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Neues Buch für „aufgeklärte Patrioten“Ein deutsches Ich

Thea Dorn begibt sich wieder auf die Suche nach einem kerndeutschen „Seelenreichtum“. Herausgekommen sind viele Lebkuchenverse.

Thea Dorn stellt ein weiteres Mal die „Waldfrage“ Foto: Joakim Honkasalo/Unsplash

Thea Dorn hat wieder ein Buch geschrieben. Dieses Mal geht es nicht um die „Deutsche Seele“ (2011), zu der „echtes Abendbrot“, „deutsche Wurst“ und „deutscher Wald“ ebenso gehören wie das „geistige Abendrot“, sondern um „Heimat“, „Patriotismus“ und „postheroische Opferbereitschaft“ – also um Ernsthaftes, denn zumindest für Heimat und Patriotismus gibt es neuerdings sogar einen Minister.

Wer beim Wort „Opferbereitschaft“ an Horaz denkt („Beglückend und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben“), liegt richtig, denn auch dieses Zitat erscheint in diesem Buch wie alle Gassenhauer aus dem Gymnasiums-Zitatekästchen. Von Ernst Blochs „Heimat“-Zitat am Schluss des „Prinzips Hoffnung“ bis zu Heraklits „Kriegs“-Zitat fehlt gar nichts.

Dass die Autorin wieder einmal die etwas vergessene „Opferbereitschaft“ ins Spiel bringt, freut den kriegskundigen Literaturwissenschaftler Karl-Heinz Bohrer („höheres Ethos, letzte Causa, brinkmanship“) sowie die Kriegsminister und Waffenhändler aller Länder, weil Thea Dorn gleichzeitig bekenntnisfreudig und ironiefrei versichert, „keine Ambitionen auf den Friedensnobelpreis“ zu haben.

Außer mit Zitaten und Ratschlägen füllt Thea Dorn ihr Buch mit Lebkuchenversen über die „urdeutsche Liebe zur Natur, insbesondere zum Wald“, und beteuert, „in der Waldfrage“ spiegle sich – wie in Wurst, Bier und Schwarzbrot – der kerndeutsche „Seelenreichtum“. Die häufigsten Wörter auf den über 300 Seiten sind „ich“ und „wir“, die trotz der Versicherung, „Licht ins Dunkle des Wir-Begriffs“ zu bringen, so konturlos bleiben wie ihr deutsches ­Lieblingswort „Waldeinsamkeit“. Nicht im Wald, sondern an der Supermarktkasse empfiehlt die Autorin dem Leser eine „kleine Meditation“ über den Satz „Ich wäre bereit, für mich zu sterben“ einzulegen.

Ich, ich, ich

Das Buch

Thea Dorn: „deutsch, nicht dumpf. Ein Leitfaden für aufgeklärte Patrioten“. Albrecht Knaus Verlag, München 2018, 336 S., 24 Euro.

Auch in Sachen „Opferbereitschaft“ gibt es jetzt Rabatt – nicht mehr für der „Güter höchstes“ (Schiller) soll gestorben werden, sondern für das Ich – ein nicht ganz risikoloses Unternehmen für eine Autorin, die ihren Kunstnamen von Theodor W. Adorno ableitet, den sie mehrfach als „Feingeist“ präsentiert, worüber er sich sicher so gefreut hätte wie über Thea Dorns Klagerede zur „Netflixierung und Amazonisierung von Politik“.

Zum „Ich“-Sagen hatte Adorno eine robuste These (jeder kennt sie, aber Thea Dorn zitiert sie nochmals). Zur Häufigkeit ihrer Ich-Sätze in diesem Sachbuch, in dem die Sache samt dem Ich im Waldigen verschwindet, schreibt sich die Autorin einen Satz in ihr Poesiealbum: „Je oberflächlicher die Ichs werden, desto mehr scheinen sie vergötzt werden zu wollen“. So ist es.

Was das zweithäufigste Wort – „wir“ – betrifft, so will Thea Dorn prüfen, „ob sich für ein nationales Wir nur negative Argumente ins Feld führen lassen – oder ob es gute Gründe gibt, heute […] für ein deutsches Wir zu plädieren“.

Bis zu den Argumenten und Gründen gelangt sie gar nicht, denn ihr „Lob der Nation“ kommt ganz ohne argumentative Bemühungen aus: „Das einzige Mittel, unsere Gesellschaft vor noch gravierenderen, irgendwann nicht mehr zu kontrollierenden Spaltungen zu bewahren, scheint mir das Bekenntnis zur Nation zu sein“.

Stahlhelmfeminismus

Damit ist die Katze aus dem Sack: „Wir Europäer müssen begreifen, dass wir tatsächlich ein Wir sind“, nämlich die „Hüter des Humanen“. Im ganzen Buch gibt es genau ein Thema, das die Autorin umtreibt, auch wenn sie vom Gilgamesch-Epos über Heraklit, Platon, Luther und Kant bis zu Adorno bieder allerlei herzitiert: Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und die Opposition der AfD sind ihr Thema. Als Garnitur dienen einige aufgepumpte Skandale („Ehrenmord“, „Handschlagverweigerung“, „Zwangsheirat“).

Von Merkels Politik und von den Rechtsradikalen will sich Thea Dorn absetzen, begibt sich dabei aber ins Boot jener Berufskonservativen, die sich zwar von den Rechtsradikalen verbal (noch) unterscheiden, aber diesen immer näher kommen, indem sie alle politischen und sozialen Probleme und Konflikte kausal mit Flüchtlingen, Willkommenskultur und Gewalt in Verbindung bringen.

Sie empfiehlt eine Meditation über: Ich wäre bereit, für mich zu sterben

Das beginnt mit der Identifizierung von Islam und politischem Islamismus und der EU mit einem „Lobbyistenparadies“ und einem „bürokratischem Puppenhaus“ bis zur Gleichsetzung von Flucht und Terror: „Die EU ringt mit der Frage, wie sie diese Menschen aufnehmen kann, und wird derweil selbst zum Schauplatz etlicher Terroranschläge“. Solches Stumpfdeutschtum und das AfD-Pegida-Dumpfdeutschtum sind Wahlverwandte.

Thea Dorn reitet eine wilde Attacke gegen die zuweilen etwas geschwätzige Pro-Europäerin Ulrike Guérot und reklamiert für sich und ihren Stahlhelm-Feminismus eine Doppelrolle: „Wir selbst sind der Stier. Und wir sind Europa“ – also „wir“ sind Zeus, der das Mädchen namens Europa aus Kleinasien vergewaltigte, und zugleich die Vergewaltigte. Zynischer war nur die notorisch bigotte Zeus-Tochter Athene, die das Mädchen Europa damit tröstete, es werde für die Vergewaltigung entschädigt und „dereinst einem ganzen Kontinent“ den Namen geben.

Nebulöse Thesen

Stockfinster wird es, wenn sich Thea Dorn auf das Feld der Geschichte begibt. Historisch triftige Unterscheidungen zwischen den Begriffen „Heimat“, „Kultur“, „Nation“ und „Volk“ sucht man ebenso vergeblich wie zwischen „peuple“, „patrie“ und „pays“ im Französischen oder „populus“, „patria“ und „gens“ im Lateinischen. Was Thea Dorn meint, wenn sie behauptet, der Gegensatz Kultur/Zivilisation sei „tief“ in der deutschen Geistesgeschichte verwurzelt, bleibt nebulös.

Aber wer sich beim Thema etwas auskennt, weiß: Es handelt sich, auch bei Norbert Elias, um einem Kronzeugen für das Volksvorurteil, um eine simple Rückprojektion der Konstellation im Ersten Weltkrieg, als nationalistische deutsche Professoren und Dichter wie Thomas Mann den Krieg als Kampf der deutschen Kultur gegen die französische Zivilisation zur „ewigen“ Urfehde zwischen Kultur und Zivilisation frisierten. Das ist anachronistischer wilhelminischer Firlefanz wie Thea Dorns Vorverlegung des „Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation“ ins 10. Jahrhundert. Diese Bezeichnung erscheint erstmals über 500 Jahre später am 26. 8. 1512.

Dazu passt der Versuch, dem Nationalismus des Turnvaters Jahn Positives abzugewinnen, ebenso wie der aufgeblasene Kulturpessimismus der Autorin („Es geht mir ums Niveau“), die beklagt, heutige Schüler würden nur die Trickfilmfigur Homer kennen, aber nicht den Verfasser der „Odyssee“.

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9 Kommentare

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  • Seelenreichtum? Man frage doch mal die aufgeklärte Nation was ihr lieber ist, Seelenreichtum oder Reichtum? Der Witz ist doch, dass ein materieller Überfluß wir wir ihn haben Seelenreichtum geradezu verhindert. Seele? Das ist doch eigentlich das was nicht verhärten soll, das was die schrecklichen Gläubigen so unbedingt retten wollen. Pfui, sagt der AFD- Wähler, der aufgeklärte erst Recht. Wo kämen wir denn hin wenn wir plötzlich alle unsere Seelen retten wollten. Wir können nicht alle retten, das weiß doch jeder. Na ja, vielleicht die Reichen. Aber bloß nicht die reichen Seelen. Das könnten ja andere sein als unsere. Ne, dann schon lieber Ballast abwerfen. Ein echter Brauner hat ja doch einen gewissen Sinn für Fairplay, hart gegen andere, hart gegen sich selbst. Die einen ins Mittelmeer, die anderen opfern immerhin ihre Seele. Ausgleichende Gerechtigkeit, oder? Dem bürgerlichen Publikum ist das aber dann doch ein bisschen zu robust, da freut es doch wenn eine Frau Dorn uns ein paar Ausreden kredenzt. Jämmerlich! Seelenreichtum? Dann lieber gleich völkisch.

  • Ich kannte diese Thea Dorn bislang nicht.

    Die Wetterkarte dürfte interessanter sein als jedes Gespräch mit dieser Zeitgeisttante.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Linksman:

      Wir stehen zur Zeit, was Intellektuelle im Literaturbetrieb angeht, im internationalen Vergleich ziemlich bescheiden da.

      Da kann man sich doch mal einigen, bei dieser oder jenem wenigstens so zu tun als ob....

  • Wie passend & wer wollte widersprechen?!

    &

    Püüt ausse mailingtüt!

     

    "Frank Schirrmacher lebt - in einer Dorn enhecke

     

    "..füllt Thea Dorn ihr Buch mit Lebkuchenversen .."

     

    "..erscheint in diesem Buch wie alle Gassenhauer aus dem Gymnasiums-Zitatekästchen. "

     

    "..Zur Häufigkeit ihrer Ich-Sätze in diesem Sachbuch, in dem die Sache samt dem Ich im Waldigen verschwindet, schreibt sich die Autorin einen Satz in ihr Poesiealbum: „Je oberflächlicher die Ichs werden, desto mehr scheinen sie vergötzt werden zu wollen“. So ist es. .."

     

    Jeder Satz so "treffend". Danke Rudolf Walther.

     

    "Der Wald, meine Damen und Herren,

    und wer wollte da widersprechen -

    steht schwarz (sic!) und schweiget."

    (ergänz Mal - https://www.youtube.com/watch?v=dnqKwGetjz4&list=RDdnqKwGetjz4&t=6 ;)

     

    Die Dame geht mir im TV immer auf den Senkel.

     

    Es gibt Personen, bei denen drängt sich eine Vorstellung auf,

    wie die wohl zu Schulzeiten waren. Meistens ist diese

    Imaginierung unangenehm. Vllt. sind die jemand

    aus der eigenen Vergangenheit ähnlich. Kennen Sie das?

     

    Für Mitschüler, die angenehm im Gedächtnis bleiben,

    braucht es keine Vergleiche. Von denen bleibt, zum Glück,

    für immer ein positives Bild."

  • Auch bei mangelnder humanistischer Vorbildung habe ich eins verstanden: Fehlendes Bewusstsein über sich selbst kann durch Nationalismus und Wohlstandschauvinismus verdrängt werden und sobald deutsches Wir formuliert wird, ist Vorsicht geboten.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Dann wackeln sie alle nach rechts, weil das die Hauptrichtung ist.

  • Viel Tünche! Wie kommt man vom Ich zum Wir ohne dass es was kostet? Man begrenzt das Wir. Der ganze Rest, ob man es Kultur nennt oder Geschichte ist reine Tarnung, banal und möglichst verantwortungslos. Wir helfen uns selbst. Dieses Wir muss man überhaupt nicht beschreiben, es ist komplett uninteressant, schon alleine deshalb weil es sich selbst definiert. Tendenz: immer exklusiver. Wer braucht das? Wenn wir dann wenigstens nur noch auf heimische Erzeugnisse zurückgreifen würden, das wäre doch mal was! Aber wir plündern lieber so lange weiter bis die Anderen ihr Wir entdecken. Auch die werden sich bestimmt ein bisschen literarische Wegzehrung zusammenschreiben und ihnen gibt sogar noch die Notwehr Recht. Wir hingegen spielen nur Charade.

  • Und ewig suhlt sich der Linke,

    frei von völkischer Schmincke,

    im nationalen Negieren,

    ohne Scheu sich zu blamieren.

     

    (Heinrich Beine)

  • Danke für das - dem Wetter konträre - erhellende!

    Wort zum Wochenende & übers Dorn hinaus!