piwik no script img

Schweden bereitet sich auf Krieg vor„Rysskräck“, die Angst vor den Russen

Die SchwedInnen bekommen bald alle Post vom Staat: eine Anleitung für den Kriegs- oder Krisenfall. Es ist die Neuauflage einer Broschüre von 1943.

Diese Broschüre verteilt die schwedische Zivilschutzbehörde an alle Haushalte Foto: dpa

Kommende Woche erhalten alle 4,7 Millionen schwedischen Haushalte eine Broschüre, die sie dazu bringen will, immer einen Lebensmittel- und Wasservorrat für drei Tage im Haus zu haben, und die darüber informiert, wie man sich verhalten sollte, wenn es keinen Strom mehr gibt. „Wenn die Krise oder der Krieg kommt“, lautet der Titel des 20 Seiten starken Hefts. Es ist im Prinzip eine Neufassung einer Anleitung, deren erste Auflage 1943 herausgegeben wurde, nach der Besetzung Dänemarks und Norwegens durch Nazideutschland. Und die damalige Anleitung „Om kriget kommer“ („Wenn der Krieg kommt“) erschien in Neuauflagen bis 1961 und als Beilage zum Telefonbuch bis in die 1980er Jahre.

Wenn Schweden, das seinen letzten bewaffneten Konflikt 1814 geführt hat, nun plötzlich die Notwendigkeit sieht, die Bevölkerung nicht nur auf Krisen, sondern erneut auf einen Krieg vorzubereiten, fragt man sich natürlich: Warum? Christina Andersson von der staatlichen Krisenbereitschaftsbehörde spricht davon, dass wir in „einer unruhigen Zeit leben“. Stichworte: Klimaveränderungen, Terroranschläge, IT-Attacken und eine „verschlechterte sicherheitspolitische Lage“. Das müsse nicht „ein bewaffneter Angriff auf unser Land sein, sondern auch irgendeine Art eines militärischen Konflikts in unserer näheren Umgebung“.

Dass man in Stockholm im Gefolge der Krimannexion und der militärischen Aufrüstung in der Ostsee ganz konkret an Moskau denkt, ist kein Geheimnis. Am Montag wurde zeitgleich mit der Präsentation der neuen Broschüre das 2005 von der Ostseeinsel Gotland abgezogene Regiment feierlich reaktiviert. Letzten Herbst hielt Schweden das größte Militärmanöver seit einem Vierteljahrhundert ab.

„Rysskräck“, die „Angst vor den Russen oder Russland“, ist laut dem Wörterbuch der Schwedischen Akademie ein seit über 100 Jahren etabliertes Wort. Den Rysskräck gibt es laut Umfragen als reale Furcht derzeit bei rund einem Drittel der Bevölkerung. Aber es gibt ihn auch als politische Konstruktion: die „Rysskräck-Politik“, die diese Angst für ihre Zwecke ausnutzt.

Die Frage, ob Schweden sich wirklich militärisch und zivil auf einen Krieg vorbereiten muss, spaltet deshalb auch die rot-grüne Regierung. „Tauben“, wie Außenministerin Margot Wallström, sehen diese Notwendigkeit nicht. Aber die „Falken“ um Verteidigungsminister Peter Hultqvist haben sich erst einmal durchgesetzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Ich glaube, die drohende Kriegsgefahr geht nicht von den Russen aus, die Krim wurde ja bereits 2014 "besetzt" und es folgte keine schwedische Panikattacke. Wenn die Schweden also Angst vor Krieg haben, kann das eigentlich nur den verschwurbelten Drohungen eines gewissen Mannes aus Washington zugeschrieben werden. Oder deutsche U-Boote in den Schären!

  • Das die Russen eine Gefahr für den europäischen Frieden sind müsste eigentlich fast jedem klar sein. Ziemlich naiv von uns die Aggressionen der Genossen zu verharmlosen.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Klartexter:

      Erst mal vor der eigenen Haustüre kehren. Danach ist noch genügend Zeit, sich um den Dreck der Anderen zu kümmern.

  • Schade eigentlich, daß bezüglich der 'Krim-Annexion' scheinbar niemand mehr auf dem Schirm hat, was damals passiert ist. Der offizielle Narrativ eines russischen Expansionismus wurde uns eingebimst, alternativlos wie immer.

    Aber das da eine fremde Macht die Verhältnisse in der Ukraine so zurechtputschen wollte, daß der russische Pachtvertrag für den Kriegshafen Sevastopol auf der Krim ins Wackeln geraten könnte... ?!? Über dieserlei geopolitische Spielchen wird leiderso gut wie garnicht berichtet.

  • Guter Artikel, der hoffentlich zur Aufklärung beiträgt. Nein, Schweden steht nicht kurz vor dem Krieg. Der russische Einmarsch droht nicht unmittelbar.

     

    Die sind *immer* so. Ist es ein U-Boot im Schärengarten? Die Russen kommen. Das ist ein Reflex, der mit Geschichte zu tun hat.

     

    Daß man in ganz Europa nach der Krim-Annexion und dem russischen "Urlaub" in der Ostukraine etwas wacher geworden ist, ist gut. Aber Panik ist unangebracht. Denn man könnte sich auch fragen: Wenn Putins Regierung gerne Krieg spielen möchte, warum ist sie dann ein paar Kilometer hinter der Grenze stecken geblieben? Es ist wohl doch nicht so einfach, mal eben ein europäisches Land zu besetzen. Zum Glück.

  • Wie schade, dass die „Mentalitätsgeschichte des Dreißigjährigen Kriegs“ noch nicht geschrieben ist (oder zumindest noch nicht bekannt genug geworden). Ich denke, je schneller dieses Buch kommt und je rascher es Verbreitung findet, um so besser ist das.

     

    Wie war das nämlich gleich nochmal bei Münkler, dem „Einmann-Thinktank“ der „Zeit“? In Deutschland konnte man um 1900 zwei Schlussfolgerungen ziehen aus der ersten allgemeinen Verunsicherung im 17. Jahrhundert: „Nie mehr Krieg“ oder „Nie mehr Krieg in Deutschland“. Die Folge steht in den Geschichtsbüchern zu lesen.

     

    In Schweden kann man anno 2018 offenbar noch eine dritte Lehre ziehen (die ja womöglich hier sogar die zweite glatt ersetzt). Eine Lehre, die Heribert Münkler zwar für 1900 nicht auf dem Schirm hatte, die allerdings seit einer ganzen Weile auch für die Deutschen gilt (die taz hat ausfühlich berichtet über die deutsche Version dieser Broschüre): „Nie mehr unvorbereitet in einen Krieg.“

     

    Kann man aus Kriegen etwas lernen? Ja, kann man, denke ich. Und zwar, dass es drei Arten von Beteiligten gibt: Verantwortliche, Zuständige und Leidtragende (wobei die Grenzen neuerdings nicht mehr ganz "sauber" sind). Die Verantwortlichen hoffen, vom Krieg persönlich zu profitieren. Die Zuständigen bilden sich ein, sie können Kriege im Sinne der Verlustminimierung erfolgreich managen. Und die Leidtragenden haben sich nicht rechtzeitig für die zwei Erstgenannten interessiert.

     

    Womöglich ist die Binsenweisheit, dass Krieg wie Feuer ist (im trockenen Wald schnell angezündet und nachher schwer zu löschen) ja nicht Weisheit genug. Menschen reagieren schließlich oft erst in konkreten Situationen. Ich hoffe immer noch, dass es diesmal ein wenig anders ist.

  • Und wieder eine durchsichtige Aktion um den Handel zu stärken. Oder glauben die Verantwortlichen wirklich, das nach Verbrauch der Drei-Tage-Vorräte alle Widrigkeiten wundersam verschwunden sind?

    Hier in D wurde sowas mal angeregt als (Achtung!) "Operation Eichhörnchen". Und da ging es nicht um drei Tage. Wenn ich recht erinnere, ging es um 14. Was für ein Spaß!

  • Was weiß die schwedische Regierung bzw. der schwedische Verteidigungsminister, was wir nicht wissen?

     

    Dass die Informationen, die wir in Deutschland bekommen, vorher "ausgesiebt" wurden, wissen wir ja spätestens seit dem Ausspruch das damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maiziere, der davon - damals bezüglich einer Terrorgefahr am Rande eines Länderfußballspiels - sprach, dass man nicht alles offenbaren dürfe, weil dies die Bevölkerung verunsichere.