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Kolumne HerbstzeitlosGanz ohne Schirm

Was New York so alles über sich preisgibt, wenn man nur ein paar Minuten lang Zuflucht vor dem plötzlichen Platzregen sucht.

Platsch Foto: dpa

Warum sollte man einen Schirm dabei haben, wenn man sich in New York herumtreibt bei über 30 Grad im Schatten?

Hell’s Kitchen am Spätnachmittag. Ein Tropfen. Zwei Tropfen. Drei Tropfen. Dann kommt die Gewitterwand, in einem Affenzahn naht sie vom übernächsten Block her; bedrohlich wie in einem Blockbuster. Tatsächlich heulen Polizeisirenen, aber sie gelten nicht unserer Not. Dort, gleich rechts: ein überdachter Hauseingang; dort rennen wir hin, so schnell es nur geht. Eine ältere Dame folgt uns, auch sie ohne Schirm. Das lange graue Haar zu einem Zopf gebunden, eine perlmuttfarbene Brille, eine New Yorkerin wie aus einem Buch entsprungen.

Das Haus hat so zehn, fünfzehn Stockwerke, und wenn der Eindruck stimmt, ist die von der nahe gelegenen High Line ausgehende Gen­trifizierungswelle hier noch nicht angekommen. Ein älterer Mann in schmutzig grauem Unterhemd kommt aus dem Haus geschlurft, schaut sich die massive Regenwand an, die nun vor uns steht wie aus Beton gegossen und ­murmelt so etwas wie incredible, bevor er sich eine Zigarette (!) anzündet. Er zieht einmal, zweimal. Dreimal. Und schlurft wieder in das Haus; doch ein junger Mann winkt nun von innen: „Wanna come in?“ Wenn wir wollten, dürften wir hineinkommen und den wenigen Platz vor den Briefkästen blockieren statt, so wie jetzt, den ganzen Eingang. Doch niemand beschwert sich, auch nicht die übergewichtigen Frauen, die mit ihren Einkaufs­taschen und Schirmen kaum an uns vorbeikommen auf ihrem Weg in ihr angestammtes Terrain, ihr Zuhause. Schnell ins Trockene, aber für uns drei haben sie ein Lächeln übrig, ein freundliches Wort.

Als die Regenwand durchsichtiger wird und dann sogar zu verschwinden scheint, wagen wir uns hervor, rennen bis zum nächsten Block. Doch dann kommt der Regen wieder, im nächsten Hauseingang treffen wir die alte Dame wieder. Eine junge Frau ist dazugekommen, sie hat sich unter einem durchsichtigen, glockenförmigen Schirm verschanzt, ist ununterbrochen via Smartphone in Kontakt mit der Außenwelt, nicht aber mit uns.

Der Vorsprung ist noch schmaler, das Haus ist so groß wie das vorherige, drinnen gibt es einen Concierge, einen Wachmann, ein Ledersofa und eine Designerlampe. Hier bittet uns keiner herein. Vielmehr werden wir zum Problem, als einer der bewachten Hausbewohner herauswill und wir im Weg stehen: „Are these people a problem for you?, fragt der Wachmann servil, doch der Gefragte, Brooks-Brothers-Hemd und Chinos, schaut kurz auf die nasse Wand, lächelt, geht wieder zurück zum Aufzug, dessen Türen silbern schimmern – vielleicht bestellt er einen Fahrdienst?

Glück gehabt. Wir dürfen bleiben, alle vier. Bis der Regen aufhört und wir alle wieder unserer Wege gehen, „Singing and dancing in the rain / What a glorious feeling / And I’m happy again / and singing – in the rain“. Wer braucht schon einen Schirm.

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