Massaker in Mali: IS strahlt nach Westafrika aus
Eine Serie ethnischer Massaker verschärft Malis Krise. Mitverantwortlich: Eine Untergruppe des „Islamischen Staates“, die neuerdings aktiv ist
Die deutschen UN-Soldaten stehen in Gao, größte Stadt im Osten Malis am Niger-Fluss. Südöstlich in Richtung des Nachbarlandes Niger, liegt die Region Menaka, einst eine Hochburg von Tuareg-Rebellen und heute Schauplatz der jüngsten Massaker, denen vor allem Tuareg zum Opfer fielen.
Malische Medien lassen keinen Zweifel daran, dass es sich um gezielte Angriffe auf Zivilisten handelt. „Alte Menschen wurden lebendig in ihren Häusern verbrannt“, erklärt die „Plattform“, ein Bündnis lokaler Milizen, das im Norden Malis an der Seite der Regierungsarmee kämpft, zum Überfall des 1. Mai. Dem Angriff auf die Dörfer Tindinbawén und Taylalene in der Mittagshitze sei sogar ein 90-jähriger Dorfchef zum Opfer gefallen.
Schon bei den ersten Angriffen im April sagte Menakas Provinzgouverneur, Daouda Maiga, den Angreifern gehe es wohl darum, „die Bevölkerung zu terrorisieren, um zu zeigen: Seht, wozu wir in der Lage sind.“
„Islamischer Staat der Großen Sahara“
Den Berichten zufolge designieren Augenzeugen die Angreifer als Angehörige einer der neuesten bewaffneten Gruppen Malis: der „Islamische Staat der Großen Sahara“. Diese Gruppe, die dem IS Treue geschworen hat, ist Experten zufolge eine Nachfolgerin der „Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika“ (Mujao), die radikalste und internationalistischste der bewaffneten islamistischen Gruppen, die ab 2012 bis zu Frankreichs Militärintervention in Mali Anfang 2013 die Nordhälfte Malis kontrollierten.
Nachdem Frankreich die Islamisten zurück in den Untergrund gedrängt hatte, tat sich Mujao mit dem historischen algerischen Islamistenführer Mokhtar Belmokhtar zusammen. Es entstand die Gruppe „Al-Mourabitoun“, die eine Reihe spektakulärer Anschläge in Mali verantwortete. Belmokhtar war einst Mitgründer der al-Qaida im Islamischen Maghreb gewesen.
Als 2014-15 der IS in Irak, Syrien und Libyen immer mächtiger wurde und auch Boko Haram aus Nigeria dem Kalifat Treue schwor, zog es ein Teil der Mourabitoun-Gruppe vor, sich von al-Qaida zu lösen und sich ebenfalls zum damals glamourösen IS zu bekennen.
Algerischen Berichten zufolge wird der „Islamische Staat der Großen Sahara“ von einem ehemaligen Kämpfer der Westsahara-Befreiungsbewegung Polisario geführt, mit dem Kampfnamen Adnan Abu Walid al-Sahraoui – ein Angehöriger der reichen Joumani-Familie aus Marokko. Er habe sich Belmokhtars Islamisten in Algerien angeschlossen und sei dann Sprecher der Mujao in Mali geworden. Anfang 2016 habe er in Mali eine Angehörige der Nomaden-Volksgruppe der Peul (auch Fulani genannt) zur Frau genommen.
Peul gegen Tuareg im Osten Malis
Seitdem rekrutiere und radikalisiere er jetzt junge Peul, die sich historisch in Mali im Konflikt mit Tuareg befinden und seit einigen Jahren im Osten Malis sowie im Norden des benachbarten Burkina Faso mit Anschlägen und Überfällen von sich reden machen. Basen haben diese Kämpfer in den Wäldern des Naturschutzgebietes Ansongo-Menaka südöstlich von Gao an der nigrischen Grenze.
Gegen sie zieht Malis Regierung mit Unterstützung Frankreichs sowie lokaler Milizen der Tuareg und anderer Volksgruppen zu Feld. „Peul à moto“, Peul auf Motorrädern heißen die IS-Kämpfer im Volksmund, berichtet der französische Auslandsrundfunk RFI.
Menschenrechtsgruppen warnen, dass in diesem Krieg Angehörige der Peul pauschal als Terroristen oder deren Sympathisanten abgestempelt werden. Die UN-Mission in Mali meldete am 12. April, seit Februar seien bei Militäroperationen gegen Peul-Kämpfer „mindestens 95 Personen Opfer summarischer Hinrichtungen“ geworden. So sind die jüngsten Angriffe auch Racheakte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!