Russlands Team bei der WM: Misstrauen und Mut
Der Auftaktsieg hat Russland viel Ballast von den Schultern genommen. Das Abschneiden ist eine Staatsangelegenheit geworden.
Die rauschhafte Atmosphäre, die sich vergangenen Donnerstag weit über das Luschniki-Stadion hinaus verbreitete, ist schnell wieder Nüchternheit gewichen. Es war ja nur Saudi-Arabien, heißt es. Und schließlich wartet in St. Petersburg mit Ägypten am Dienstag (20 Uhr/ZDF) ein größerer Gegner auf die Russen.
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WM 2018 – Die Spielorte
Dass viele insgeheim gebangt haben, ob man Saudi-Arabien überhaupt schlagen kann, ist vergessen. Dass der auffälligste Mann der Partie, Mittelfeldspieler Aleksandr Golovin, in diesen Tagen mit Juventus Turin, AC Mailand und Arsenal London in Verbindung gebracht wird, scheint ebenso wenig ein ausreichender Quell für Zuversicht zu sein wie dieser effiziente Denis Tscheryschew, der von der Ersatzbank kommend zweimal traf. Den in Spanien aufgewachsenen Mann kennt kaum einer so richtig in Russland. Zumal er sich dauernd mit Verletzungen herumgeplagt hat und lediglich ein gutes Dutzend Länderspiele bestritt.
Die demütigenden Niederlagen der vergangenen Jahre sitzen zu tief in der Erinnerung der russischen Fußballfans. Auch beim scheinbar so überzeugenden Auftakt gegen Saudi-Arabien konnten die genaueren Beobachter sehen, wie viel doch auch schief ging und wie wenig von einer ausgefeilten Spielidee, von Automatismen zu sehen war.
Vornehmlich wurde das Feld mit weiten Bällen überbrückt und zweite Bälle wurden aufgrund der körperlichen Überlegenheit gewonnen. Ein schlichtes und sehr berechenbares Konzept.
Gebranntes Kind
Die Zweifel, ob das gegen Ägypten und Uruguay reichen wird, sind durchaus nachvollziehbar. Auch Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow ist ein gebranntes Kind. Er erinnerte an den Auftaktsieg gegen Neuseeland beim Confed Cup im vergangenen Jahr, der nach den darauf folgenden Niederlagen letztlich nichts wert war. Von einem „Crescendo“ der Aufgaben hat Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow mit Blick auf die weiteren WM-Gruppengegner gesprochen.
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Im Falle von Ägypten verkörpert vor allem deren Ausnahmespieler Mohamed Salah den erwartet höheren Schwierigkeitsgrad. Im ersten Spiel gegen Uruguay wurde er noch geschont, da er sich jüngst erst im Dienste des FC Liverpool eine schwere Schulterverletzung zuzog. Er sei aber, so versicherte der ägyptische Fußballverband, wieder voll einsatzfähig.
Russland dagegen muss auf Alan Dzagoev verzichten, der sich beim Auftakt am Oberschenkel verletzte. Dessen hervorragender Vertreter Tscheryschew hat sich bereits zuversichtlich geäußert, wie das russische Team im Duell mit Salah und seinen Gehilfen bestehen kann. Bei Liverpool, erklärte Tscheryschew, werde Salah gut eingesetzt. Bei Ägypten aber würde man ihm nur den Ball und die Verantwortung überlassen.
Etwas Mut habe die Russen doch geschöpft. Der erste Erfolg hat dem russischen Team viel Ballast von den Schultern genommen. In den Schlussminuten gegen Saudi-Arabien wurde der Ball mit ungekannter Leichtigkeit nach vorn kombiniert. Mit einem Erfolg gegen Ägypten könnte man das vom Sportminister Pawel Kolobkow ausgerufene Minimalziel dieser WM, das Achtelfinale, bereits vorzeitig erreichen.
Ja, das Abschneiden der Sbornaja ist zu einer Staatsangelegenheit geworden. Das zeigte sich auch, als bei Trainer Tschertschessow auf der Pressekonferenz das Mobiltelefon klingelte und Staatspräsident Wladimir Putin seine Glückwünsche loswerden wollte. Bei der Partie in St. Petersburg wird er nicht dabei sein können. Putin hat ein Heimspiel beim weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko in Minsk. Ein Kreml-Sprecher aber beruhigte: „Die wichtigsten Spielszenen schaut er sich dann in den Nachrichten an.“
Die Ausgangslage ist an diesem Dienstag für den Gastgeber vorteilhaft. Während Ägypten nach der Auftaktniederlage gegen Uruguay unbedingt einen Sieg benötigt, können die Russen die Partie abwartender angehen. Der große Druck liegt auf der anderen Seite.
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