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Haftbefehl gegen NSU-Helfer aufgehobenWohlleben ist wieder frei

Der Haftbefehl gegen den NSU-Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben ist aufgehoben. Die Begründung: Es bestehe keine Fluchtgefahr mehr.

Ralf Wohlleben beim NSU-Prozess Foto: dpa

München dpa/AFP/taz | Der als NSU-Helfer verurteilte frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben ist wieder frei. Wie das Oberlandesgericht München am Mittwoch mitteilte, wurde der Haftbefehl gegen Wohlleben bereits am Dienstag auf Antrag seiner Verteidiger mit Zustimmung der Bundesanwaltschaft aufgehoben. Zur Begründung hieß es, dass keine Fluchtgefahr mehr bei Wohlleben bestehe.

Wohlleben verließ am Mittwochmorgen die Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München, wie eine Sprecherin des Gefängnisses sagte. Wo sich der 43-Jährige nach seiner Freilassung befand, war zunächst unklar. Sicherheitsbehörden rechnen damit, dass er nach Sachsen-Anhalt zieht.

Wohlleben war vergangene Woche zum Ende des NSU-Prozesses zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, weil er eine Pistole vom Typ Ceska besorgt hatte, mit der die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun Migranten erschossen hatten. Da er bereits seit sechs Jahren und acht Monaten in Untersuchungshaft saß, sah das Gericht nach Abschluss des Verfahrens nun keinen Haftgrund mehr.

Noch ist das Urteil im NSU-Prozess nicht rechtskräftig. Unter anderem Wohllebens Rechtsanwälte hatten angekündigt, die Entscheidung vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe überprüfen zu lassen. Sollte das Urteil gültig werden, müsste Wohlleben seine Reststrafe antreten. Diese oder ein Teil davon könnten zur Bewährung ausgesetzt werden.

Führender Kopf in der Neonaziszene

In München hatte sich Wohlleben von Szene-Anwälten vertreten lassen, die versucht hatten, den Prozess mit immer wieder neuen Anträgen auszubremsen. Er selbst schwieg im Prozess. Aus dem Gefängnis heraus gab er Anweisungen für die Thüringer Neonaziszene und hielt den Kontakt zu Kameraden, insbesondere zum umtriebigen Kader Steffen R., der auch das Konzert in Mattstedt angemeldet haben soll. Die Szene dankte es ihm unter anderem mit der Kampagne „Freiheit für Wolle“, organisierte Solidaritätskonzerte und Spendensammlungen.

Wohlleben war in den neunziger Jahren zu einem der führenden Köpfe der Thüringer Neonaziszene aufgestiegen, er war Sprecher der Landes-NPD und Vorsitzender des Kreisverbands Jena. Gemeinsam mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt war er in den Neonazi-Gruppen Thüringer Heimatschutz und Kameradschaft Jena aktiv.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er die Waffe organisiert hatte, mit dem der NSU zwischen 2000 und 2006 neun rassistische Morde verübte. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn in ihrem Plädoyer als „Chef-Unterstützer“ des Trios bezeichnet.

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22 Kommentare

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  • Die beiden oder zumindest einer der NSU-Unterstützer soll Nazi Tätowierungen haben (wurde von taz bereits berichtet). Einigest davon dürfte gegen Strafgesetz verstoßen. Z.B. das Hackenkreuz ist ein verbotenes Zeichen.



    Mann kann davon ausgehen, dass solche Menschen in der Öffentlichkeit schwimmen gehen würden. Somit würden solche verbotenen Zeichen oder Texte der Volksverhetzung straffrechtlich relevant. Die Behörden sollen diese Leute dazu bringen, verbotene Zeichen und Texte „übermalen“!

    Außerdem gibt es bei Nazis solche Tätowierungen mit den Texten wie „Gott liebt uns“. Das könnte andere Menschen die gläubig sind, in Bezug auf Grundgesetz verletzen.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Wohlleben soll leben, aber bitte schön hinter Gittern. Den Rechtsstaat sollte man aushalten, klar, aber nicht, wenn er sich zum rechten Staat mutiert, da ist Widerstand angesagt.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Widerstand erst wenn es zu spät ist?

  • Er ist, für die schwere seiner Taten auffällig gut weggekommen. Eigentlich steht er in direkter Verbindung zum Agieren der zwei toten Mörder und ihrer Logistikerin. Es ist auch sehr unglaubwürdig, dass er nichts von den Morden gewusst haben soll. Eine positive Sozialprognose kann auch nicht prognostiziert werden. Ganz im Gegenteil wird er sich bestärkt fühlen, weiterhin rechten Terror zu unterstützen, anzuleiten, anzuleiern.



    Götzl ist eben ein fraglicher Richter gewesen. Es hätte sicher geeignetere gegeben, um annähernd Recht zu sprechen.



    Es ist halt auch naiv, Recht mit Gerechtigkeit zu verwechseln.

  • Wohlleben hat dem sogen. NSU eine Struktur gegeben, deswegen wurde er offensichtlich vom Gericht als „Chef-Unterstützer“ bezeichnet. Man könnte auch sagen, dass er im Vergleich zu Zschäpe eine wichtigere Rolle gespielt hat. Sein Strafmaß ist im Vergleich zu Zschäpe wenig nachvollziehbar. Genaus so wenig nachvollziehbar ist es, dass viele sehr entscheidende Fragen im auch Zusammenhang mit der Rolle der Geheimdienste nicht beantwortet wurden, weil sie nicht beantwortet werden sollten.

    Es gibt insbesondere im Zusammenhang mit dem Verfassungsschutz und den Geheimdiensten ungeklärte Fragen hinsichtlich des Verhältnisses deutscher Behörden zu Faschisten. Und zwar zu Faschisten im IN- und Ausland. Es gibt und gab da stets dubiose Verhältnisse zu alten Waffenbrüderschaften. Beispiel Ukraine, Beispiel Kroatien, wo Nazis schön geredet werden oder nicht existieren.

  • 9G
    96486 (Profil gelöscht)

    dieser prozeß hat leider nur gezeigt, daß in diesem Land kein Interesse an entnazifizierung besteht.

    wer heymann "die oktoberfestbombe" gelesen hat, bei google einmal "operation gladio" eingegeben hat und seriöse quellen verfolgt, sich die frage stellt, was aus gladio nach 1990 wurde, weiß wie tief die kinder und enkelkinder von altnazis mit "traditioneller gesinnung" im bnd fest verankert sind und sogar vom verfassungsschutz beobachtet werden...der versteht und wundert sich nicht mehr.

    all diese fragen hätte der prozeß hinterfragen und aufdecken können und müssen. daß es nicht passiert ist, folgt dem allgemeinen und bestimmten interesse bestimmter "volksvertreter", Unternehmer und, und, und.....



    faschismus - leider aktuell und nicht nur in randgruppen anzutreffen!

  • Dieser objektive Artikel hat mich überzeugt. Insbesondere die Erwähnung, dass er von "Szene-Anwälten" verteidigt wird. Was soll da die Rechtssprechung noch, - er ist SCHULDIG.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @lulu schlawiner:

      ...klar ist er schuldig, kein Mensch hat das Gegenteil behauptet, deswegen wurde er auch zu 10 Jahren Haft verurteilt.

  • Wohlleben wird es krachen lassen! Jetzt ist er frei. Er hat geschwiegen, er hat seine Gesinnung offen zur Schau gestellt und nicht bereut, keinerlei Anstalten von Mitgefühl oder Anteilsnahme gezeigt. Dass er so frei kommen kann, ist der Hammer und es ist zum Kotzen.

    • @Andreas_2020:

      Frei ist relativ. Aktuell ist der Haftbefehl nur aufgehoben. Seine Gefängnisstrafe bleibt bestehen, ggf. wird der Vollzug zur Bewährung ausgesetzt. Je nach Auflagen ist der aber wieder ganz schnell drin mit seinen Szenekontakten und ich bin mir ziemlich sicher, dass bei ihm genau hingeschaut wird. Dann noch die eine oder andere kleine Entgleisung und es kommt noch was oben drauf.

    • @Andreas_2020:

      nee, das ist korrekte Umsetzung geltenden Rechts bis das Urteil rechtsgültig wird. Das Wohlleben zudem 2/3 der Haftzeit bereits in Untersuchungshaft verbracht hat und damit nach Rechtskraft des Urteils auch die Überprüfung $ 57 STGB "Aussetzung des Strafrests" ansteht, machen eine Fluchtgefahr sehr unwahrscheinlich.

      • @Mikki:

        Das Problem ist weniger dass er frei ist, sondern dass der Prozess so verdammt lange gedauert hat. Wäre er schon vor 5 Jahren zu 10 Jahren Haft verurteilt worden, hätte das schon ganz anders gewirkt (auch auf ihn, vermute ich).

  • Warum sollte er auch flüchten? Hier ist er doch „bestens“ aufgehoben.

  • ganz ehrlich? echt jetz?



    6 1/2 sind aber nicht zehn!



    und den gefährder holen wir auch wieder zurück nach deutschland, weil der arme waffenbruder ja vll gefolteret werden könnte und sollte er schon gefoltert worden sein bekommt er natürlich finanzielle gegenleistung vom staat...und ich mach mir sorgen weil ich noch nicht mit meiner steuererklärung angefangen habe...muss ich mir da überhaupt sorgen machen?

    • 9G
      96486 (Profil gelöscht)
      @Komi:

      lass dich doch einfach nach afghanistan verschiffen und foltern wenns so lohnenswert ist.

    • @Komi:

      Die tatsächliche Haft aus den gegen die 'Nebenangeklagten' verhängten Haftstrafen könnte in allen Fällen in Kürze ablaufen. Das hinterlässt den fahlen Nachgeschmack nicht das Gesetz sondern Pragmatismus habe das Gericht bei seiner Enscheidung geprägt, von den Auswirkungen auf die Entscheidung der Angeklagten in Revision zu gehen einmal ganz abgesehen.

    • @Komi:

      "6 1/2 [Jahre] sind aber nicht zehn!" Schon, aber fast 2/3 davon, welche exakt übrigens zum Ende dieses Monats ablaufen.

  • Die rechten Helden der Nachgeborenen.

    Würde es die Neofaschisten und Zöglinge der Altfaschisten nicht geben, die politische Administration der Finanz- und Monopolbourgeoisie in der Bundesrepublik Deutschland müsste sie neu erfinden.

    Das deutsche Kapital braucht seine eiserne Reserve für schlechte Zeiten. Nur mit Kapitalfaschisten kann es zukünftig die politische Linke und eine Neuauflage einer progressiven Arbeiterbewegung abwehren und dauerhaft unter Kontrolle halten. Auch dafür hat man bereits im bürgerlichen Parlament vorgesorgt und seinen parlamentarischen Teil in Stellung gebracht.

    Sollten die bürgerlichen Parteien und Wirtschaftslobbyisten in Parlament und Regierung die Entwicklung der Gesellschaft nicht mehr unter Kontrolle halten, dann steht die eiserne gesellschaftliche Kriegsreserve, der ökonomischen. ideologischen und politischen Administration der Bourgeoisie und Kapitalisten, der Erbschafts- und Dividenden-Milliardäre, bereit.

    • @Reinhold Schramm:

      Ich halte die beiden Probleme (das der wirtschaftlichen Ungleichheit und das des Rechtsextremismus) für lediglich marginal miteinander verknüpft, eigentlich nur in zweierlei Hinsicht:

      Der Hauptzusammenhang besteht darin, dass ärmere Menschen in der Regel weniger Bildungschancen haben und damit ein leichteres Ziel für die Rekrutierungsversuche seitens der rechtsextremen Szene bieten.

      Zweitens überschneiden sich die Interessen der Reichen und der Rechtsextremen darin, dass sich der rassistisch bedingte Flüchtlingshass der der Neonazis in der geforderten Konsequenz weitgehend mit dem geizbedingten Flüchtlingshass der Reichen deckt.

      Tatsächlich aber eine Allianz mit den Rechtsextremen einzugehen, ist höchstens einer Minderheit in der bessergestellten Bourgeoisie zuzutrauen, weil dem (noch) eine starke soziale Kontrolle entgegensteht. Da ist im Gegenteil die Hemmschwelle in den ärmeren Schichten geringer, weil man da an sozialem und finanziellem Status weniger zu verlieren hat.

    • @Reinhold Schramm:

      Sehr klar und absolut richtig geschildert.



      Genau das läuft (im Hintergrund) ab.

      Aber für den Mainstream ist das alles nur Verschwörungstheorie – wohl hauptsächlich deshalb, weil so am besten unter der Decke zu halten: wer lässt sich schon gerne als Verschwörungstheoretiker outen.

      Mir graut's. Denn das wird – wie von Ihnen vorhergesagt – recht plötzlich über uns hereinbrechen, dann noch USA und/oder Russland mit dabei – und schwupss – schauen wir echt betröpfelt aus der Wäsche…

      Die Demokratie ist dann endgültig und aus deren Sicht fast elegant abgeschafft.

      Gruselig.

  • Bevor hier wieder gezetert wird, ein Lesetip: „Kommentar zur Abschiebung von Sami A.: Den Rechtsstaat aushalten“

    www.taz.de/Archiv-...517686&s=tunesien/

    Also haltet ihn aus, liebe Mitbürgerinnen :)

    • @Frank Erlangen:

      Wenn Sie schon die Causa Sami A. einführen, sollten Sie allerdings nicht die „Feigheit vor dem Freund“ zeigen und dann konsequenterweise auch der versammelten rechtsdrehenden Online-Meute auf TS, SPON, Focus etc diesen Link zusenden.

      Die lebt gerade in entlarvender Weise unisono ihr Rechtsstaatsverständnis aus mit: „Alle raus! Und wenn schon draußen, nie wieder einlassen!“

      Das ist der herbeigewünschte Willkürstaat, den sich AfDler, IB-Ethnofaschisten u.a erträumen. Vorher wird noch auf PEGIDA angestimmt „Absaufen, absaufen, absaufen!, wenn’s ums Mittelmeer geht.

      Aber ich vermute, die verschonen Sie mit Links. Die brauchen Sie als Stimmvieh für das Kreuz bei dieser zur politischen Partei mutierten Kloake.