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Fake-Verlage und wie man darauf hereinfällt

Der Bremer Uni-Rektor ist nicht allein: Rund 5.000 Wissenschaftler in Deutschland sollen Betrugs-Verlagen aufgesessen ein. Hätten Sie es wissen müssen?

Von Klaus Wolschner

Wer als Wissenschaftler Karriere machen will, muss Veröffentlichungen vorweisen. Für die Qualität von wissenschaftlichen Aufsätzen bürgen seriöse Journale dadurch, dass sie ein aufwendiges Verfahren zur Überprüfung der Qualität haben: Bevor ein Text veröffentlicht wird, wird er durch ano­nyme Gutachter geprüft. „Peer Review“ heißt das Verfahren. Wer einen Text von dem Portal einer Zeitschrift herunterladen will, muss dafür zahlen. So finanzieren sich die Zeitschriften. Dieses System stammt aus Zeiten, in denen es nur Papier-Publikationen gab.

Natürlich kann inzwischen jeder alles im Internet veröffentlichen, jedes wissenschaftliche Institut könnte das und mit seinem Namen für die Qualität bürgen. Aber das wissenschaftliche Renommee hängt nach wie vor an den Peer-Review-Verfahren, sowohl bei Zeitschriften wie neuerdings bei Portalen.

Nun gibt es seit Jahren „Predatory Publishers“. Mit dem Begriff bezeichnet man Onlineportale, die die wissenschaftliche Qualitätskontrolle höchstens simulieren. Lesen darf man dort umsonst, wer veröffentlichen will, muss dafür zahlen. „Predatory“ heißt räuberisch. Da diese Verlage Seriosität simulieren, wäre „Fake“ angemessener. Diese Fake-Verlage verdienen mit der Veröffentlichungssucht von Wissenschaftlern Geld. Wer da wen betrügt, ist die Frage. Wenn die Wissenschaftler gutgläubig und naiv sind, betrügt der Fake-Verlag sie. Wenn ein Wissenschaftler mit einer gesunden Portion Skepsis und einem ausgebildeten kritischen Geist einen Fake-Verlag wie Waset anschaut und dennoch seine Beiträge dorthin verkauft, dann ist es eher der Wissenschaftler, die mit Hilfe der Verlage die interessierte Öffentlichkeit betrügt.

Auf jeden Fall helfen Wissenschaftler mit ihrem guten Namen dem Fake-Verlag zu einem seriösen Anstrich für unseriöse Publikationen. Tabakkonzerne können dort Studien über die Gefahren des Rauchens präsentieren, Pharmafirmen rühmen die Wirksamkeit ihrer Medikamente. Zum Beispiel ist bei einem der größten Raubverleger eine Studie zu dem Mittel Aspirin plus C erschienen – verfasst von einer Bayer-Mitarbeiterin. Mitarbeiter von zwölf der 30 Dax-Unternehmen tauchen auf den Seiten der Onlineverlage mit eigenen Artikeln oder Vorträgen bei Pseudokonferenzen auf.

Redakteure des NDR haben unter erfundenen Namen als Mitglieder einer „Universität Himmelpforten“ ein Nonsens-Paper unter dem Titel „Highly-Available, Collaborative, Trainable Communication – a Policy – Neutral Approach“ eingereicht – es wurde zur Veröffentlichung angenommen, und sie haben es sogar in New York bei einem „Kongress“ vorgetragen. Nachfragen gab es keine – unter den zwei Dutzend Zuhörern war niemand vom Fach. Solche Raubverlage veröffentlichen gegen Geld, etwa der Teilnehmergebühr an einer ihrer Pseudo-Konferenzen, man muss praktischerweise nicht Monate auf eine Veröffentlichung warten – und sie haben klingende Namen und geben sich weltweit aktiv. „Naun“ etwa, ein Kürzel für „North Atlantic University Union“, Telefonnummer in Lettland, Büro in Nikosia in Zypern – unter derselben Adresse wie der Fake-Verlag Iaras (International Journal of Environmental Science) – gehört angeblich denselben Personen wie Waset. In den USA ist die „Omics Publishing Group“ mit nach eigenen Angaben 700 internationalen Zeitschriften ins Visier der Fahnder geraten.

Scholz-Reiter hat vor allem bei Naun und bei Waset publiziert. Waset steht für „World Academy of Science, Engineering and Technology“, „waset.org“ lautet die Adresse, und wer einen Blick darauf wirft, muss den Eindruck bekommen, es handele sich um ein Reisebüro. Bangkok, Venedig, London, Paris, New York, San Francisco oder Bali sind im Programm. Bis 2031 sind da Konferenzen geplant, lauter schöne Konferenz-Orte. Waset ist ein türkisches Familienunternehmen aus Çanakkale, der Domänenname ist in Aserbaidschan registriert – der Anmelder der Domain gab Saudi-Arabien als Standort an. Eine Büro-Adresse gibt es nicht. Waset wurde 2007 gegründet von Cemal Ardil und arbeitet mit Unterstützung seiner Tochter Ebru und seines Sohns Bora. Waset bietet weltweit inzwischen jährlich mehr als 150 Sammelkonferenzen an, bei denen sich Wissenschaftler aller Disziplinen treffen können.

Wer sich mit seinem Vortrag zu einem dieser Konferenzen anmeldet, kann sich sicher sein, dass der in digitalen Zeitschriften mit klingenden Namen wie: „International Journal of Industrial and Manufacturing Engineering“ publiziert wird. Der Bremer Uni-Rektor sagt, er sei nie auf einer dieser Konferenzen gewesen. Die Journalisten von Süddeutscher Zeitung und NDR, die im Juli ihre Recherche über die „Predatory Publishers“ veröffentlicht haben, waren auf drei dieser Konferenzen. Sie haben einige Dutzend Konferenzteilnehmer vorgefunden, allerdings in der Regel aus völlig unterschiedlichen Fachgebieten. Ein wissenschaftlicher Austausch fand nicht statt. Die Besucher ließen sich nach zwei Verhaltensweisen aufteilen: Die einen kamen kurz vor ihrem Vortrag und gingen danach wieder. Offenbar wussten sie, was gespielt wird, und nutzten das touristische Angebot.

Die anderen kamen pünktlich früh zum Beginn der „Session“ und ärgerten sich. Sie schimpften laut, weil sie den Eindruck hatten, auf einen Betrug hereingefallen zu sein.

Saeedeh I., Mitarbeiterin des Bremer „Sonderforschungsreiches 1232“ am „Leibnitz-Institut für Werkstoffkunde“ (IWT), war im April bei so einer Konferenz in Venedig. Wir hätten gern mit ihr gesprochen – wir hätten sie zum Beispiel gefragt, ob sie den ganzen Tag in der „Session“ dabei war oder nur zu ihrem Vortrag. Aber sie spricht nicht mit der Presse. Auch der Leiter des Sonderforschungsbereiches, der ihre Dienstreise genehmigt hat, verweist an die Pressestelle des Rektorats. Sie sei eine absolut seriöse Wissenschaftlerin, versichert er, und habe von der Konferenz erzählt, dass sie ihr Thema zwar vor einem kleinen Kreis vorgetragen hat, aber nicht ohne Resonanz. Saedeh I. taucht 2011 schon bei einer Waset-Konferenz auf, aber nur als Co-Autorin. Damals war sie noch Studentin in Teheran. Diesmal durfte sie selbst nach Venedig und zeigte nach ihrer Rückkehr ihrem Chef stolz ein Dokument, nach dem ihr ein „Best Presentation Award“ verliehen wurde. Der Sonderforschungsbereich verbreitete das in einer Pressemitteilung. Nach der Veröffentlichung von NDR und Süddeutscher verschwand die Pressemitteilung aus dem Netz – ohne weitere Erklärung, ohne Entschuldigung, ohne Warnung vor Waset, offenbar in der Hoffnung, den Skandal verschweigen und vertuschen zu können.

Wer einen Blick darauf wirft, muss den Eindruck bekommen, es handele sich um ein Reisebüro. Bangkok, Venedig, London, Paris, New York, San Francisco oder Bali sind im Programm

Wie fällt man auf so was rein? Die Konferenz trug den schönen Namen „Icpeam“, das steht für „International Conference on Process Engineering and Advanced Materials“. In Venedig soll es die 20. Konferenz unter diesem Titel gewesen sein. Die wirkliche, renommierte Icpeam-Konferenz fand im August 2018 in Kuala Lumpur statt – es war die fünfte. Eine schlichte Internet-Recherche hätte das zeigen können. Ihrem Chef war aber das Kürzel „Waset“ nicht bekannt, beteuert er. Eine Konferenz-Internet-Seite habe einen seriösen Eindruck gemacht. Die vielen anderen, offensichtlich unseriösen Seiten von waset.org habe er nicht gesehen. Inzwischen sei er vorsichtiger und nutze die diversen Möglichkeiten, die Seriosität von Verlagen zu überprüfen.

Ein Mitarbeiter des Bremer Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) hatte noch im Jahre 2016 sein Abstract für eine Konferenz von „Omics“ eingereicht – aber noch vor Beginn der Konferenz gemerkt, das das eine unseriöse Konferenz-Adresse ist. Er ist nicht hingefahren.

Die erste schwarze Liste von unseriösen Verlagen hat der Bibliothekar Jeffrey Beall im Jahre 2008 im Internet veröffentlicht. 2009, 2010, immer wieder gab es Hinweise auf die unseriösen Praktiken wohlklingender Fake-Verlage. Als Rektor reagiert hat Scholz-Reiter erst, als am 19. Juli 2018 sein Name genannt wurde.

Ende Juli hat Bremens Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) die „Aufklärung der Fälle im Einzelnen“ und die „Klärung der Umstände der Publikation in scheinwissenschaftlichen Zeitschriften und Zeitschriften“ gefordert. Zur Wiederherstellung verloren gegangenen Vertrauens sollten „Publikationen, die in Raubverlagen veröffentlicht wurden, aus Publikationslisten und Nachweisen der wissenschaftlichen Vita“ entfernt werden. Nichts davon ist bisher passiert. Mitte Oktober, noch vor der nächsten Sitzung des Akademischen Senats, wird sich der Wissenschaftsausschuss der Bremischen Bürgerschaft damit befassen.

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