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Türkische Lira stürzt abKursverluste im Stundentakt

Investoren verlassen in Scharen die Türkei. Die Wirtschaftsschwäche so kurz vor der Wahl könnte Präsident Erdoğan schaden.

Die türkische Lira ist immer weniger wert Foto: dpa

Istanbul taz | Der Mittwoch dieser Woche wird als schwarzer Tag in die Geschichte der türkischen Lira eingehen. Fast im Stundentakt verlor die türkische Währung gegenüber dem Dollar und Euro an Wert. Zahlte man am Vormittag noch 4,6 Lira für einen Dollar, waren es am Abend fast 5 Lira. „Einen solchen Währungsverfall haben wir noch nicht erlebt“, berichteten Devisenhändler im Großen Basar dem Sender Fox-TV. Zeitweilig machten die meisten Devisenbüros einfach zu, weil sie nicht wussten, wie sie mit dem Absturz umgehen sollten.

Am Abend nach Marktschluss zog die türkische Zentralbank dann die Notbremse. Sie tat, was sie nach Meinung aller Experten längst hätte tun sollen, und erhöhte die Zinsen massiv von 13,5 auf 16,5 Prozent. Am Donnerstagmorgen zeigte sich die Lira daraufhin erst einmal wieder leicht erholt und startete mit 4,55 Lira für einen Dollar in den Handel. Am Nachmittag musste man aber bereits wieder 4,67 Lira für einen Dollar zahlen.

Doch warum hat die Zentralbank solange mit einer Zinserhöhung gewartet und fast den Komplettabsturz der Lira riskiert? Der Grund ist die Auffassung von Präsident Erdoğan, dass Zinserhöhungen Gift für die Volkswirtschaft seien. Er fürchtet, dass steigende Zinsen das Wachstum abwürgen und damit seinen Wahlerfolg am 24. Juni gefährden könnten. Alle Großinvestoren, Ratingagenturen und sonstigen Schaltstellen des Finanzkapitals sehen aber vor allem, dass das türkische Wirtschaftswachstum nur noch durch hohe Schulden künstlich befeuert wird, weshalb massenweise ausländisches Kapital das Land verlässt. Dadurch steigt die Inflation und der Lira-Kurs fällt.

Die Ratingagenturen haben die Türkei längst auf Ramsch-Niveau heruntergestuft, was die Kosten für frisches Kapital erheblich erhöht. Wirtschaftshistoriker Russel Napier meinte in der Neuen Züricher Zeitung, die Türkei sei kurz davor, ihre Schulden nicht mehr bedienen zu können, und befinde sich de facto bereits in der Insolvenz.

Ein Komplott von außen?

Erdoğan behauptete dagegen am Mittwoch noch einmal, die Devisenkurse hätten nichts mit der Realität der Türkei zu tun, sondern seien das Ergebnis eines Komplotts von außen. Er forderte die Türken und Türkinnen auf, ihre Lira nicht in Dollar umzuwechseln – das sei nicht patriotisch.

Doch die Komplott-Theorie wirkt immer weniger in der türkischen Öffentlichkeit. Selbst von der Propaganda überzeugte AKP-Anhänger fragen sich, warum ihre Regierung denn dann nichts gegen das Komplott tue. In Alltag stellt jedenfalls jeder fest, dass die Preise täglich steigen, vor allem an der Tankstelle und bei anderen Importwaren.

Für die Opposition ist die Währungskrise das Thema überhaupt. Endlich können sie Erdoğan an einem Punkt angreifen, der wirklich wehtut. Sowohl der Präsidentschaftskandidat der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, Muharrem İnce, als auch die İyi-Partei-Chefin Meral Akşener nutzen jede Bühne, um die Wähler darauf hinzuweisen, dass niemand anderes als Erdoğan persönlich für das Desaster verantwortlich sei.

Das bringt den Präsidenten, anders als in früheren Wahlkämpfen, erkennbar in die Defensive. Währungskrisen, schrieb der bekannte Kolumnist Yalçın Doğan im oppositionellen Web-Portal T-24, waren für türkische Regierungen schon immer ein Menetekel. „Die Lira-Krise zeigt, dass sich die Herrschaft der AKP dem Ende zuneigt.“

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11 Kommentare

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  • Herr Gottschlich, vielleicht können Sie mal mit den "Schulden" konkreter werden.

     

    Die relative Staatsverschuldung der Türkei liegt bei 28% (2017). Das ist sehr niedrig und zudem in den letzten Jahren stets gefallen. Zum Vergleich: die Deutschlands liegt bei 64%.

     

    Wenn von "hohen Schulden" der "Türkei" die Rede ist, können damit nicht die Staatsschulden gemeint sein.

     

    "Die Ratingagenturen haben die Türkei längst auf Ramsch-Niveau heruntergestuft, was die Kosten für frisches Kapital erheblich erhöht."

     

    Was aber noch mehr diese Frage aufwirft: Wieso?

     

    Denn damit scheren die Rate-Agenturen alle privaten Schuldner in der Türkei über einen Kamm. Das ist ungefähr so, als wenn es für alle Deutschen zusammen nur einen einzigen Schufa-Eintrag geben würde.

     

    Und dass die Rating-Agenturen ganz gehörig einen an der Waffel haben, das haben sie schon während der Eurokrise gezeigt.

     

    Dass Erdogan da ein "Komplott" wittert, ist daher nicht abwegig. Die Türkei wäre nicht das erste Opfer einer Währungsspekulation gegen ein Land.

     

    Man muss Erdogan ja nicht mögen, aber gerade bei ökonomischen Themen sollte man eine gehörige Portion Skepsis an den Tag legen und tiefer graben.

    • @Reno Zeh:

      Es ist schwierig das in aller Ausführlichkeit zu erklären. Vielleicht hilft es, das sowohl der Staat als auch viele türkische Unternehmen sich in Dollar und Euro verschuldet haben. Seit 2013 hat sich der Wert der Lira in Dollar mehr als halbiert, d.h. die Schulden der türkischen Firmen haben sich in Lira gerechnet verdoppelt. Auch der Staat muß etwa das Doppelte einsparen. Gleichzeitig steigen die Zinsen auf jetzt 16%. Weiterhin ist abzusehen, dass die Verschuldung weiter massiv zunehmen wird. Die Türkei importiert weit mehr, darunter viele unersetzliche Produkte wie PKW, Maschinen, Öl und Gas, als sie exportiert. Und nicht zu vergessen die Äußerungen von Erdogan bezüglich Kapitaltransfers ins Ausland und der Unabhängigkeit der Notenbank. Mit anderen Worten, nach der Wahl könnten Kapitalverkehrskontrollen drohen und die Notenbank könnte gezwungen werden die Notenpresse massiv anzuwerfen, um z.B. irgendwelche Sozialprogramme o.ä. zu finanzieren. Steigende Inflation

      Und was den Umtausch Dollar/Euro in Lira betrifft: Würden Sie heute schon ihre Ersparnisse von Dollar/Euro in Lira tauschen, wenn absehbar ist, das sie in einem Jahr das Doppelte an Lira bekämen und sich die Preise für alle Güter ebenfalls verdoppelt hätten. Wohl kaum - eher andersherum.

      Was den Vergleich zu Deutschland und den USA betrifft, sowohl Deutschland als auch die USA sind fast ausschließlich in ihren Währungen verschuldet - kein Währungsrisiko.

      Es gibt ein Beispiel aus der Vergangenheit auch in Deutschland. Deutsche Bauherrn hatten sich in Schweizer Franken verschuldet, da die Zinsen dort signifikant niedriger waren. Das böse Erwachen kam, als der Franken gegenüber dem Euro um über 30% massiv aufwertete. Das hat die Finanzierung vieler Leute zerlegt, denn sowohl für die Raten als auch die Restschuld mußten auf einmal mehr als 30% mehr Euro aufgebracht werden.

      //http://www.manager-magazin.de/finanzen/immobilien/a-788791.html

  • „Die Lira-Krise zeigt, dass sich die Herrschaft der AKP dem Ende zuneigt.“

     

    Ich glaube ohne Blutvergiessen wird Erdogan nicht mehr abtreten.

  • "das Ergebnis eines Komplotts von außen" = Gülen-Bewegung, klarer Fall wird von den USA alles gemanagt

  • Ach der Investor, das scheue Reh. Kaum droht er mit Rückzug, bricht die Wirtschaft und das öffentliche Leben zusammen. Wetten auf den Untergang, damit kann man auch herrlich Geld verdienen.

  • Mal angenommen Erdogan verliert die Wahl, würde denn die Opposition den diktatorischen Kurs korrigieren?

     

    Ich befürchte nicht, die Saat ist gesät.

  • Wäre ja schön, wenn Erdogan eine Klatsche kriegte. Aber eher ginge wohl das gesamte Personal der Wahlbehörde in den Knast, als daß er so etwas zulassen würde.

    • @Spitzbube:

      Selbst das wäre gut - das kann er dann nicht mehr auf seinen selbstinszenierten Putsch schieben

  • Nur, wie sollen die Oppositionsparteien Wahlmanipulationen verhindern? Ein Machtmensch wie Erdogan lässt sich nicht durch Wahlergebnisse verdrängen. Dazu hat er die Wahlkommission und die Gerichte sowie die Medien unter Kontrolle. Praktisch kann ihn niemand mehr daran hindern, die Wahlergebnisse zu verfälschen.

  • das muss Gülen dem Westen ins Ohr geflüstert haben... Lang lebe der Reis

  • Erdogan kann keine Wirtschaft, nur Propaganda.