piwik no script img

AfD und FrauenrechteFrauendemo mit Männerüberschuss

AfD-Politiker*innen veranstalteten in Delmenhorst einen „Frauenmarsch gegen sexuelle Gewalt“. Mitmarschiert sind vor allem Männer – und Neonazis.

Durften immerhin vorne die Plakate tragen: Frauen beim AfD-Frauenmarsch Foto: Andrea Röpke

HAMBURG taz | In Sachen Kreativität haben sich die Teilnehmer*innen der Demo in Delmenhorst am Samstag nicht gerade verausgabt: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ und „Merkel muss weg“. Standardparolen, die Rechtsextremisten in vorhersehbarer Häufigkeit Gegendemonstranten entgegenbrüllen, waren auch auf den Straßen von Delmenhorst zu hören.

Kein NPD-Anhänger hatte den Marsch angemeldet, sondern ein AfD-Mitglied: Ina Raabe verantwortet den vermeintlichen „Frauenmarsch gegen sexuelle Gewalt“. Rund 100 Teilnehmer waren dem Ruf in die niedersächsische Stadt nahe Bremen gefolgt, darunter auch einige Neonazis aus der Region. Die Mehrheit waren Männer. Über 250 Demonstrant*innen setzten ein Zeichen dagegen.

Kurz nach 14 Uhr startete die Veranstaltung am Wollelager. „Kandel ist überall“ stand auf dem Transparent an der Spitze des Marsches. Neun Frauen trugen die Botschaft, die an einen Mordfall Ende 2017 in Rheinland-Pfalz erinnert. Seit der Ermordung eines 15-jährigen Mädchen durch einen 20-jährigen Afghanen versuchen verschiedene rechte Organisationen, das Drama politisch zu nutzen. Auch die Demo-Teilnehmer*innen in Delmenhorst: „Jetzt ist Schluss mit der Messerstecherei“, skandierte der Tross.

Der niedersächsische Vorsitzende der AfD-Jugend Junge Alternative, Lars Steinke, heizte über ein Megaphon die Stimmung an. Die selbsternannte AfD-Frauenrechtlerin Leyla Bilge schrie einen Gegendemonstranten an, der sein Kind dabei hatte: „Sie sind eine Schande, schämen Sie sich, mit einem Kind zur Demo zu kommen“, und übersah dabei die Kleinkinder in den eigenen Reihen.

AfD-Prominenz wie der Bundestagsabgeordnete Dietmar Friedhoff, der Bremer Abgeordnete Alexander Tassis und die Delmenhorster Ratsherren Lothar Mandalka und Holger Lüders marschierten Seite an Seite mit Anhängern der Neonazi-Gruppe „Blood Brother Nation“ und „Querschläger Vechta“, die zu den „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) zählen. Bei einem prangte die rassistische Parole „White Power“ auf dem Shirt

Gewalt gegen Frauen hat weder Herkunft noch Religion und darf keiner Volksgruppe zugeordnet werden

Yadigar Polat, Friedensforum Delmenhorst

Als Ordner hatten die Organisatoren gar einen „Supporter“ der Rockergang Hells Angels ausgewählt, er trug die „81“ gut sichtbar. Auch die Frauengruppe der extrem rechten Identitären Bewegung „120 db“ war vertreten.

Pöbeleien vonseiten der Marschteilnehmer*innen schienen nicht zu stören. Einer der Neonazis bedrohte gleich am Startpunkt den Präventionsexperten und freien Referenten Sebastian Ramnitz, der den Aufmarsch dokumentierte: „Ich komme vorbei, hast du mich verstanden. Ich mache dich fertig.“ Kein Polizist war in der Nähe. Die Beamten konzentrierten sich voll und ganz auf den Protest an den Straßen des Wohngebietes, welches die Rechten durchquerten.

Eine antifaschistische Blockade wurde wenig zimperlich sofort geräumt. Am Busbahnhof ging die Polizei dann besonders rüde vor. Die Beamten machten regelrecht Jagd auf junge Protestierer. Ein junger Mann, der am Rand stand, wurde derartig geboxt, dass er auf den Boden schlug.

Lisa Theophil, Sprecherin der Linksjugend solid, nutzte kurzerhand die Gelegenheit und stellte sich allein dem Fronttransparent entgegen. Eine der rechten Frauen stürzte herbei und schlug der 25-Jährigen in den Bauch, wie Theophil berichtet. Hinzueilende Polizisten nahmen die Angegriffene in den Schwitzkasten, um sie wegzuziehen. Ruhig forderten Gegengendemonstranten die Beamten auf: „Lasst sie los“, doch auch die wurden weggeschubst.

Rüder Polizeieinsatz

Ein Video zeigt dieses Geschehen. Lisa Theophil sagt, die Luft sei ihr kurz weggeblieben, ihr sei schwindlig geworden. Doch ein weiterer Polizist boxte sie von hinten und schrie, sie solle verschwinden.

Die Polizei Delmenhorst selbst bezeichnet den Verlauf der Veranstaltung als „friedlich“. Lediglich von einzelnen „kleineren Rangeleien“ zwischen den Gegendemonstranten und den Einsatzkräften ist in einer Pressemitteilung die Rede. Und von einem Polizisten, der von einer „bislang unbekannten Person“ getreten wurde.

Vor dem „Frauenmarsch“ hatte ein Delmenhorster Bündnis zum Gegenprotest ausfgerufen. „Die AfD benutzt die Rechte der Frauen, um ihrem Hass gegen Migranten und Muslime freien Lauf zu lassen. Sexualisierte Gewalt ist aber kein Migrantenprivileg“, sagt Teophil. Yadigar Polat vom Friedensforum Delmenhorst erklärt: „Gewalt gegen Frauen hat weder Herkunft noch Religion und darf keiner Volksgruppe zugeordnet werden.“ Der SPD-Landtagsabgeordnete Deniz Kurku warnt: „Es geht einfach nur darum, zu hetzen und einfache Lösungen darzubieten.“ Weitere rechte „Frauenmärsche“ in Delmenhorst sind angekündigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!