piwik no script img

NSU-Helfer Ralf Wohlleben ist wieder freiEin neuer Szeneheld

NSU-Unterstützer Wohlleben war zu zehn Jahren Haft verurteilt worden und ist jetzt doch wieder frei. Das ist juristisch korrekt – und auch skandalös.

Freut sich vielleicht schon auf das nächste Rechtsrock-Festival: Ralf Wohlleben Foto: dpa

Genau eine Woche nachdem ihn das Oberlandesgericht München zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt hat, wurde Ralf Wohlleben am Mittwoch aus dem Gefängnis entlassen. Sechseinhalb Jahre seiner Haftstrafe hat er durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt, der Rest wurde nun zur Bewährung ausgesetzt. Der Neonazi-Kader kann zurück zu seiner Familie und zu seinen Kameraden, die ihm über all die Jahre die Treue hielten.

Der Mann, der gemeinsam mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den neunziger Jahren die Kameradschaft Jena gründete und den Thüringer Heimatschutz aufbaute, der dem Trio unterzutauchen half und die Waffe für die neun rassistischen Morde beschaffte, kommt frei. Beobachter vermuten, dass er seine politischen Aktivitäten fortsetzen wird. Schließlich hatte er sie auch während der Haft nicht unterbrochen, sondern aus dem Gefängnis heraus den Kontakt zur Szene gehalten.

Die Entlassung fühlt sich falsch an. Juristisch ist sie korrekt: Wohlleben hat bereits mehr als zwei Drittel seiner Strafe abgesessen. In solchen Fällen wird davon ausgegangen, dass die Gefahr, dass der Häftling untertaucht, nur noch sehr gering ist und die Strafe deswegen zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dass Wohlleben Familie hat, spricht in seinem konkreten Fall zusätzlich dagegen, dass er untertauchen wird.

Es ist nicht diese Regelung, über die man sich jetzt empören sollte. Dass Straftäter nicht so lange wie irgend möglich weggesperrt werden, ist richtig, und dass Recht unabhängig von politischer Gesinnung gelten sollte, auch.

Ohne ihn keine Mordserie

Trotzdem ist der Fall Wohlleben symptomatisch für das Versagen des Rechtsstaats beim NSU-Komplex. Denn hier zeigt sich erneut, wie problematisch es ist, dass auch die Bundesanwaltschaft bis zuletzt daran festgehalten hat, dass es sich beim NSU um ein Trio aus Beate Zschä­pe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt handelte – obwohl diese These mehr Fragen aufwirft als beantwortet.

Damit war von Anfang an der Raum abgesteckt, in dem der NSU-Komplex während des Prozesses verhandelt werden konnte. Menschen wie Ralf Wohlleben sah man so allenfalls als Unterstützer der „eigentlichen Täter“.

Angehörige der Opfer, Nebenklagevertreter und viele Experten gehen von etwas anderem aus: davon, dass der NSU ein weit verzweigtes Netzwerk war, das bis in staatliche Behörden hineinreichte und auf dem Boden eines rassistischen gesellschaftlichen Klimas wuchs – und sie gehen auch davon aus, dass dieser Satz vielleicht sogar im Präsens stehen müsste.

Die Trio-These machte Wohlleben allenfalls zum Unterstützer der eigentlichen Täter

Eine solche Auffassung lässt auch eine Figur wie Wohlleben, seit den neunziger Jahren zen­trale Person der Thüringer Neonaziszene, in Zusammenhang mit dem NSU in einem anderen Licht erscheinen. Er wäre dann nicht lediglich Unterstützer einer isolierten Zelle von drei Personen, sondern Teil eines Netzwerks, ohne dass es die rassistische Mordserie nicht gegeben hätte.

Unterschätzte Gefahr

Wäre der Münchner Prozess nicht von Anfang an auf die Trio-These verengt gewesen, hätten dort andere Dinge zur Sprache kommen können – und dann wäre womöglich auch das Urteil über Ralf Wohlleben anders ausgefallen.

Das ist das eine, was das milde Urteil für Wohlleben und die daraus folgende frühzeitige Haftentlassung so skandalös macht. Das andere sind die Konsequenzen, die seine Rückkehr haben könnte. Denn nach wie vor wird die von organisierten Neonazis ausgehende Gefahr unterschätzt, NSU hin oder her.

In den frühen nuller Jahren protestierten Antifa-Aktivisten gegen den NPD-Kader Ralf Wohlleben und sein „Braunes Haus“, sie wiesen auf die Gefahr hin, die von Thüringer Neonazistrukturen ausginge. Gehör fanden sie kaum. Der NSU begann in dieser Zeit mit dem Morden.

Man wünscht sich, dass solche Warnungen nie wieder ungehört verhallen. Doch spätestens mit dem Ende des NSU-Prozesses in München wird auch das Wissen um die Existenz rechten Terrors wieder in den Hintergrund treten. Mag sein, dass noch hingeschaut wird, sollte sich Wohlleben Ende August tatsächlich beim nächsten großen Rechtsrockfestival feiern lassen. Doch diese Aufmerksamkeit wird vorbeigehen. Dabei wäre sie umso wichtiger – denn mit Ralf Wohlleben hat die rechtsextreme Szene nun einen neuen Helden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • RAF-Terroristen haben für deutlich weniger Straftaten mehrfach lebenslänglich bekommen!

    Rechte Totschläger genießen hier schlicht Narrenfreiheit...



    Hurra Deutschland!

  • Der Wohlleben könnte ja als Helfer eines Politikers im Bundestag anfangen, die sollen da ja ein ziemlich gutes Resozialisierung`s Programm für Terroristen haben.

  • Wohlleben wird weder untertauchen, noch wird er in einer NSU-artige Struktur abtauchen, er wird sich als Chef der ideelen Neonazi-Szene gerieren und sehr gut wissen, dass der Staat ihn ab jetzt pausenlos beobachten und abhören wird.

    Der NSU hat zu viele Fragen aufgeworfen, die nicht beantwortet sind. An vorderster Stelle haben Zschäpe und eben Wohlleben die Szene und damit auch die mehr als 40 V-Männer geschützt. Schweigen ist eben manchmal Gold wert. Oder man verrät Dinge, die sowieso bekannt sind.

    Dass er jetzt so gehen kann, erscheint ungerecht, Aber Wohlleben hat nach bisherigen Stand eben nicht getötet oder an einem Mord teilgenommen. Auch hier könnte man schon ein Fragezeichen setzen, aber rein formal ist es so.

    Dennoch löst es einen Brechreiz aus, wenn man sich vorstellt, dass er jetzt in den Kreis von Menschen zurückkehrt, aus dem einst der NSU entstand.

  • Noch ein kleiner Szeneheld, aber wie lange?

    Der NSU ist ebenso wenig wie sein Vorbild, die NSDAP und SS, antikapitalistisch. Allenfalls wenn es um das private Eigentum anderer Ethnien und Hautfarben geht.

    Der NSU ist ebenso wie die NSDAP eine Frucht der bürgerlichen Gesellschaft, der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Der bürgerliche NSU, ebenso wie die anderen vielfältigen nationalistischen Formationen, außerhalb und innerhalb der parlamentarischen Spektrums, ist ein gesellschaftlicher Teil der rechten bürgerlichen Reserve zum Schutz der Kapitalinteressen in der realen Klassengesellschaft, der sog. „Sozialen Marktwirtschaft“, der Kapitalisten, deren bürgerlichen Bildungseliten, hohen Beamtenschaft, insbesondere der Angehörigen der realen Finanz- und Monopolbourgeoisie, der Millionäre, Erbschafts-Multimillionäre und persönlich leistungslosen Dividenden- und Eigentums-Milliardär*innen.

    So wie im Kapitalfaschismus, von 1933 bis (offiziell) 1945, so kommen deren modifizierten kapital-faschistischen Kräfte, in allen bürgerlichen Parteien, Medien-Ideologien und Bildungseinrichtungen, Wirtschafts-, Banken-, Handels- und Monopolverbänden, im Parlaments- und Regierungsapparat, in Ministerien und Behörden, im staatlichen und nichtstaatlichen Justiz-, Polizei-, Militär- und privaten Sicherheits- und Gewaltapparat, bei Bedarf, zum gesamt-gesellschaftlichen Einsatz.

    Das sich heute auch Kapitalfaschisten in den deutschen und europäischen Parlamenten (nicht nur) tummeln, zeigt die modifizierte Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit der kapital-faschistischen spätbürgerlichen Administration der Groß- und Monopolkapitalisten in Deutschland und Europa, weltweit.

    - medial ungeschminkt.

  • Ich glaube wir treiben auf eine Katastrophe zu,was den Naziterror angeht.Das was wir bisher erleben mussten,war noch nicht einmal die Sitze des Eisberges.



    Diese Leute sind gut bewaffnet und äußerst gewaltbereit.

  • Das ist ja krank, wenn Straftäter zu Helden werden.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Vieles was juristisch ok ist, ist skandalös.