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Kolumne AfrobeatJung auf eigene Gefahr

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Afrikas Herrscher halten ihre aufstrebende Generation klein. Europa verstärkt die rückschrittlichen Tendenzen auf dem Kontinent noch.

Kyagulanyi Ssentamu, besser bekannt als Bobi Wine, am 23. August in einem Gerichtssaal in Uganda Foto: ap

D as Verhältnis der Staatsmacht zu ihren Bürgern ist in vielen afrikanischen Ländern eine ganz besondere Angelegenheit. Getreu dem Erbe der kolonialen Gewaltherrschaft halten viele Herrscher die Bürger ihrer Länder für ihre persönliche Verfügungsmasse und Bürgerrechte für einen Gnadenakt des Staates. Das Gewaltmonopol des Staates interpretieren sie als Recht auf staatliche Gewaltanwendung nach Gutdünken.

Aktuelles Beispiel: die staatlichen Schikanen und die Polizeifolter an Bobi Wine, populärer Rapmusiker und Oppositionsabgeordneter aus Uganda, der mit rebellischer Musik und deftigen Sprüchen den dortigen Präsidenten Yoweri Museveni nach dessen 32 Jahren an der Macht aus der Perspektive einer jungen, selbstbewussten Generation herausfordert und bloßstellt. Bobi Wine ist nur einer von vielen. In fast allen Ländern gibt es inzwischen solche unbequeme Stimmen, die nicht mehr kuschen. Sie stehen für den Wunsch nach einem neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Staat und Bürgern, der Afrikas politische Kultur vom düsteren Erbe des europäischen Imperialismus emanzipiert. Umso heikler ist ihr Verhältnis zu jenem Europa, das trotz aller Emigrationsträume sehr kritisch gesehen wird: arrogant, selbstbezogen und uninteressiert an Selbstkritik bezüglich der eigenen Rolle in der afrikanischen Geschichte.

Nigeria, mit 190 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land Afrikas und eines der dynamischsten, steckt ein halbes Jahr vor Neuwahlen 2019 mitten in einer Generationsdebatte: Der aktuelle Präsident Muhammadu Buhari ist schwer krank und 75 Jahre alt, er ist zunehmend ein Getriebener, kein Gestalter. Im Mai beugte er sich monatelangem Agitieren einer Jugendprotestbewegung und senkte das Mindestalter zum Kandidieren für politische Ämter um fünf Jahre – auf 35 für Präsidentschaftskandidaten und 25 für das Parlament.

„Not Too Young To Run“ hieß die Protestbewegung in Nigeria, die eins der zentralen Probleme Afrikas auf den Punkt brachte: Auf dem jüngsten Kontinent der Welt ist knapp die Hälfte der Bevölkerung noch nicht einmal volljährig, jedes Jahr kommen 30 Millionen Menschen dazu. Sie alle wollen mitreden, mitgestalten, anpacken und aufbauen. Nur lässt man sie nicht. Derweil erwarten Altherrscher bis zum Tod bedingungslosen Gehorsam.

Wenig Wertschätzung gegenüber der Jugend

Buhari gehört eigentlich nicht dazu – er ist erst seit 2015 Präsident, ließ sich damals demokratisch wählen, hat seiner Vorgeschichte als Militärdiktator in den 1980er Jahren glaubhaft entsagt und sich im Amt weder bereichert noch Personenkult gefördert. Er tritt auf als Erneuerer und als Asket, der seinem Land harte Arbeit und Genügsamkeit verordnen will, damit es endlich vorankommt. Aber auch damit entgeht er dem Landesvater-Reflex nicht.

Als Nigerias Präsident vor zwei Jahren Deutschland besuchte, antwortete er auf der Pressekonferenz mit Angela Merkel auf eine Frage nach den politischen Vorlieben seiner Ehefrau: „Ich weiß nicht, welcher Partei meine Frau angehört, aber sie gehört in meine Küche und in mein Wohnzimmer und in das andere Zimmer.“ Verblüffte Journalisten mussten sich gegenseitig versichern, dass sie nicht falsch gehört hatten.

Auf dem jüngsten Kontinent der Welt wollen die Menschen mitreden und anpacken.Nur lässt man sie nicht

Vergangene Woche, als Merkel sich mit einem Gegenbesuch in Nigeria revanchierte und viel von Alternativen zur Migration die Rede war, erläuterte Buhari, wieder zum Erstaunen mancher Zuhörer, „illegale“ Emigranten handelten „auf eigene Gefahr“. Wörtlich sagte der nigerianische Präsident: „Wir haben ganz klargemacht, dass wir nichts Illegales unterstützen und dass jeder, der denkt, dass dieses Land ihm nicht bietet, was ihm als Bürger geboten werden sollte, und der beschließt, die Wüste und das Mittelmeer herauszufordern, dies auf eigene Gefahr tut.“

Anders gesagt: Nigerianer*innen, die in libyschen Foltercamps oder italienischen Bordellen gestrandet sind, sollen von ihrem Staat keine Hilfe erwarten. Nun erwartet ohnehin kein Nigerianer von seinem Staat irgendetwas, aber dennoch schockierten die unverblümten Worte Buharis – dass er sie unwidersprochen im Beisein des Staatsbesuchs aus Deutschland sagte, gab seinen Worten viel mehr Gewicht. Wieder einmal wurde klar: Die politische Klasse Afrikas bringt der eigenen Jugend wenig Wertschätzung entgegen, und die Partner Afrikas in Europa, Asien und Amerika sind nicht aufgeschlossener.

Menschsein kann man nicht verbieten

Grenzen überschreiten – das soll die Jugend möglichst nicht. Gemeint sind da nicht nur die physischen Grenzen zwischen Staaten. Es geht auch um kulturelle Grenzen: der von vielen Alten und Mächtigen bei den Jungen und Aufstrebenden beklagte Mangel an Respekt und Unterwürfigkeit, am Befolgen von Tradition und Moral beziehungsweise was dafür gehalten wird.

Die jungen Frauen von heute wollen sich nicht mehr beschneiden lassen? Ihrem Mann nicht mehr automatisch gehorchen? Eigene Reisepässe und Bankkonten besitzen? Unerhört! Die jungen Männer wollen sich nicht mehr durch horrend teure Hochzeiten bei der Großfamilie verschulden? Ihr hart verdientes Geld ins Heimatdorf investieren? Dem Pfarrer respektive Imam respektive Parteisekretär nicht mehr blindlings folgen? Skandal! So geht doch die Gesellschaft zugrunde!

Es wird in Europas Diskussion um „Fluchtursachenbekämpfung“ viel zu wenig wahrgenommen, wie sehr das europäische Drängen auf Grenzschließung und Migrationsverhinderung in den betroffenen afrikanischen Ländern rückschrittliche Kräfte stärkt und damit genau die sozialen und kulturellen Probleme und Unterdrückungen aufrechterhält, vor denen die Leute scharenweise davonlaufen. Aber wer sein Leben selbst gestalten will, wird das tun, sobald er oder sie dafür die Mittel hat, auch ohne Erlaubnis. Menschsein kann man nicht verbieten.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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4 Kommentare

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  • Es ist ja durchaus der aufgeklärte, humanistische Westen, der Potentaten in Ölländern an der Macht hält. Gerade haben wir in einer Selbstbeichte erfahren, dass verschuldungsunwillige Vertreter der Völker vom Weltbank-Umfeld einfach erschossen wurden. Der Westen hat sich seine Flüchtlingskrise also zum Teil selbst gemacht. Dazu gehört auch, dass viele Familien durch westliche Firmen die Felder für ihre Subsistenzwirtschaft verlieren. Außerdem ist die Geburtenrate mit 6-7 Kindern pro Frau enorm - auch das zum Teil dem Einfluss gutchristlichen Gedankenguts des Westens geschuldet.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @EricB:

      Die Hälfte Afrikas ist muslimisch und glänzt auch nicht gerade durch vernünftige Geburtenraten. Man sollte nicht in kolonialer Manier den Afrikanern die Befähigung absprechen auch aus eigenem Antrieb Dummheiten zu betreiben. Der Westen hat Einfluss und der ist nicht immer positiv, aber das haben Indien, China, Japan und Südkorea auch (letztere beiden sind sehr aktiv was Land-grabbing angeht) . Andererseits haben viele Probleme ihre Ursachen in Afrika in Clan und Stammesstrukturen, Aberglauben und Korruption. Die Probleme können nur vor Ort gelöst werden - nicht durch den Westen und nicht durch Migration. Der Westen sollte vor Ort Menschen ausbilden und westliche Firmen zur Rechenschaft ziehen aber man sollte keine Wunder erwarten. Afrika hat noch viele Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte der Entwicklung vor sich bevor es europäisches Niveau erreicht.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Ich glaub, Sie verkennen doch ganz gewaltig den des Kolonialismus in Afrika. Woher kommt denn die Verbreitung des Christentums dort? Sogar die Ländergrenzen wurden in Deutschland gezogen, unter vollkommener Nicht-Beachtung von ethnischen Zugehörigkeiten oder Sprachen. Und was Ihre Bemerkung mit den "vernünftigen Geburtenraten" angeht - da sind Sie jetzt wirklich gar nicht überheblich, gelle!?

  • Zitat: “Mensch sein kann man nicht verbieten.“

    Markige Worte. Und noch dazu so wahr…

    Aber was bedeutet es denn, Mensch zu sein? Wer Mensch ist, hat 20 Millionen Jahre Stammesentwicklung in den Genen. Mindestens. Etwa 6,5 Millionen Jahre trennen ihn von den Gorillas und 5 Millionen Jahre von den Schimpansen. Evolutionsgeschichtlich ist das keine lange Zeit. Und das ist immer wieder mal zu merken. Nicht nur in Afrika. Da aber auch.

    Noch immer fallen Menschen in Verhaltensweisen zurück, die alles andere als menschlich sind. Verhaltensweisen, die vor 6,5 oder 5 Millionen Jahren vielleicht einen Sinn ergeben haben, die heute allerdings nicht mehr gut funktionieren. Die Unsitte, junge Leute, Frauen und andere angeblich schwächere Mitglieder der eigenen Gruppe mit Gewalt zu unterdrücken, gehört genau dazu, wie die Unsitte, Fremden Gruppen kriegerisch zu begegnen. Offenbar haben manche Menschen ihre Gene nicht besonders gut im Griff.

    Nein, man kann das Menschsein nicht verbieten. Man kann es allerdings auch schlecht erzwingen. Eigentlich kann man kaum mehr tun, als diejenigen unter uns, die lieber Gorillas oder Schimpansen sein wollen, wie solche zu behandeln. Es wäre wirklich schön, würde sich PETA bei Gelegenheit mal um die entsprechenden Regeln verdient machen, statt fehlgeprägten Uralt-Schimpansen ihren Lebensabend zu versauen.

    Übrigens: Die jungen Afrikaner, die Europa für arrogant, selbstbezogen und uninteressiert an Selbstkritik halten, haben damit nicht ganz unrecht. So sind sie halt, die Tonangeber dieser Erde. Auch in Europa. Allerdings: Diese Leute sind nicht ganz allein. Es gibt auch ziemlich Menschen, die Mensch sein wollen und es auch sein können. Menschen, die es - allen Silberrücken zum Trotz - auch immer noch sein dürfen.

    Ihretwegen träumen so viele Menschen den Traum von Europa. Ein paar wenige aber suchen in Europa jene Chance, die sie zu Hause nicht bekommen haben: Selber ein Silberrücken zu sein. Fehlprägungen gibt‘s halt nicht nur unter Affen.