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Kolumne Geht’s Noch?Lieber Beyoncé als Luther

Auch Niedersachsen huldigt jetzt dem antisemitischen Hassprediger und Erfinder der protestantischen Arbeitsethik mit einem Feiertag.

Das tut weh! Illustration: TOM

W ir erinnern uns: Letztes Jahr deutete die allgemeine Stimmung gegen einen neuen Feiertag. Zumindest, wenn es ein muslimischer sein sollte. Dann lieber einen Tag mehr arbeiten, als Muslim_innen ein Mal etwas zu gönnen.

Stattdessen hat der niedersächsische Landtag jetzt den 31. Oktober, den Reformationstag, zum zusätzlichen Feiertag erklärt. Nach Schleswig-Holstein und Hamburg machen damit jetzt drei westdeutsche Bundesländer am Luthertag frei.

Wenn es nach mir ginge, müssten Feiertage gar keinen religiösen Anlass haben – denn wenn es einen muslimischen in Deutschland gäbe, bräuchte es schließlich auch einen jüdischen, vielleicht einen buddhistischen, das chinesische, das kurdische und iranische Neujahr sowie Beyoncés Geburtstag und zwei Tage für Atheist_innen.

Dabei gäbe es genug andere Anlässe für Feiertage. Der 8. März beispielsweise. Da die meisten Männer keine Lohnarbeit an dem Tag tätigen müssten, könnten sie jegliche Sorgearbeit übernehmen und FLTI-Personen (Frauen, Lesben, inter und trans* Leute) könnten sich den schönen Dingen des Lebens widmen. Oder der 20. Januar, traditionell bekannt als „Punch A Nazi Day“. Ob betrunken mit Bollerwagen oder nüchtern auf dem City-Roller, alle Leute gehen auf die Straße, um Nazis zu klatschen (oder in manchen Fällen: um sich als Nazi klatschen zu lassen).

Von der Arbeitswut geritten

Für diejenigen, denen das zu krass sein sollte, gäbe es noch den 5. Juni: Zu Ehren des Menschen, der Gaulands Kleidung beim Baden gezockt hat, werden alle Bademöglichkeiten in Europa nach den Klamotten rechter Politiker_innen im Allgemeinen und AfD-Mitgliedern im Speziellen, aber auch jenen anderer völkischer Umweltverschmutzer_innen durchkämmt und diese dann geklaut. Wer keine Badekleidung findet, darf auch anderes Eigentum nehmen. Alles besser als der Reformationstag.

Hardcore-Fans von Luther können ihn eigentlich nur feiern, indem sie von der Arbeitswut geritten das Neue Testament nehmen und damit antisemitische und sexistische Straftaten begehen. Wie sonst zelebriert man einen Mann, der Frauen als Unkraut bezeichnet, das zu nichts außer Hausarbeit gut ist, und der brennende Synagogen sehen will? Warum überhaupt ein Feiertag für einen Typen, der die Integrationstests für Geflüchtete nicht bestehen würde, weil er weniger Respekt für Frauen, Queers und Jüdinnen_Juden hat, als Bild & Co. es über Muslim_innen behaupten?

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Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
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12 Kommentare

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  • Ganz einfach. Jeder Bürger bekommt 10 Feiertage zur freien Verfügung. Das ist dann hoffentlich für jede Gruppierung genug und wer mehr braucht, soll sich halt frei nehmen. Damit sind dann auch sog. stille Feiertage abgeschafft. Schluss mit der religiösen Bevormundung. Setzt endlich die Trennung von Staat und Kirche komplett um!

  • hoppla, ...

     

    wenn ich es richtig verstehe, betrifft es die reformation.

    und nicht ausschließlich die person martin luther.

    denn reformatoren, derer gab es viele

     

    martin luther ragt als promintester und übersetzer heraus.

    sein beitrag mag in teilen heute umstritten sein, sein ganzes erscheint in einem anderen licht.

  • Meine Headlind "selten so einen Müll gelesen. aus der tazHeadline....huldigt jetzt dem antisemitischen Hassprediger..soll nun witzig oder ironisch sein?.einen Feiertag zu Ehren des Menschen, der Gaulands Kleidung beim Baden gezockt hat!

    Der Tag heisst REFORMATIONSTAG und nicht LUTHERTAG

    Reformatoren waren u.a. Johannes Calvin,Philipp Melanchthon, Thomas Müntzer,

    Johannes Bugenhagen, Ulrich Zwingli

    Martin Luther, Jan Hus

    Die Reformation gehört zu den einschneidenden Ereignissen der europäischen Geschichte. Vor 500 Jahren gingen wesentlich vom deutschsprachigen Raum Veränderungen aus, die die Weltgeschichte verändert habt. Seitdem gibt es im Christentum die Trennung zwischen protestantischen Konfessionen und katholischer Kirche. Seitdem entwickelten sich die Gewissensfreiheit des Einzelnen, die deutsche Sprache, wie wir sie heute kennen, und das heutige Berufsverständnis. Sicherlich auch Verständnis für die geringen geschichtlichen Kenntnisse einer Person die sich Journalistin nennen will.

    • @Lothar Hübner:

      Ich hoffe sehr, dass sie diesen sehr guten Beitrag liest!

  • Liebe Frau Yaghoobifarah,

     

    Niedersachsen ist, nach Schleswig-Holstein, das Bundesland mit dem höhsten Anteil an Protestanten und Protestantinnen; 2011 waren es 50%. Da kann man auch mal für die einen Feiertag machen.

    In Berlin, in dem 60% der Bevölkerung keiner Religionsgemeinschaft angehört, werden von der regierenden SPD vorgeschlagen "der 27. Januar als Tag der Befreiung von Auschwitz, der 23. Mai als Tag des Grundgesetzes oder der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus".

     

    Die Bundesländer, die in der Anzahl an Feiertagen hinterherhinken, führen also Feiertage ein unter Berücksichtigung ihrer Demographie. Also sollen die Niedersachen doch ihren Reformationstag haben, und wir Berliner und Berlinerinnen bekommen eben den 8. Mai. Das werden auch nicht alle toll finden, aber es gäbe eben bei uns eine Mehrheit dafür. Das sieht für mich doch alles recht demokratisch aus, ich bin mir also nicht sicher, ob ich Ihre Kritik nachvollziehen kann.

     

    Und was die Person Luther angeht - ja, Werte ändern sich mit der Zeit, meistens zum besseren. Kant z.B. hat wie die Entwicklung von wissenschaftlichem Rassismus mitgetragen, aber deswegen muss man nicht seine Ethik- und Erkenntnistheorie ganz wegschmeißen. Tesla war ein genialer Ingenieur, aber wie die Mehrheit der Menschen in seiner Zeit ein Vertreter der Eugenik. Die Person des Reformators ist nicht identisch mit dem Effekt der Reformation.

    • @Megestos:

      Niemand will hier die Erkenntnistheorie wegschmeißen oder Teslas Wissenschaften zurückweisen. Auch möchte niemand die Reformation beschränken. Doch Tesla und Kant werden keinen Feiertag bekommen. Und Luther und seine Reformation sollte keinen bekommen.

       

      Die Reformation bleibt erhalten, wie dier Erkenntnisse der Wissenschaftler. Aber einem Mann einen Tag zu witmen hat großen Einfluss. Lesen Kinder bald wieder Luthertexte in den Schulen? Wenn sie es tun, ob schulisch oder frei von sich, ist Luther der Mann, der den Deutschen einen Tag frei gibt. Ein gefeierter. Diese Ehre bekommen nicht einmal Tesla und Kant. Weshalb also einem Luther, bei welchem die antisemitischen Theorien im gegensatz zu Wissenschaftlern im vordergrund stehen?

      • @Gionny:

        Im Vordergrund stehen die antisemitischen Äußerungen in Luthers Werk keineswegs. Das wäre der Fall, wenn die meisten seiner Schriften und Predigten einen negativen Bezug zu Juden hätten. Die (übertriebene) Polemik richtet sich aber zumeist gegen den Papst. Luthers Haltung Juden gegenüber hat sich jedoch, das kann nicht geleugnet werden, im Alter verhärtet, was neben dem oft (von den Nazis gerne, von heutigen Lutherverächtern denunzierend) zitierten Büchlein leider auch private Briefe bezeugen. Mit seinen Tiraden widerspricht Luther seiner von ihm selbst als zentral bezeichneten "Rechtfertigungslehre", die dadurch für mich eher bestätigt als entwertet wird, wenngleich sie in der Theologiegeschichte manche Präzisierung und Modifizierung erfahren hat, weil die Denkvoraussetzungen sich geändert haben.

        Der Reformationstag dient für mich nicht einer ahistorischen "Lutherverherrlichung", sondern dem Gedenken an einen historischen Impuls, der die europäische Geschichte nachhaltig (nicht nur zum Guten) verändert hat. Die Spekulation, wo wir heute stünden, wenn die Reformation ausgeblieben wäre (manche behaupten, die Säkularisierung wäre rascher vorangeschritten) mag interessant sein, bleibt aber "hätte , hätte Fahrradkette".

        Der Reformationstag (Anlass war ja die Kritik an der Ablasspraxis ,somit an bestehenden Verhältnissen) kann den einen zum Verständnis , worauf sie sich bis heute beziehen, den anderen zur Besinnung, weshalb sie Religion generell ablehnen, dienen.

  • Der letzte Absatz ist super, der Rest auch!

     

    Danke, ich bin dabei!

  • "Hengameh Yaghoobifarah, ................. studierte "irgendwas mit Medien“ (Medienkulturwissenschaft) und "mal was Exotisches“ (Skandinavistik) ............... und jetzt hat sie über ein Thema (Feiertag) und über eine Person (Luther) geschrieben. Gratulation.

  • Na Mahlzeit

     

    Nu - aus blankem Neid! - sonn Tüünkram geef dat to uns Tid ook nich!

    & Liggers ~>

    Als Nachfahre freier Bauern mit lübschem Bürgerbrief!;)

    Bin ich schon deswegen dagegen! ~> Merk auf!

     

    “ Noch 1525 kritisierte Luther in seiner Ermahnung zum Frieden das „hochmütige“ Verhalten der Fürsten. Erst nach der Weinsberger Bluttat schlug er sich eindeutig auf die Seite der Fürsten und verurteilte die Aufständischen scharf:

     

    „wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern […] man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“

     

    Seine Schrift Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren veröffentlichte Luther allerdings erst zu einem Zeitpunkt, als die Niederlage der Bauern bereits absehbar war.

     

    Nach 1525 verlor der Protestantismus seinen revolutionären Geist und zementierte auch von Luther unterstützt die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse mit dem Glaubenssatz „Seid untertan der Obrigkeit“.…“ wiki

     

    kurz - Elendig feiger Fürstenknecht!

    „Möge deiner nie gedacht sein!“

  • Ach doch, Luther bockt schon. Individuelle Gewissensfreiheit und basisdemokratische Selbstverwaltung Kann man schonmal ein Tag und mehr mal durchfunken, gerade heute.

  • EIN FURCHTBARER ARTIKEL, FÜR DEN SICH DIE TAZ SCHÄMEN MUẞ!