Frauen im Radsport: Am Katzentisch der Tour de France
Für sie werden keine Strecken abgesperrt, wird kein Verkehr angehalten. Radrennfahrerinnen kämpfen für eine weibliche Tour de France.
Vier Stunden vor den männlichen Profis und zwei Stunden vor der gigantischen Werbekarawane der Tour de France nahmen 113 Fahrerinnen von 20 Teams die 112,5 Kilometer von Annecy nach Le Grand-Bornand auf sich. Es waren 46 Kilometer weniger als die Männer. Unter anderem wurde die Bergwertung der 1. Kategorie am Col de la Croix Fer ausgelassen.
Fahren allerdings können Frauen solche Berge. Auch wenn davor und danach noch andere Gipfel sind. Das zeigten am Tag zuvor die Teilnehmerinnen der alternativen Tour de France der Frauen. Unter dem Namen „Donnons des Elles au vélo“ (Bringen wir sie aufs Rad) bestreiten 13 Frauen seit dem 6. Juli die komplette Tour de France. Sie fahren alle Etappen ab, einen Tag vor den Männern. Für sie werden keine Strecken abgesperrt, für sie wird kein Verkehr angehalten. Sie schaffen es aber doch.
„Wir wollen die Tourorganisatoren unter Druck setzen, damit sie eine richtige Tour de France der Frauen organisieren“, sagte Sprecher Mathieu Istil der taz am Telefon. An dem Tag, als die Profifrauen und Profimänner auf dem Weg nach Le Grand-Bornand waren, befanden sich die Aktivistinnen schließlich schon auf dem nächsten Tagesabschnitt, von Albertville nach La Rosière. Angesprochen auf La Course meinte Istil trocken: „Ein Tag Frauenrennen bei der Tour ist viel zu wenig. Die ASO (Tourorganisation; d. Red.) muss mehr leisten!“
Die Profisportlerinnen bei La Course freute allerdings, dass ihr Rennen erneut als Bergetappe ausgetragen wurde. Das Auftaktrennen 2014 war lediglich ein Rundkurs auf den Champs Elysees – ausgetragen am Finaltag der Männer. „Es war schön, so viele Zuschauer an der Strecke zu haben“, blickte Annemiek van Vleuthen zurück. „Sportlich interessant war es aber nicht. Wir Frauen können mehr als im Flachen Runden zu drehen.“
Mathieu Istil, Kampagnen-Sprecher
Van Vleuthen gewann 2017 die Austragung am Col d’Izoard. Beim aktuellen Rennen machte sie erst in einer Dreiergruppe Jagd auf die Ausreißerin Cecilie Uttrup Ludwig, dann sprengte Olympiasiegerin Anna van der Breggen die Gruppe. Sie strebte allein dem Gipfel zu. Die Niederländerin sah aus wie die sichere Siegerin, da mobilisierte Landsfrau van Vleuthen die allerletzten Reserven und flog vorbei. Es war ein Bilderbuchfinale mit vielen Zuschauern.
„So klasse kann Frauenradsport sein, schaut hin, Leute, schaut hin“, meinte im Ziel dann auch die Gesamt-Vierte Ludwig. Sie wurde von Tränen geschüttelt. Und wer sie sah, dachte, sie weine, weil ihr der Tagessieg verwehrt geblieben war. Ludwig aber weinte vor Glück: „So ein schöner Tag, einer der schönsten in meinem Leben. Ich werde das nie vergessen“, sagte sie. „So viele dänische Fahnen waren am Straßenrand, so viele Leute haben meinen Namen gerufen. Es war einfach großartig.“
Gut, die dänischen Fahnen werden die Fans von Astana-Kapitän Jakob Fuglsang geschwenkt haben. Dass die Fuglsang-Fans aber Cecilie Ludwigs Namen ebenfalls kannten, spricht für die wachsende Akzeptanz des Frauenradsports. „Sogar Franzosen riefen meinen Namen“, freute sich Ludwig.
Deutsche Starterinnen abgehängt
Deutsche Starterinnen hatten mit dem Rennausgang nichts zu tun. Beste wurde Clara Koppenberg auf Platz 30 mit mehr als neun Minuten Rückstand, zweitbeste Kathrin Hammes. Berge sind unbedingt das Terrain der Kölnerin. Sie hatte ein paar Tage zuvor auch schon den Zoncolan bei Giro rosa, dem Frauenrenenn des Giro d’Italia, in den Beinen. Klagen wollte sie darüber aber nicht, auch nicht über die lange Autofahrt direkt von den Dolomiten zu den Alpen.
Sie wünschte sich aber auch eine echte Tour de France der Frauen. „Warum nicht auch drei Wochen? Wir können das“, meinte sie selbstbewusst. Und im Gegensatz zu den Männern, die den großen Tourtransfer von Roubaix nach Annecy mit dem Flugzeug absolvierten, kamen die Frauen von Italien aus mit dem Auto.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“