Opfer sexualisierter Gewalt im Sport: „Darüber reden, dass es passiert“
Ralf Zitzmann ist in seiner Jugend Opfer von Missbrauch in seinem Verein geworden. Nun sensibilisiert er für das Problem sexualisierter Gewalt im Sport.
taz: Herr Zitzmann, Sie haben als Betroffener beim Projekt Voice mitgewirkt, das sich mit der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt im Sport, aber auch mit der Prävention befasst. Wie kam es dazu?
Ralf Zitzmann: Ich hatte eigentlich nie die Absicht, meine Geschichte in die Öffentlichkeit zu stellen. Ich fand das für mich nicht wichtig. Doch ein Freund von mir war Mitinitiator des Projekts „Unbreakable“, welches vom Magazin Stern in Deutschland aufgegriffen wurde. Ein Fotoprojekt, bei dem sich Missbrauchsopfer vor die Kamera stellen sollten. Die hatten erst nur Frauen, da habe ich gedacht, das gibt es doch nicht. Dann traue ich mich eben. So ist auch das Projekt Voice auf mich aufmerksam geworden.
Sie haben bei einem Hearing in Frankfurt, wo Sportfunktionäre für das Problem sexualisierter Gewalt sensibilisiert werden sollten, Ihre Geschichte vorgetragen. Wie schwer ist Ihnen das gefallen?
Es ist nicht schön, seine Seele auf den Tisch zu legen. Aber der Umgang der Organisatoren mit uns war sehr sensibel. Das galt auch für die Sportvertreter. Manche sind dann sehr gerührt, fast zu mitgefühlig,
Glauben Sie, dass diese Leute nach so einem Treffen dann auch anfangen zu handeln?
Das kann ich nicht sagen. Mit ihrem Kommen haben sie schon einmal ihre Bereitschaft gezeigt, sich mit sexualisierter Gewalt im Sport auseinanderzusetzen. Wie ich auf dem Hearing in Frankfurt mitbekommen habe, ist es ganz schwierig, für das Thema an der Basis, in den Vereinen eine Aufmerksamkeit zu bekommen. Bei dem Treffen waren vor allem Vertreter von den Dachverbänden da.
ist Musikproduzent. Der heute 54-Jährige hat in seiner Jugend beim Hamburger SV gekickt.
Welche Strukturen des Sports haben den Missbrauch in Ihrem Fall begünstigt?
Ich habe in der Jugend des Hamburger SV Fußball gespielt. Wir haben viermal die Woche trainiert, das war also Leistungssport. Und passiert ist es im Trainingslager, als ich 13, 14 Jahre alt war. Mein Trainer hatte da freie Hand. Da waren keine Betreuer dabei, das begünstigte das natürlich. Vieles ist damals auch selbstverständlicher gewesen als heute.
Zum Beispiel?
Wir mussten uns im Verein alle halbe Jahr nackt ausziehen und wurden vermessen. Da würden heute gewiss viele Eltern protestieren, wenn sie das mitbekämen. Aber der Sport bietet generell besondere Möglichkeiten.
Was meinen Sie?
Ich hätte als Junge kein Problem damit gehabt, wenn der Trainer mit der Mannschaft geduscht hätte. Da ist man in dem Alter unvoreingenommen, der Trainer hat ja auch geschwitzt. Ungewöhnlicher ist es, wenn der Geschichtslehrer mit seinen Schülern duscht.
Haben Sie zur Zeit des Missbrauchs überlegt, es jemandem zu erzählen?
Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich konnte das damals gar nicht verarbeiten, was ich erlebt habe. Ich habe das sofort irgendwohin versenkt. Das hört man ja immer wieder auch von anderen Fällen, dass es oft 30, 40 Jahre dauert, bis die Betroffenen wieder an ihre Erinnerungen herankommen. Das System schaltet dann auf eine Art Notstrom um.
Glauben Sie, dass Leute von außen den Missbrauch verhindern hätten können.?
Ehrlich gesagt, nein. Wobei ich von einem Tag auf den anderen ohne Anzeichen mit dem Leistungssport aufgehört habe. Da hätte vielleicht schon jemand nachhaken können. Gesagt hätte ich vermutlich aber trotzdem nichts.
Wie groß schätzen Sie das Problem sexualisierter Gewalt im Sport ein?
Riesig. Mittlerweile hört man von überall immer mehr Geschichten. Wobei ich nicht einschätzen kann, wie es aktuell ist. Das sind vor allem ältere Geschichten, die hochkommen.
Hat Ihnen die Beteiligung an dem Projekt geholfen in der Auseinandersetzung mit Ihrer Geschichte?
Auf jeden Fall. Man holt etwas Dunkles hervor und es wird dadurch im Laufe der Zeit immer heller. Und die Begegnung mit anderen Betroffenen vermittelt einem das gute Gefühl, dass man nicht allein damit ist.
Können Sie sich derlei Veranstaltungen mit Sportvertretern, die mit einer steten Rückkehr in Ihre Vergangenheit verbunden ist, öfter vorstellen?
Ich will nicht professionell als Missbrauchter herumreisen. Ich habe mich mittlerweile auch dazu entschlossen, dass ich nicht mehr darüber rede, was mir genau damals passiert ist, weil diese Details nicht wichtig sind. Für mich persönlich ist es sowieso nicht mehr wichtig, darüber zu sprechen. Man muss aber darüber reden, dass es passiert und wie man es künftig verhindern kann. Auch den Tätern muss geholfen werden. Ich finde wichtig, dass man niemanden verdammt. Es geht nicht um Gut und Böse.
Sie wären also bei weiteren Projekten dabei?
Wenn der Deutsche Fußball-Bund mal ein richtiges Projekt aufstellt, das von professionellen Leuten wie von der Sporthochschule Köln betreut wird, dann mache ich gern mit. Das ist eine wichtige Arbeit. Nichtstun ist keine Alternative.
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