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Kolumne Ich meld michAb nach Kassel, Pamplona oder Pau

Die Menschen in Barcelona, Venedig oder Mallorca wollen uns Massentouristen nicht mehr. Die Alternative: Wir urlauben jetzt in der Provinz.

Ganz ehrlich: Ein Urlaubstrip nach Kassel lohnt sich – der hessische Löwe, schlafend im Kurpark Foto: imago/Rüdiger Wölk

S ie wollen uns nicht mehr. Uns? Uns! Wir sind die Pest. Wir? Wir! Wir saufen Kreuzberger Kneipen leer, wir rattern mit Rollkoffern morgens um sieben durch Venedigs Gassen und wir sind der Grund, dass Zweizimmerwohnungen in Barcelona für Normala und Normalo unerschwinglich geworden sind.

Ob wir Wert darauf legen, nicht mit feierwütigen Junggesellenmeuten verwechselt zu werden und uns eher als feinsinnige Kultur­elite on the Road verstehen, macht in den Augen der Einheimischen keinen Unterschied. Okay – möglicherweise grölen wir nicht durch die Straßen und pinkeln nicht in Hauseingänge. Aber auch wir sind Eindringlinge. Störer. Besatzer. Wir nehmen Platz weg und machen ihr Leben teurer, lauter und anstrengender.

Und sie haben recht.

So aber hat das Reisen keinen Sinn mehr. Mit Störern will man nicht teilen. Weder Lieblingsplätze, Alltag noch Gedanken. Eindringlinge zockt man vielleicht noch ab. Dann will man sie so schnell wie möglich loswerden.

Aber vielleicht gibt es ja einen Ausweg aus dem Dilemma. Rufen wir einfach eine neue Reisebescheidenheit aus, suchen wir das Besondere im Unspektakulären. Überlassen wir die touristischen Hotspots wieder ihren Bewohnern und gehen dahin, wo BesucherInnen noch willkommen sind: in die mittelgroßen Städte. Ab nach Kassel, Spuren der documenta suchen, wenn sie nicht gerade stattfindet. Auf nach Pamplona, außerhalb der Stierrennen im Juli. Darmstadt protzt mit Jugendstil, Bregenz glänzt mit Bodensee und Kunsthalle. Im sommerlichen Aarhus tobt das Leben am Fluss wie im tiefsten Süden. Und wer kennt schon Pau, Essen oder Krakau genauer? Und wer sagt, dass man nicht nach drei Tagen weiterfahren und sich der ähnlich schönen Nachbarin zuwenden könnte?

Kein Schlangestehen mehr

Kleinere Städte sind übersichtlich, das Leben ist meist entspannter. Fast alle Ziele sind zu Fuß zu erreichen. Zwar findet man keinen heißen Scheiß, keine hochgejazzten Must-dos, vor denen sich endlose Besucherschlangen bilden. Aber man entdeckt vieles, was man sich gern ansieht – auch wenn man manchmal erst danach suchen muss. Auf den Märkten stehen Bewohner und Touristen nebeneinander für Bratwurst oder Fish & Chips an, abends in der Kneipe sitzt man neben dem lokalen Drogeriebesitzer und hört seinen Klagen über den Saustall im Rathaus zu. Menschen sehen einem oft noch in die Augen und grüßen freundlich. Man bewegt sich mitten unter ihnen und vegetiert nicht im Touristenghetto unter seinesgleichen vor sich hin.

Ja, aaaber, höre ich jetzt. Lustig, diese Idee – aber kleinere Städte sind nun mal nicht sexy. Wo bitte finden sich in Koblenz die Leuchtturmprojekte, welches Once-in-a-Lifetime-Event bietet Trondheim und was wären, bitte sehr, die Bigger-than-Life-Sachen in Reims?

Tja. Auch wieder wahr. War ja nur eine Idee.

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19 Kommentare

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  • Okay, dann also zum Meditieren nach Bhutan jetten…

  • Diese Event-Urlaube sind doch sowieso erst seit einiger Zeit "in".

     

    In meiner, zugegeben lange zurück liegenden Kindheit, hatten wir immer nur zuerst ein Ferienhaus an der Ostsee und später an der Nordsee irgendwo abgelegen an einem Strand. Aus mir nicht bekannten Gründen haben sich die Menschen mal irgendwann entschieden, im Urlaub keine Ruhe mehr finden zu wollen, sondern diese wohl eher in ihrer Arbeit und vermissten dann wohl den notwendigen Streß.

  • Kann ich nur zustimmen. Hab mir nen alten lonly planet geschnappt, auf der insel angekommen, lonky planet empfiehlt links. Wir gehen rechts und haben tolle Begegnungen ohne unsere Sprach zu hoeren. Einfach mal andere Richtung...

  • Kann ich nur zustimmen. Hab mir nen alten lonly planet geschnappt, auf der insel angekommen, lonky planet empfiehlt links. Wir gehen rechts und haben tolle Begegnungen ohne unsere Sprach zu hoeren. Einfach mal andere Richtung...

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Bloß nicht verbreiten, diese Ideen. Hinterher fahren unsereinem die Ballermänner noch in die Provinz hinterhe... nicht auszudenken!

    • @849 (Profil gelöscht):

      Die deutschen saufen auch ohne Ballermann mit am meisten weltweit. Auch in der Provinz.

      • 6G
        6474 (Profil gelöscht)
        @Rudolf Fissner:

        Nein, wir sind sogar noch hinter Ruanda und Südkorea, was den Alkoholkonsum pro Kopf angeht.

        https://de.statista.com/statistik/daten/studie/232485/umfrage/laender-mit-dem-hoechsten-alkoholkonsum-unter-erwachsenen/

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @6474 (Profil gelöscht):

          Der Link war übrigens ein Kalauer. Soll ich 49€ zahlen, um mir die Statistik anzuschauen?

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @6474 (Profil gelöscht):

          Was sagt der Pro-Kopf-Konsum an Alkohol über die Verteilung aus? Richtig. Wenig. Es ist lediglich eine statistische Zahl ohne größere Aussagekraft.

           

          Einer großen Menge an Abstinenzlern könnte eine mittelgroße Gruppe von Gewohnheits- und Gelegenheitstrinkern gegenüberstehen, zu der noch gelegentliche Exzessivsäufer kommen.

          Aber es könnte auch ganz anders sein.

  • Doch. Geht doch!;)

     

    “Die Menschen in Barcelona, Venedig oder Mallorca wollen uns Massentouristen nicht mehr. Die Alternative: Wir urlauben jetzt in der Provence!“

     

    unterm——->

    Meine kids fahrn heut noch hin!;))

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    Dieses Gejammer über Massentourismus ist doch in den meisten Fällen total verlogen.

    In Malle und an Teilen der spanischen Mittelmeerküste hat man doch jahrzehntelang völlig berechnend auf genau diese anonymen Touristenmassen gesetzt. Graue Hochhausburgen und Flatrate-Saufen sollten das schnelle Geld bringen. Genausogut könnte man umgekehrt fragen, warum es in Sardinien und Korsika nicht diese Probleme mit Touristen in diesem Ausmaß gibt, in Malle aber schon?

     

    Okay, die Leute in Venedig tun mir ein bischen leid. Die Stadt ist einfach zu klein für diese Masse an Besuchern.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Als nachträgliche Ergänzung schlage ich die Einrichtung von Reservaten vor, in denen sich Zielgruppen wie Ballermannfreunde (und Freunde ähnlicher "locations") an virtuellen Ersatzzielen ihren sagen wir mal: kulturfernen Impulsen nachgehen können.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Gibt es in gewisser Weise schon. Eins davon ist gerade halb abgebrannt: Europapark Rust.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @61321 (Profil gelöscht):

        Echt jetzt? Als Bespaßungsstätte seit den Zeiten meiner ersten Ehe durchaus bekannt, wusste ich bislang nicht, dass es auch eine Lokalität im engeren Sinne ist.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Aber die müssen dann auch drinbleiben!

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @849 (Profil gelöscht):

        Durch kleine Zugaben in die Sangria wäre das sicherlich zu bewerkstelligen!

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Auch wenn ich persönlich mangels pekunärer Möglichkeiten nichts dazu beitrage, dass sich die Bewohner von Venedig, Berlin oder Mallorca belästigt fühlen, fühle ich nach diversen sehr anschaulichen Berichten mit ihnen. Der Tenor des Artikels von Franz Lerchenmüller ist richtig: auch die Provinz besitzt Reize. Da Appelle an freiwillige Verhaltensänderungen nur selten fruchten, kann das Nachdenken über flankierende Massnahmen sicherlich nicht schaden.