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Das Haus, das keiner will

Fritz S. Hagen erbte das Haus, in dem er aufgewachsen ist. Eine große Wiese gehört dazu, aber es steht zu weit weg von der nächsten großen Stadt, in diesem Fall Göttingen. Vermieten war darum schwierig, Verkaufen erst recht: Am Ende bekam er nicht mal die Hälfte des geschätzten Werts

Dieses Haus steht nicht im Solling, sondern in Berne in der Wesermarsch. Die Probleme aber sind ähnlich Foto: Jan Zier

Protokoll Benno Schirrmeister

Ich stamme aus einem Dorf im Solling, das war seinerzeit sicher doppelt so groß wie heute, ein Dorf in der Nähe von Uslar, mit damals, ich sage mal 1.700 Einwohnern, ein Walddorf, mit Kirche, Schule, Hotel und Gaststätte, Laden, eigener Post. Das ist dann eingemeindet worden, 1977, wie die anderen Dörfer auch. Und in diesem Ort hatte ich ein Haus, zu dem gehörte noch eine große Wiese und zwei Landstücke. Das war unser Elternhaus: Wir sind vier Kinder gewesen.

Gebaut hatte das Haus schon mein Urgroßvater, 1911 war das gewesen, als Doppelhaushälfte zusammen mit seinem Bruder. Noch als ich Kind war, war das, was heute Wohnzimmer ist, Kuhstall gewesen. So ein richtiges Bad gab es anfangs noch nicht, das ist er in den 1950er-Jahren dazugekommen, und die Toilette war ein Plumpsklo neben der Jauchegrube. Wir waren Feierabendbauern, mein Vater war Waldarbeiter, und wir hatten nebenher noch Kühe, Schweine, Hühner, etwas Getreide, Kartoffeln, Runtschen – also Runkelrüben – das Prinzip Selbstversorger halt. Als Waldarbeiter bekam er jedes Jahr noch Holz, damit haben wir geheizt und gekocht.

Das Haus ist Schritt für Schritt erneuert und modernisiert worden, erst kam das Bad, mit einer echten Badewanne, dann auch einen Gasherd, anfangs noch mit Flaschen, und ganz zum Schluss bekam das Haus, 1979 war das, auch eine Zentralheizung.

Gewohnt haben wir darin anfangs mit bis zu 14 Personen: Die Großeltern, die Schwester meiner Mutter mit ihrer Familie, und dann waren nur noch wir sechs da, also meine Eltern meine drei Schwestern und ich. Ich war dann der erste, der ein Einzelzimmer bekam, weil ich ein Junge war. Eine meiner Schwester hat am Tag der Mondlandung geheiratet, und ich hatte dort in meinem Zimmerchen den Fernseher aufgebaut und da haben sich dann alle reingequetscht, um das anzuschauen.

Meine Mutter und auch mein Vater hatten gehofft, dass ich das Haus übernehmen würde und die Landwirtschaft. Aber da ich einer von den vier Jungs war aus dem Dorf, die aufs Gymnasium kamen und Abitur gemacht haben, war mir ziemlich schnell klar: Nee, das mach ich nicht. Ich muss hier weg, raus in die Welt. Was ich dann auch gemacht habe, allerdings erst nur bis Göttingen. Dadurch konnte ich natürlich auch nicht mehr so viel mithelfen – ich stand vorher nachmittags immer auf dem Feld, Rasen mähen, Tiere versorgen, Trecker fahren. Ich habe mich also immer weiter entfernt und bin schließlich nach Bremen gezogen, das war für meine Eltern sehr weit weg. Die haben mich ein einziges Mal besucht hier. Die sind ihr ganzes Leben nur einmal von Uslar nach Bremen gekommen.

Im Jahr 1991 ist meine Mutter gestorben – und ihr hatte das Haus gehört: Mein Vater war Flüchtling gewesen, der hatte nichts, als er hier ankam und war auch nie eingetragen worden, und gleich nach der Beerdigung war die Frage, wie soll es weitergehen? Er wollte es nicht übernehmen. Und er wollte auch nicht, dass es an eine Erbengemeinschaft übergeht, sondern es sollte einer von uns vieren bekommen. Da haben wir uns alle angeguckt und gesagt: Ja gut das kann ja nur Hilde sein. Die jüngste. Die sollte es kriegen, weil die im Dorf wohnte, aber nicht mehr dort im Haus, sondern bei dem Menschen, den sie geheiratet hat.

Aber Hilde und ihr Gemahl haben gesagt: Ne, wollen se nicht. Und dann haben wir da ratlos gesessen: Die zwei älteren Schwestern wollten das auf gar keinen Fall. Und dann haben sie mich alle angeguckt und dann hieß es: Fritz, du musst das jetzt machen. Dann habe ich zehn Minuten überlegt, und schließlich gesagt, okay, ich mache es, aber ich kann hier nicht immer hinkommen. Das fanden alle okay, es wurden auch keine Ansprüche erhoben, und dann bin ich Besitzer des Hauses geworden mit lebenslangem Wohnrecht für meinen Vater.

Fritz S. Hagen, heißt in Wirklichkeit anders. Er ist 65, hat Soziologie studiert und in Bremen im Kulturbereich gearbeitet. Er hat drei Schwestern, von denen keine Hilde heißt.

Der wurde dann immer kränker – etwa neun Jahre später war das, da konnte er keine Treppen mehr laufen, und das Haus war selbstverständlich nicht barrierefrei. Da hat er dann selbst gesagt: Ich geh’jetzt in eine Altenresidenz nach Uslar, wo ich erst mal eine eigene Wohnung habe, aber jemand nach mir schaut.

Aber jetzt stand das Haus leer: Ich bin jeden Monat einmal da runtergebrettert, Gott, die Strecke kenne ich heute noch auswendig, drei Stunden hin, drei zurück – das Dorf hat keine Autobahnanbindung, das liegt mitten in der Wildnis. Als das Haus ein Jahr so leer gestanden hatte, hat Papa zu mir gesagt, ich seh es ja ein, Fritz, das hat keinen Sinn so, vermiete es. Das ging sogar ganz schnell: Unsere Nachbarn hatten Bekannte, ein Ehepaar, das in die Zwangsversteigerung geraten war, die mussten von ihrem Haus runter, und für die war das ein Glücksfall, dass sie bei mir einziehen konnten.

Der Mann war handwerklich geschickt und hat sehr viele Reparaturen machen können, bloß ist er dann ziemlich bald gestorben, an Krebs: Man sagt zwar immer, Landleben ist gesund, aber die Gegend ist im Einzugsgebiet von Würgassen – ich glaube, die Krebsrate ist ziemlich hoch dort. Das war 2006 gewesen, und der Frau war das Haus zu groß alleine – mit 150 Quadratmeter Wohnfläche, noch einmal so viel Nutzfläche und der riesigen Wiese. „Fritz, das schaffe ich nicht“, hat sie gesagt.

In der Zwischenzeit war auch mein Vater gestorben, und ab da habe ich versucht, es zu verkaufen. Das wäre mir einfach zu viel geworden: So ein altes Haus musst du ständig renovieren, ich bin da aufs Dach geklettert und habe die Pfanne selbst erneuert – Wahnsinn. Naja, ich habe angefangen, Anzeigen zu schalten, in den örtlichen Blättern, noch ohne Preis – und bekam bei der ersten auch sofort massig Anrufe.

Aber die ersten 20 Anrufe die gingen immer gleich: „Ach, du bist das also!“ Das waren alles Leute aus dem Dorf, mit denen ich oft seit 15 Jahren nicht mehr geredet hatte oder länger. Und die wollten wissen, wer jetzt schon wieder aufgibt. Mittlerweile stehen in dem Ort etwa 20 Prozent der Häuser leer, manche sind regelrecht verfallen, das ist schon auch traurig.

Ich hatte dann ein Gutachten machen lassen, um den Wert zu schätzen – die Lage, den Zustand, die Infrastruktur und was weiß ich – da war dann von 70.000 Euro die Rede gewesen: Da war das große Grundstück, klar, aber direkt vor dem Haus geht die Bundesstraße vorbei, zur nächsten größeren Stadt, also Göttingen, sind es 45 Kilometer, das ist schon fast zu viel für Pendler, auch wenn die meisten Leute aus dem Ort jeden Tag dorthin zur Arbeit fahren. Ich habe in die Anzeigen immer „Verhandlungsbasis 70.000 Euro“ reingeschrieben, und habe dann insgesamt fünf Führungen gemacht mit Interessenten – wo einige auch gut hingepasst hätten: Eine Frau wollte eine Kunsthandwerk-Werkstatt dort einrichten. Das wäre super gewesen, aber die hat dann abgesagt, weil: zu weit weg, ab vom Schuss.

Gut zwei Jahre lang tat sich erst mal gar nichts. Ich habe immer wieder inseriert, im gelben Blatt, in Tageszeitungen, aber nichts. Vielleicht hätte ich nach Holland gehen sollen und dort Anzeigen schalten, denn Niederländer machen in der Gegend viel Urlaub, aber das habe ich irgendwie nie hingekriegt. Naja. Und ich hatte auch den Nachbarn versprochen: Es kommen keine Ausländer rein. Damit wären die nicht klargekommen.

Das letzte, was ich gemacht habe, war selbst ein großes Plakat zu malen – „zu verkaufen“ und meine Handynummer – und das hing da dann im Fenster, auch noch einmal über ein halbes Jahr. Aber darauf kam der entscheidende Anruf – „Mensch, du, mein Vater kennt dich noch aus alten Zeiten, ich habe gesehen, du verkaufst euer Haus.“ Das war eine junge Frau, die war weggezogen – und dann in die Heimat zurückgekehrt, weil sie sich da wohler fühlte, und die Kinder sollten da eingeschult werden, wo auch sie Lesen gelernt hatte.

Wir haben uns da getroffen, es uns angeguckt. Ich habe gleich 35.000 Euro gesagt. Sie dann 25.000, und dann haben wir uns bei 30.000 getroffen. Es gab noch ewig Scherereien mit der Sparkasse – für einen Kredit über nur 30.000 Euro, das muss man sich mal vorstellen, das ist ja nichts! – und dann ist das mit Rumpeln und Ächzen schließlich über die Bühne gegangen, fast sechs Jahre, nachdem ich die erste Anzeige geschaltet hatte.

Die haben sich nie wieder gemeldet. Die Nachbarn sind etwas unglücklich, weil die einen freilaufenden Hund haben. Aber das ist jetzt nicht mehr meine Sache.

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