Seehofer jammert im Sommerinterview: Maximal unsouverän
Der Innenminister probt die Opferrolle als seinen neuen Habitus. Dabei sollte ihm klar sein, dass ihm diese Masche niemand abkaufen wird.
F ür Horst Seehofer ist Horst Seehofer ein ganz schönes Opfer. Alle haben sich von ihm abgewandt, keiner versteht ihn und jetzt haben sich auch noch die Medien gegen ihn verschworen. Der Diffamierte, der Betrogene, der Gemobbte: Das ist die Rolle, in der sich der CSU-Chef und Innenminister in diesem Sommer suhlt.
Am Sonntag war es mal wieder so weit: Im ARD-Sommerinterview beklagte sich Seehofer, er und seine Partei seien in der Asyldebatte „in Bezug gesetzt worden zu Mördern, zu Rassisten, zu Terroristen, zu Nazis“. Über den Begriff des „Asyltourismus“ rege sich normalerweise nie jemand auf, aber „wenn’s die CSU sagt, kommt sofort die Sprachpolizei und will uns bevormunden“. Und dass er die Autorität der Kanzlerin nicht akzeptiert? Stimme doch überhaupt nicht. Der Eindruck entstehe nur, „weil man immer nicht richtig zuhört und nicht richtig wiedergibt, was ich tatsächlich gesagt habe“.
Das passt zu Seehofers Auftritten der vergangenen Wochen: Im oberbayerischen Bierzelt kündigte er am letzten Donnerstag mit großer Geste an, sich noch im August auf Twitter anzumelden – „weil manche Wahrheiten ich sonst nicht unter eine breitere Bevölkerung bekomme“. Zuvor hatte er die Schirmherrschaft beim Deutschen Nachbarschaftspreis abgegeben, weil ihm die Veranstalter angeblich „Toleranz, Mitmenschlichkeit und Offenheit absprechen“. Und schon im Juli beschwerte er sich in der Augsburger Allgemeinen, dass in der Flüchtlingspolitik „eine Kampagne gefahren wird, die geht gegen mich und meine Partei“.
Der Mann wirkt ganz schön angefasst. Vielleicht steckt ja Kalkül dahinter: Die Rolle des Missverstandenen, von den Medien bekämpft und diskreditiert, hat in den letzten Jahren ja erstaunlich gut gezogen – bei Rechtspopulisten in Deutschland (AfD) und anderswo (Donald Trump). In deren Politikkonzept ist der Opfergestus die zentrale Säule.
Blöd nur: Die Rechnung wird nicht aufgehen. Der Anti-Establishment-Habitus mag bei den neuen Rechten funktionieren, nicht aber bei einem Mann, der in den letzten Jahrzehnten durch fast alle Ämter gelaufen ist, die die deutsche Politik zu bieten hat.
Seehofer, der Beleidigte
Vielleicht ist das Ganze aber auch eine Frage des Charakters: Schon früher hat Horst Seehofer bei Gegenwind gerne um sich geschossen. Wenn er seine Krankenhausreform nicht bekomme, könne er sich auch einen neuen Job suchen, drohte er in den 1990ern als Gesundheitsminister. Ein paar Jahre später trat er tatsächlich als Fraktionsvize zurück, weil ihm die Gesundheitspolitik der CDU/CSU nicht passte. Seehofer, der Beleidigte: Das gab es also schon mal.
Nur: Damals handelte er aus einer Position relativer Stärke heraus. Amt verloren? Egal. Damals war Horst Seehofer jung genug. Er konnte abwarten, bis seine Rivalen über sich selbst stolpern – und dann selbst auftrumpfen. Total souverän.
Und heute? Ist Seehofer der Gescheiterte. Die Partei hat ihn nach Berlin abgeschoben. Im Asylstreit hat er so gut wie nichts erreicht (von Massenprotesten und sinkenden Umfragewerten mal abgesehen). Und seine Rivalen Söder und Dobrindt haben ihn wohl nur deshalb noch nicht abgeschossen, weil sie ihn als Sündenbock noch gut gebrauchen können.
Der CSU-Chef könnte in dieser Situation einlenken und Fehler einräumen. Er könnte seine Position auch beibehalten und sachlich erklären, warum er sie noch immer für richtig hält. Oder er lässt beides bleiben, gibt weiterhin das Opfer – und wird es damit schaffen, seine Karriere maximal unsouverän zu beenden.
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