. Was kostet also die Welt? Nicht mehr viel.
Doch umsonst sind die Schnäppchenpreise und Dumpingangebote nicht. Da wären zum Beispiel die Menschen, die im Tourismus arbeiten. Sie reinigen Hotelzimmer, spülen Geschirr, tragen Koffer oder servieren Essen. Letztere Tätigkeit eröffnet zumindest die Möglichkeit auf ein Trinkgeld, ein wichtiges Zubrot zum meist kargen Lohn. Die Arbeitsverhältnisse sind – besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern – prekär: Saisonal begrenzte Verträge, fehlender Kündigungsschutz und geringe bis gar keine Sozialleistungen sind in vielen Ländern eher Regel statt Ausnahme. Ein sicherer Arbeitsplatz sieht anders aus.
Nicht besser ergeht es dem Servicepersonal auf Kreuzfahrtschiffen. Auch sie werden nur für eine Saison angeheuert. Die Niedriglöhner sind zwar mit Arbeitsverträgen ausgestattet und verdienen mehr als in ihren Heimatländern wie etwa den Philippinen, Peru oder Pakistan, arbeiten aber unter extrem harten Bedingungen: 7-Tage-Schichten sind normal, 12-Stunden-Arbeitstage auch. Der Stundenlohn liegt weit unter dem deutschen Mindestlohn, obwohl auf Schiffen deutscher Reedereien mehrheitlich Deutsche an Bord sind. Möglich machen die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen das recht locker gefasste internationale Seearbeitsübereinkommen und die weicheren Arbeitsgesetzte derjenigen Länder, in denen auch Schiffe von TUI Cruises (Malta) oder Aida Cruises (Italien) registriert sind.
Nicht nur auf Kreuzfahrtschiffen ist es inzwischen voll, auch an Land drängeln sich die Menschen in Städten wie Amsterdam, Barcelona, Dubrovnik oder Venedig. Der überbordende Massentourismus ist vor allem für die ständigen Bewohner*innen dieser Städte alles andere als angenehm. Viele von ihnen arbeiten nicht im Tourismus, doch die „Touristifizierung“ ganzer Stadtviertel, also stark steigende Miet- und Immobilienpreise aufgrund von Vermietungen an Touristen, treiben viele Familien aus ihren angestammten Wohngegenden in die Randbezirke der Städte. Selbst in deutschen Kleinstädten wie Bamberg oder Regensburg zeigen sich solche Phänomene.
Zusätzlich zu der nächtlichen Ruhestörung und dem Verschwinden von angestammten Geschäften müssen die Einheimischen mit ihrem Steuergeld für Schäden aufkommen, die Kreuzfahrtschiffe beispielsweise in Venedig anrichten, für die dauerhafte Reinigung von Stränden und für teure und energieintensive Meerwasserentsalzungsanlagen.
Oder sie leiden unter Wasserknappheit, wie im indischen Goa, im Norden Costa Ricas oder auf der zu Tansania gehörenden Insel Sansibar. Denn damit Touristen duschen, im Pool planschen und Golf spielen können, müssen Einheimische oftmals auf Wasser – ein UN-Menschenrecht – verzichten. Tourists first!
Um zu all diesen exotischen Reisezielen zu gelangen, braucht es das Flugzeug. Doch obwohl die CO2-Bilanz von Flug- und Kreuzfahrturlaubern desaströs ist, finanziert der deutsche Steuerzahler diesen Wahnsinn mit. Auch wenn man nicht fliegt und brav an Land bleibt. So summiert sich die Kerosinsteuerbefreiung für Fluglinien und die Befreiung von der Mehrwertsteuer für Auslandsflüge auf rund 11 Milliarden Euro jährlich. Am Bau von Kreuzfahrtterminals, Landstromanlagen und dem Ems-Stauwerk, notwendig, damit Kreuzfahrtschiffe von der Werft ins Meer gelangen, haben wir uns alle mit mehreren Hundert Millionen Euro beteiligt.
Die Lösung für die Misere liegt eigentlich auf der Hand und ist dennoch politisch und vor allem global nicht ganz einfach umzusetzen: reale Preise! Also Preise, die den CO2-Ausstoß einer Reise besteuern. Preise, die einen Ausgleich für Umweltschäden enthalten und die mit fairen Arbeitslöhnen kalkulieren. Sozial ungerecht, sagen Sie? Dann könne ja nicht mehr jeder nach Grönland fliegen, um die letzten Eisbären anzuschauen, oder auf die Malediven, bevor die Insel absäuft. Oder wegen billigem Sex nach Thailand oder zur Löwenjagd nach Südafrika fliegen. Auch mit der Kreuzfahrt wäre es dann wohl in der jetzigen Größenordnung vorbei. Genau das wäre die Folge!
Denn wir haben zwar ein gesetzliches Recht auf Erholung, aber nun mal kein Recht auf eine Fernreise. Und vielleicht würde ein CO2-Zuschlag auch helfen, das Chaos am europäischen Flughimmel zur Ferienzeit zu vermindern. Denn die Warteschleifen kosten die Airlines nicht nur viel Geld für das zusätzlich verbrannte Kerosin und für Überstunden des Personals, sondern verursachen auch Tonnen von überflüssigem CO2.
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