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Ohne Strafmakel keine Entschädigung

Ein neues Gesetz rehabilitiert Betroffene, die nach § 175 StGB wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt wurden. Doch bisher haben nur wenige einen Antrag gestellt

Der „Schandparagraf“ 175 des Strafgesetzbuchs galt bis 1969 und wurde 1994 komplett abgeschafft Foto: Carsten Thesing / imago

Von Laila Oudray

Es war ein Meilenstein, für den Organisationen, Stiftungen und Aktivist*innen seit Jahrzehnten gekämpft haben: Am 17. Juli 2017 ist das Gesetz zur „strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen“, kurz StrRehaHomG, in Kraft getreten. Der Straftatbestand nach § 175 des Strafgesetzbuches (StGB) hatte in der von den Nationalsozialisten verschärften Form in der Bundesrepublik bis 1969 weitergegolten und war erst 1994 komplett abgeschafft worden.

Neben einer ­strafrechtlichen Rehabilitierung steht den Betroffenen nun eine einmalige Entschädigungszahlung in Höhe von 3.000 Euro für jede Verurteilung sowie von zusätzlich 1.500 Euro für jedes angefangene Haftjahr zu. Es ist ein Akt der Gerechtigkeit, auf den die Betroffenen lange warten mussten – und der für viele zu spät kommt.

Von den Zehntausenden Opfern, die von 1949 bis 1994 wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, verfolgt und verurteilt wurden, ist ein Großteil bereits gestorben. Die Bundesregierung schätzt, dass noch circa 5.000 homosexuelle Männer ein Anrecht auf Rehabilitation haben.

Ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes ist das erste Fazit allerdings ernüchternd: Bis Juni 2018 sind gerade mal rund 100 Anträge auf Entschädigung eingegangen. Das Bundesamt für Justiz sieht verschiedene Ursachen dafür: „Nach meiner persönlichen Einschätzung sind viele Betroffene traumatisiert und wollen womöglich nicht an die Staatsanwaltschaft herantreten, die sie damals angeklagt hat“, so Behördensprecher Thomas Ottersbach.

Die geringe Zahl der Anträge macht deutlich, dass die Entschädigung kein Selbstläufer ist. „Meiner Meinung nach könnte die Bundesregierung mehr Problembewusstsein zeigen. Es müssen entsprechende Maßnahmen getroffen werden, um die Zahl der Anträge zu erhöhen“, meint Doris Achelwilm. Sie ist Sprecherin für Gleichstellungs-, Queer- und Medienpolitik der Linken im Bundestag. Gemeinsam mit Kolleg*innen hat sie eine kleine Anfrage zu diesem Thema gestellt.

Viele Betroffene dürften nicht einmal wissen, dass ihnen überhaupt eine Entschädigung zusteht. Die meisten von ihnen sind bereits hochbetagt, oft leben sie in Pflegeheimen. Als das Gesetz verabschiedet wurde, wurde darum vom Bundesjustizministerium im Internet eine Themenseite eingerichtet, die die Informationen einigermaßen übersichtlich aufarbeitet. Außerdem hat die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) mithilfe des Familienministeriums eine Hotline für Betroffene eingerichtet, die sie über ihre Rechte aufklärt und bei der Antragstellung unterstützt.

Es scheint allerdings angebracht, die Informationsbeschaffung noch niedrigschwelliger zu gestalten – etwa indem alles Wesentliche in Leichter Sprache verfügbar gemacht wird. Auch sollte bei der Öffentlichkeitsarbeit nicht nur auf die Onlinemedien geachtet werden. So hält es Achelwilm etwa für sinnvoll, Anzeigen in nationalen Printmagazinen und Zeitungen zu schalten, um die Informationen breiter zu streuen.

Doch nicht nur die Informationspolitik muss sich verbessern, sondern auch das Gesetz selbst. So fordern Aktivist*innen und Politiker*innen der Oppositionsparteien, dass der Kreis der Berechtigten erweitert wird. Bisher können nur Männer auf eine Entschädigung hoffen, wenn sie auf Grundlage von § 175 StGB rechtskräftig verurteilt worden sind.

Männer, die nicht verurteilt wurden, aber durch die Ermittlungen gravierende Nachteile erleiden mussten, werden bisher nicht berücksichtigt. Denn die Entschädigung sei eine „finanzielle Anerkennung des erlittenen Strafmakels und der infolge eines solchen Urteils erlittenen Freiheitsentziehung“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken. Ohne Verurteilung also kein Strafmakel. Ohne Strafmakel keine Entschädigung.

So wurde beispielsweise der Antrag von Wolfgang Lauinger, einem von den berüchtigten „Frankfurter Homosexuellenprozesse“ von 1950/1951 Betroffenen, abgelehnt, weil er damals „nur“ in Untersuchungshaft saß und freigesprochen wurde. Welche weiteren – negativen – Auswirkungen dieser öffentlichkeitswirksame Prozess auf das Leben Lauingers hatte, war für die Entscheidung irrelevant.

Den Betroffenen steht auch eine einmalige Entschädigung zu

Wenige Wochen nach der Ablehnung seines Antrags starb Wolfgang Lauinger, ohne jemals für sein Leid entschädigt worden zu sein. Aus diesem Anlass hat die Bundesfraktion der Grünen Ende letzten Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, um das StrRehaHomG nachzujustieren. Und vor wenigen Wochen hat zudem der grüne Berliner Justizsenator Dirk Behrendt eine Bundesratsinitiative zur Verbesserung des Gesetzes auf den Weg gebracht. „Das Rehabilitierungsgesetz aus dem letzten Jahr war ein wichtiges Signal an die Opfer, doch es hat in der Praxis Lücken“, erklärt Behrendt.

Auch die FDP und die Linken wollen diese Lücken schließen, beispielsweise durch eine höhere Entschädigungssumme und die Auszahlung einer Entschädigung als Rente. Letzteres fordert auch der Völklinger Kreis, der Berufsverband schwuler Führungskräfte: „Diese Menschen haben oft nicht die Karriere gemacht, die sie machen wollten. Viele leben heute in Einsamkeit und relativer Armut“, sagt Vorstandsmitglied Alf Spröde.

Eine weitere Forderung, sowohl von Stiftungen als auch der Opposition, ist die Einrichtung eines Härtefallfonds. Da­raus sollen Betroffene unbürokratisch entschädigt werden, die nicht verurteilt wurden, aber trotzdem unter dem Gesetz gelitten haben: „Etwa all die, die durch den Paragrafen 175 ihre Jobs verloren haben oder aus dem öffentlichen Dienst entlassen wurden“, sagt Doris Achelwilm von den Linken. Außerdem sollten laut Achelwilm auch jene beachtet werden, die wegen ihrer Homosexualität „Opfer von Zwangsmaßnahmen wie ‚freiwilliger‘ Kastration oder Elektroschocktherapie wurden“.

Wenn die Bundesregierung die Vergangenheit tatsächlich aufarbeiten will, muss sie in die Offensive gehen. Das Gesetz war ein erster Schritt, doch es sollte erweitert werden, bevor es zu spät ist.

Infos u. a. unter: www.bmjv.de/DE/Themen/FamilieUndPartnerschaft/175/RehabilitierungVerurteilterHomosexuellerMaenner_node.html

Die „Hotline Entschädigung § 175“ ist kostenfrei zu erreichen unter der Tel.-Nr. 08 00 1 75 20 17 (Mo., Do. und Fr. von 10 bis 17 Uhr).

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